Hamburg ist nicht erst seit der Eröffnung der Elbphilharmonie ein Ort der Hochkultur. Die Hansestadt gehört zu den wichtigsten Ballett-Zentren der Welt und hat dies einem Mann zu verdanken: dem Amerikaner John Neumeier.
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Ein Leben für den Tanz: John Neumeier
Er begann als jüngster und ist heute der dienstälteste Ballett-Direktor der Welt: John Neumeier, Hamburgs Ballett-Seele. Mittlerweile hat er mehr als 150 Choreografien entwickelt, die weltweit aufgeführt werden.
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Ein Leben für den Tanz
Sein Stil wird oft als neoklassisch bezeichnet, denn John Neumeier orientiert sich vor allem an bekannten, klassischen Stoffen und kombiniert sie mit klassischem und modernem Ballett. Seine Compagnie hat er schon in jungen Jahren zu Weltruhm geführt und sich in Hamburg ein hoch geschätztes Ballett-Imperium aufgebaut.
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Berufswunsch: Tänzer
Geboren wird John Neumeier in Milwaukee in den USA, als Sohn eines Kapitäns. Seine Mutter führt ihn an den Tanz heran. Als Vierjähriger sieht er mit ihr zusammen einen Musical-Film und von da an ist klar: Er will Tänzer werden. Er nimmt Steppunterricht, studiert Tanz - und seinen Eltern zuliebe - Englisch, Literatur- und Theaterwissenschaft in seiner Heimatstadt.
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Wanderjahre
Schon als Student entwickelt Neumeier eigene Choreografien. Es zieht den US-Amerikaner zum weiteren Studium nach Europa. Er geht nach London an die Royal Ballet School (Bild), nach Kopenhagen, nach Stuttgart und landet schließlich in Frankfurt, wo er von 1969 bis 1973 Ballettdirektor ist. Da ist er gerade mal Anfang 30.
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Wechsel nach Hamburg
Im Sommer 1973 wechselt er mit einem Teil seiner in Frankfurt zusammengestellten Compagnie zum Hamburg Ballett und macht sich als neuer Direktor erstmal unbeliebt. Er verlängert die Verträge mehrerer Tänzer nicht, baut stattdessen seine eigene Truppe weiter aus. Im Januar 1974 dann die erste Premiere: "Romeo und Julia". Ein Stück, das er auch Jahrzehnte später noch häufig aufführen wird.
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Klassiker als Inspirationsquelle
Neumeier lässt sich von der großen Weltliteratur inspirieren, wie Shakespeares "Romeo und Julia", "Hamlet" (Bild) oder "Ein Sommernachtstraum". Doch Tennessee Williams' "Endstation Sehnsucht" gehört ebenso zum Repertoire des gläubigen Katholiken, wie christliche Stoffe, etwa die "Matthäus-Passion" oder "Messias".
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Gründung der Hamburger Ballett-Tage
Zwei Jahre nach seinem Amtsantritt in Hamburg stellt er in der Hansestadt die ersten Hamburger Ballett-Tage auf die Beine, ein mittlerweile zweiwöchiges Ballett-Festival, das die aktuellen Stücke von Neumeiers Compagnie präsentiert. 2016 eröffnen die Ballett-Tage mit "Turangalila" (Bild), einer Sinfonie des französischen Komponisten Olivier Messiaen.
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Internationale Erfolge
Sein international erfolgreichstes Stück ist "Die Kamelindame", das 1987 sogar als Kinofilm auf die Leinwand kommt. Alexandre Dumas Roman liefert die Vorlage für Neumeiers Bühnenstück zur Musik von Frédéric Chopin. Die lungenkranke Kurtisane Marguerite und ihr Liebhaber Armand sind komplexe Charaktere, die die Tänzer herausfordern und die deswegen nur die Besten unter ihnen meistern.
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Preise über Preise
2007 überreicht ihm Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust die Ehrenbürgerurkunde der Stadt. Es ist eine von vielen Auszeichnungen. 1992 erhielt er schon den Benois de la Danse für sein Lebenswerk, einen der prestigeträchtigsten Ballett-Preise der Welt. 2015 kommt der Kyoto Prize hinzu, eine internationale Auszeichnung für Menschen, die Außergewöhnliches in Wissenschaft und Kultur geleistet haben.
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Körper sind Neumeiers Instrumente
Möglicherweise ist Neumeiers Erfolgsgeheimnis, dass er nur auf sich hört. "Ich schaue nicht nach links und rechts, was die anderen machen", gibt er 2012 in einem Interview mit dem "Zeit Magazin" zu. Für ihn sind Körper Instrumente, die er arrangiert. Und davon kriegt er nicht genug. Er gehe in jede Vorstellung, jede Probe, erzählt er dem Magazin. Seine Heimat sei der Probensaal.
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Bundesjugendballett wirbt für den Tanz
Nach und nach baut Neumeier in Hamburg ein Ballett-Imperium auf. Er gründet ein Ballettzentrum, eine Ballettschule, ein international besetztes Bundesjugendballett. Letzteres bringt den Tanz an ungewöhnliche Orte für Hochkultur, nämlich in Gefängnisse, in Altenheime oder in Förderschulen (Bild). Was Hamburg noch fehlt, ist ein Ballett-Museum. Doch das steht auch schon auf Neumeiers To-Do-Liste.
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Keine Zeit für Pausen
Seiner Kreativität tut die viele Arbeit keinen Abbruch. Er inszeniert Mahlers "Lied von der Erde" (Bild) in Paris und Hamburg. Im September will er in Chicago "Orpheus und Euridike" auf die Bühne bringen. Sein Vertrag beim Hamburg Ballett läuft noch bis 2019. Dann wird Neumeier 80 Jahre alt. Womöglich gönnt er sich dann ein Sabbatical, von dem er seit Jahren träumt, aber keine Zeit dafür findet.
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Älter als gedacht
Am 24. Februar feierte Neumeier seinen 78. Geburtstag - nicht seinen 75., wie es noch in vielen Lexika steht. Erst jüngst gab er öffentlich zu, bei seiner Einreise nach Europa im Jahr 1962 geschwindelt zu haben. Er hoffte damals, von den Behörden nicht abgewiesen zu werden, wenn er sich jünger machte. Das hat funktioniert und dazu beigetragen, dass Hamburg heute ein Ballett-Zentrum geworden ist.
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Am 24. Februar feierte er seinen 78. Geburtstag - nicht seinen 75., wie es noch in vielen Lexika heißt. Erst jüngst gab John Neumeier zu, bei seiner Einreise nach Europa im Jahr 1962 ein falsches Geburtsjahr angegeben zu haben. Er hoffte damals, von den Behörden nicht abgewiesen zu werden, wenn er sich jünger machte.
John Neumeier steht für klassisches Ballett mit modernen Elementen. In Hamburg hat er eine Compagnie um sich geschart, die ihresgleichen sucht und genau das umsetzt, was Neumeier will. Seine Werke sind nicht politisch. Diesen Anspruch hat der Tänzer und Choreograf aus Milwaukee auch gar nicht. Er strebt die perfekte, bis aufs kleinste Detail durchdachte Kombination von Bewegung und Musik an.
Ein Leben für den Tanz
Der Tanz ist Neumeiers Leidenschaft, seit er denken kann. Er ist sein Leben. Alles in seinem Leben scheint sich nur um den Tanz zu drehen. Eine Familie hat er nie gegründet. Nach seiner eher kurzen Karriere als Solo-Tänzer, begann seine bis heute andauernde Karriere als Choreograf. Er wurde Ende der 1960er mit Anfang 30 Deutschlands jüngster Ballett-Direktor in Frankfurt. Das fiel in eine Zeit, als andere junge Männer und Frauen auf die Straße gingen, gegen den Vietnam-Krieg protestierten, gegen das Establishment, gegen Politiker und Wirtschaftsführer, die schon unter dem NS-Regime an der Macht gewesen waren, gegen eine Gesellschaft, der sie sich nicht zugehörig fühlten. Unterdessen tanzte John Neumeier, erfand neue Choreografien für altbekannte Stoffe wie William Shakespeares "Romeo und Julia".
Ballett-Imperium an der Elbe
Der damalige Direktor der Hamburger Staatsoper erkannte Neumeiers Talent und lockte ihn nach Hamburg. Unzählige weitere Choreografien entstanden unter seiner Leitung. Was auf der Bühne geschieht, formt Neumeier zu einem Gesamtkunstwerk. Nicht nur die Bewegungen der Tänzer, auch ihre Kostüme und die Beleuchtung stimmt er aufeinander ab. So erarbeitete er sich einen guten Ruf, der ihm auch einige Privilegien zugestand. Er baute sich in Hamburg ein Ballett-Imperium auf, mit einem Ausbildungszentrum, einer Stiftung, einem Festival und dem Bundesjugendballett.
Diener des Ballett
Neumeier hat mehr als 150 Ballette entwickelt, die weltweit rezipiert, getanzt und geschätzt werden. Dem "Zeit Magazin" sagte er einmal, dass er dem Tanz dienen wolle. Das klingt nach Pflichtgefühl, nach Gefolgschaft, als ob er dem Tanz etwas schuldig wäre. Dabei ist er ein Künstler, der gar nicht anders kann, als sich voll und ganz seiner Leidenschaft hinzugeben. So bezeichnet er auch nicht seine Geburtsstadt Milwaukee als Heimat, nicht Hamburg, wo er seit mehr als 40 Jahren lebt, sondern den Ort, an dem er wohl die meiste Zeit seines Lebens verbracht hat: den Probensaal.