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Wie der Westen russisches Geld für die Ukraine nutzen will

Nik Martin
13. Juni 2024

Beim G7-Gipfel in Italien haben sich die Staats- und Regierungschefs darauf verständigt, mit den Zinsen aus eingefrorenen russischen Vermögenswerten ein Darlehen an Kiew zu finanzieren. Aber dürfen sie das überhaupt?

Russische Rubel-Münzen und Scheine
Kurz nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine hat der Westen 300 Milliarden Dollar russischer Vermögenswerte eingefrorenBild: Yelena Afonina/TASS/dpa/picture alliance

Die Finanzierung der ukrainischen Verteidigung gegen die russische Invasion hat sich in den vergangenen zweieinhalb Jahren zu einem politisch zunehmend umstrittenen Thema entwickelt: Die Unterstützer der Ukraine haben bereits 297 Milliarden Euro (321 Milliarden Dollar) an Hilfen zugesagt. Doch das Land braucht deutlich mehr.

Im April hat der US-Kongress ein Hilfspaket in Höhe von 61 Milliarden Dollar für Kiew genehmigt. Vorausgegangen war ein monatelanger Streit darüber, ob das Geld nicht besser im eigenen Land ausgegeben werden sollte. Ähnliche Diskussionen gab es auch während der EU-Wahlen am vergangenen Wochenende, bei denen rechte Parteien zulegen konnten.

Auch taten sich die USA und die Europäische Union lange schwer mit der Frage, was mit den umgerechnet 300 Milliarden Dollar an Vermögenswerten der russischen Zentralbank geschehen sollte, die im Rahmen der westlichen Sanktionen kurz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine beschlagnahmt worden waren.

Washington wollte das größtenteils in Europa eingefrorene Geld zur Finanzierung der ukrainischen Kriegsanstrengungen verwenden. Brüssel lehnte das ab und verwies auf die unklare Rechtslage, weil sich der Westen nicht mit Russland im Krieg befindet.

Der Kompromiss

"Diese Gelder werden niemals an Russland zurückgegeben werden, jedenfalls nicht, solange Wladimir Putin Präsident ist", sagt Jacob Kirkegaard, Senior Fellow im Brüsseler Büro der Denkfabrik German Marshall Fund, zur DW. "Doch es gibt weder politisch noch rechtlich die Bereitschaft, das auch so klar zu sagen".

Nach zweijährigem Ringen steht nun im Rahmen des G7-Treffens ein Kompromiss zur Debatte, wobei viele Details noch unbekannt sind. Der Plan sieht vor, die Zinserträge aus den eingefrorenen Vermögenswerten zu nutzen, um einen Kredit zu finanzieren. 

Die Ukraine würde demnach einen Kredit in Höhe von 50 Milliarden Dollar erhalten, während die 300 Milliarden Dollar aus Russland selbst nicht angetastet würden. Ob der Zinsertrag von geschätzt einigen Milliarden pro Jahr genützt würde, den Kredit zurückzuzahlen oder nur zu sichern, ist noch unklar.

"Die Ukraine hat ein enormes Haushaltsdefizit in Höhe von 20 bis 30 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung", sagt Yuriy Gorodnichenko, ukrainischer Wirtschaftswissenschaftler an der Universität von Kalifornien in Berkeley, zur DW.

Zum Vergleich: In Griechenland betrug das Haushaltsdefizit selbst auf dem Höhepunkt der Schuldenkrise nicht mehr als 14 Prozent.

"Ein Defizit wie das der Ukraine lässt sich kaum intern finanzieren", sagt Gorodnichenko. "Wir haben keine entwickelten Finanzmärkte, der Wirtschaft geht es nicht gut, und die Preise vieler Vermögenswerte sind im Keller. Wir brauchen daher internationale Unterstützung für diesen Krieg."

Die ukrainische Regierung benötige jährlich 100 bis 150 Milliarden Dollar für die Führung des Landes und den Krieg, habe aber in den ersten beiden Monaten des Jahres fast keine Hilfe erhalten. Das, so Gorodnichenko, habe "zu einer großen Unsicherheit darüber geführt, wie viel Geld überhaupt zur Verfügung steht für den internen Bedarf und die Finanzierung von Waffen".

Schlimmer noch: Der vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) erstellte "Ukraine Support Tracker" enthüllte kürzlich, dass nur die Hälfte der von der US-Regierung zuletzt zugesagten 61 Milliarden Dollar direkt an die Ukraine gehen. Der Rest fließt in die Kassen des US-Verteidigungsministeriums. Auch bei den Zusagen anderer Länder gibt es große Diskrepanzen.

Kompromiss bindet Kapital für Jahre

Ein nun angekündigter Kredit über 50 Milliarden Dollar mag in Kiew willkommen sein. Doch selbst diese Kompromisslösung stellt die politischen Entscheidungsträger vor Herausforderungen. Um den Kredit zurückzuzahlen oder zu sichern, müsste nämlich sichergestellt werden, dass die Zinsen auf die eingefrorenen Vermögenswerte viele Jahre lang fließen.

"Wenn man heute eine Verbriefung vornimmt und eine Anleihe auf Grundlage der künftigen Erträge gibt, dann muss man garantieren, dass die zugrunde liegenden Vermögenswerte für 10 bis 20 Jahre eingefroren bleiben", so Kirkegaard.

"Jemand muss also garantieren, dass diese Vermögenswerte in der Zwischenzeit nicht an Russland zurückgegeben werden. Sagen wir also ganz offen, dass Russland sein Geld nicht zurückbekommt, und stellt das eine Beschlagnahmung durch die Hintertür dar?". 

Kirkegaard glaubt zudem, dass es schwierig sein könnte, den Kapitalbetrag nach dem Krieg zu nutzen, um den Wiederaufbau der Ukraine zu finanzieren - schließlich wird er ja noch jahrelang benötigt, um den Zinsertrag sicherzustellen.

Ukrainische Soldaten kämpfen im Süden und Osten des Landes einen zermürbenden Abnutzungskrieg (Archivbild vom Januar)Bild: Stringer/REUTERS

Ukraine-Hilfe vor Trump sichern

Ein Darlehen für die Ukraine würde dem Westen aus einer Finanzierungslücke helfen. Die EU hatte im vergangenen Jahr Mühe, ausgebliebene Zahlungen der USA auszugleichen.

Kurzfristig würde der Kredit-Kompromiss die Hilfe für die Ukraine auch einigermaßen Trump-sicher machen. Der ehemalige US-Präsident Donald Trump hatte angekündigt, die Unterstützung für Kiew zu kürzen, falls er im November wiedergewählt würde. In letzter Zeit hat er seine Rhetorik in Bezug auf Finanzhilfen für Kiew aber wieder abgeschwächt.

"Die US-Wahlergebnisse könnten für die Ukraine nicht besonders günstig ausfallen, daher wollen sie [die G7-Staats- und Regierungschefs] die Finanzierung für mindestens ein weiteres Jahr sicherstellen", sagt Gorodnichenko. "Letztendlich müssen unsere europäischen Partner jedoch eine politische Entscheidung darüber treffen, ob sie auf das Grundkapital der russischen Vermögenswerte zugreifen wollen oder nicht."

Die Ukraine wird wahrscheinlich noch mehrere Jahre lang Hilfe benötigen, einschließlich Milliarden für den Wiederaufbau der durch den Krieg beschädigten Städte und Energieinfrastruktur.

Steuererhöhungen unvermeidbar

Auch aktuell hat die ukrainische Regierung ein Finanzierungsproblem. Eigentlich wollte sie es unbedingt vermeiden, mitten im Krieg auch noch die Steuern zu erhöhen, weil das die ohnehin schwache Wirtschaft noch zusätzlich belastet. Jetzt aber laufen die Vorbereitungen, um Einkommens-, Verbrauchs- und Umsatzsteuer sowie einige indirekte Abgaben anzuheben.

Auch Russland hat die Steuern erhöht, um seine Kriegsmaschinerie weiter zu finanzieren. Analysten gehen davon aus, dass der Kreml in den nächsten zwei Jahren mit ernsthaften Haushaltsengpässen konfrontiert sein wird. Sie fordern Washington und Brüssel deshalb auf, der Ukraine einen Vorteil zu verschaffen, indem sie die gesamten 300 Milliarden Dollar verwenden, die 2022 eingefroren wurden.

"Auf die eine oder andere Weise wird Russland für seine Handlungen in der Ukraine zur Verantwortung gezogen werden", sagt der ukrainische Ökonom Gorodnichenko. "Man kann entweder zehn Jahre warten und dann Geld an die Ukraine überweisen, oder man ist effektiv und macht es jetzt."
 

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.

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