Wie Deutschland sein Drohnen-Problem lösen will
2. Oktober 2025
"Wir hinken alle hinterher, was die Abwehr von Drohnen angeht", räumte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) kürzlich ein. Nachdem in den vergangenen Wochen russische Drohnen in den Luftraum mehrerer NATO-Länder eingedrungen sind, ist die Verunsicherung groß. Auch über Deutschland wurden wiederholt mutmaßlich russische Drohnen gesichtet. Es werde alles getan, versicherte Pistorius im Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF), "um diesen Rückstand aufzuholen".
Woran liegt es, dass die Drohnenabwehr in Deutschland so schlecht aufgestellt ist? Zum einen an der Ausrüstung, die für die Abwehr von Drohnen benötigt wird. Eindringende Drohnen mit Kampfflugzeugen abzuschießen, wie Polen es kürzlich getan hat, ist möglich, aber teuer und über bewohntem Gebiet gefährlich.
Warten auf den Skyranger
Besser geeignet ist der Flugabwehrpanzer Skyranger 30 von Rheinmetall, der rasch verlegt werden und auch Drohnenschwärme bekämpfen kann. 19 Stück hat die Bundeswehr davon bestellt, die erst ab 2027 geliefert werden. Militärexperten schätzen den Bedarf wesentlich höher ein.
Sein Vorgänger, der Flakpanzer Gepard, wurde von der Bundeswehr schon vor Jahren ausgemustert und später an die ukrainischen Streitkräfte weitergegeben. Sie wehren damit äußerst effizient russische Drohnenangriffe ab.
Neben Störsendern sind auch bestimmte Drohnen ein wirksames Mittel gegen Drohnen. Neu eingetroffen bei der Bundeswehr sind Abfangdrohnen aus deutscher Produktion, die gegnerische Drohnen mit Netzen "einfangen".
"Wir müssen zu einer mehrschichtigen Verteidigung gelangen, bei der es verschiedene Möglichkeiten gibt, Drohnen abzuschießen oder zum Absturz zu bringen - elektronische Gegenmaßnahmen, kinetische Maßnahmen und dann Low-Tech-Maßnahmen wie Netzwerfer", sagt Drohnen-Expertin Ulrike Franke vom European Council on Foreign Relations der DW.
Geteilte Zuständigkeiten für die Drohnenabwehr
Eine weitere Schwierigkeit, mit der Deutschland bei der Drohnenabwehr zu kämpfen hat, liegt in den Zuständigkeiten. Die sind auf die Bundeswehr und die Polizeibehörden der 16 Bundesländer verteilt.
Die Abwehr von Angriffen von außen, etwa durch Kampfflugzeuge oder große Drohnen, fällt in den Bereich der Bundeswehr. Auch wenn Drohnen über militärischen Liegenschaften auftauchen, darf die Armee tätig werden.
In allen anderen Fällen ist die Drohnenabwehr die Aufgabe der Polizei, die für die innere Sicherheit zuständig ist. Spioniert eine Drohne etwa einen deutschen Flughafen oder eine Industrieanlage aus, kann nicht die Bundeswehr gerufen werden.
Die Polizei hat zwar ebenfalls Mittel zur Drohnenabwehr, steht aber vor der Herausforderung, diese möglichst schnell an den Ort zu bringen, an dem die Drohne gesichtet wurde. Einen flächendeckenden "Drohnen-Schutzschirm" über Deutschland einzurichten, halten Sicherheitsexperten für unrealistisch.
Bekommt Deutschland ein Drohnen-Abwehrzentrum?
Die historisch gewachsene Trennung der Aufgaben von Militär und Polizei ist in der deutschen Verfassung festgeschrieben. Angesichts der aktuellen Bedrohungen soll die Bundeswehr bei der Drohnenabwehr nun mehr Kompetenzen erhalten: Sie soll der Polizei Amtshilfe leisten dürfen, so die Pläne von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU), etwa durch den Abschuss von Drohnen.
Das Luftsicherheitsgesetz soll entsprechend geändert werden. Zudem schlägt Dobrindt vor, ein neues Drohnen-Abwehrzentrum zu schaffen, das die Arbeit von Bund und Ländern koordiniert.
Erstmals werden Kampfdrohnen gekauft
Nicht nur bei der Drohnenabwehr, sondern auch bei der Ausrüstung mit Drohnen drückt die Bundeswehr auf Tempo. Ende des Jahres werde sie das erste Mal mit bewaffneten Drohnen "scharf schießen", erklärte kürzlich Generalinspekteur Carsten Breuer, der ranghöchste deutsche Soldat.
Im März wurde die Entscheidung getroffen, sogenannte Kamikazedrohnen für die Truppe zu beschaffen. Das sind mit Gefechtsköpfen versehene Fluggeräte, die beim Auftreffen auf ihr Ziel explodieren. Für Deutschland ist das Neuland.
Von der Ukraine lernen
Ohne Drohnen ist kein Krieg mehr zu führen - das hat sich in der Ukraine schon bald nach dem russischen Großangriff im Februar 2022 gezeigt. Sie werden dort zu Hunderttausenden eingesetzt. An der Front zerstören kleine, mit Sprengstoff beladene Kamikazedrohnen teureres Kriegsgerät. Der umfassende Einsatz von Aufklärungsdrohnen führt dazu, dass keine Bewegung des Gegners mehr unbemerkt bleibt. Dieses "gläserne Gefechtsfeld" hat die Kriegsführung radikal verändert.
Drohnen-Expertin Ulrike Franke empfiehlt, sich die Ukraine zum Vorbild zu nehmen: "Es ist absolut klar, dass die NATO-Staaten auf die Ukraine schauen und von der Ukraine lernen müssen, was die Fähigkeit betrifft, Drohnen schnell einzusetzen, herzustellen und zu modifizieren", sagt sie der DW. Das gleiche gelte für die Abwehr von Drohnen.
Ukraine-Krieg bringt die Entscheidung, Drohnen zu bewaffnen
Die Bundeswehr muss diese Entwicklungen nun im Eiltempo nachvollziehen. Wegen politischer Bedenken hat sie lange darauf verzichtet, Angriffsdrohnen zu beschaffen. Die Kritiker fürchteten, dass die Hemmschwelle für den Einsatz militärischer Gewalt durch die unbemannten, aus der Ferne gesteuerten Fluggeräte sinken könne. Auch die autonomen Funktionen, über die viele Drohnen verfügen, lösten Skepsis aus.
Erst durch den Krieg in der Ukraine änderte sich das. 2022 entschied die damalige Bundesregierung, erstmals Drohnen für die Bundeswehr zu bewaffnen. Sie orderte Lenkwaffen für fünf Heron TP, das sind flugzeuggroße Drohnen aus israelischer Produktion. Bis dahin nutzte die Bundeswehr ausschließlich (unbewaffnete) Aufklärungsdrohnen.
Es sollte bis Anfang dieses Jahres dauern, bis die Entscheidung fiel, auch Kamikazedrohnen einzukaufen. Damit "beginnt für die Bundeswehr eine neue Ära", heißt es im Verteidigungsministerium. Dort laufen die kleinen Einwegdrohnen unter dem Begriff "Loitering Munition", was sich mit "herumlungernde Munition" übersetzen lässt. Gemeint ist das Kreisen der Drohne über dem Ziel, bevor sie sich darauf stürzt und explodiert.
Die Kategorisierung der Kamikazedrohnen als "Munition" hat ganz praktische Gründe: Munition wird verschossen und ist damit verbraucht. Eine größere Drohne hingegen gilt als unbemanntes Luftfahrzeug. Mit Blick auf die Flugsicherheit und die Zertifizierung des Personals gelten für Luftfahrzeuge deutlich höhere technische Anforderungen, die damit umgangen werden.
Schnelle Innovationszyklen erschweren die Beschaffung
Bei der Bundeswehr wurde bereits damit begonnen, den Einsatz und die Abwehr von Drohnen zu trainieren. Sie gilt neuerdings als "Jedermann-Befähigung", die jede Soldatin, jeder Soldat beherrschen muss. Dafür und für den unmittelbaren Bedarf wird eine bestimmte Anzahl von Drohnen angeschafft.
Darüber hinaus will die Bundeswehr darauf verzichten, tausende Drohnen ins Depot zu legen. In diesem Bereich entwickelt sich die Technologie so schnell weiter, dass der übliche Weg der Rüstungsbeschaffung - langer Vorlauf, lange Nutzung - kontraproduktiv wäre. Deshalb wird mit den Herstellern vertraglich vereinbart, dass sie bei Bedarf zügig hohe Stückzahlen liefern, die dann dem neuesten Standard entsprechen.
Es überrascht nicht, dass deutsche Start-ups aus der KI-Branche bei diesem Großauftrag die erste Wahl sind. Darunter ist das 2021 gegründete Unternehmen Helsing aus München, das bereits mehrere Tausend Kampfdrohnen für die Ukraine produziert hat.