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Deutschland und das russische Öl

Nicolas Martin
2. Mai 2022

Erst Kohle, jetzt Öl? Bisher konnte sich die EU trotz Bitten der Ukraine nicht auf einen Importstopp für russisches Öl verständigen. Nach grünem Licht aus Berlin rückt aber ein Öl-Embargo der EU immer näher.

Erdöl-Pipeline Druschba in der Raffinerie PCK SChwedt
Erdöl-Pipeline Druschba in der Raffinerie PCK SChwedtBild: picture-alliance/dpa/P. Pleul

EU prüft kompletten Ölverzicht aus Russland

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Für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ist klar: "Ein Ölembargo gegen Russland ist ein Muss." Jedes neue Sanktionspaket, das Öl nicht einschließe, werde in Moskau "mit einem Lächeln aufgenommen", so das Mantra aus Kiew in Richtung EU. In einer Videoansprache Mitte April hatte Selenskyj den Druck noch einmal erhöht: "Das nächste Sanktionspaket gegen Russland muss einen Verzicht auf russisches Öl beinhalten." Doch anders als beim Importstopp auf Kohle zögerte die EU, auch die Einfuhren von Öl zu beenden. Zu groß ist die Furcht vor den wirtschaftlichen Schäden. Während die USA, Kanada oder Australien diesen Schritt schon gegangen sind, hatte die Bundesregierung ein EU-Öl-Embargo immer wieder abgelehnt - bis jetzt.

In den vergangenen Wochen ist nämlich der Anteil russischen Öls am deutschen Ölverbrauch von 35 auf 12 Prozent gesunken - das hat Wirtschaftsminister Robert Habeck am Sonntag (01.05.) im neuen Fortschrittsbericht Energiesicherheit unterstrichen. Und damit rückt auch ein Öl-Embargo gegen Moskau wegen des Angriffs auf die Ukraine immer näher. Spätestens am Mittwoch will die EU-Kommission von Ursula von der Leyen ihren Vorschlag für ein neues Paket mit Russland-Sanktionen präsentieren. Darin ist nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa die Einführung eines Ölembargos enthalten.

Deutschlands Rohöl-Zentrum

Von Anfang an hatte die Bundesregierung bei der Diskussion über ein Öl-Embargo die Folgen für die Treibstoff-Versorgung im Nordosten Deutschlands im Blick. Im brandenburgischen Schwedt - an der Grenze zu Polen - liegt eines der Zentren für die Versorgung der Region mit Produkten, die aus russischem Rohöl gewonnen werden. Nach eigenen Angaben stammen knapp 90 Prozent des Benzins, Kerosins, Diesels und Heizöls der ganzen Region aus der sogenannten PCK-Raffinerie. Dort wird russisches Rohöl laut den Betreibern zu knapp 20 unterschiedlichen Kraftstoffen weiterverarbeitet.  

"Wir bewegen Berlin und Brandenburg", heißt es auf der Homepage. Die Anlage bekommt ihr Öl direkt aus Russland über die Druschba-Pipeline. Die Verarbeitung ist komplett auf den hohen Schwefelgehalt des russischen Öls eingestellt. Eine Umstellung auf andere Qualitäten ist relativ aufwendig. Ein entscheidender Knackpunkt ist der Eigentümer der Raffinerie in Schwedt. Die PCK-Raffinerie gehört mehrheitlich dem russischen Staatskonzern Rosneft. "Und die haben natürlich gar keine Interessen daran, dass sie nicht russisches Öl raffinieren", sagte Habeck dieser Tage in einer Videobotschaft auf Twitter.

"Wenn ich da anrufe und sage: "Hallo, was wollt ihr eigentlich tun, um unabhängig von russischem Öl zu werden?, dann nehmen die den Hörer gar nicht ab." Die Bundesregierung erwägt deshalb als letztes Mittel eine Enteignung. Grundlage soll eine Novelle des Energiesicherungsgesetzes sein, die bis Mitte Mai beschlossen sein könnte. Habeck scheint davon auszugehen, dass die Hürde Rosneft relativ schnell zu nehmen ist: "Die Beendigung der Abhängigkeit von russischen Rohölimporten zum Spätsommer ist realistisch."

Schwedt: Nur ein Landepunkt von vielen für russisches Öl

Auch die Raffinerie in Leuna in Sachsen-Anhalt ist auf die Verarbeitung von russischem Rohöl ausgelegt. Hier wird ebenfalls unter Zeitdruck an Lösungen für die Zeit nach einem Ölembargo für die Großanlage gesucht, die rund 1300 Tankstellen in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen beliefert. Der Leuna-Betreiber Totalenergies ist aber zuversichtlich, dass man russisches Öl bis zum Jahresende ersetzen kann, möglicherweise sogar noch schneller, wie Habeck ebenfalls in der Videobotschaft sagte.

Allein in Schwedt werden rund 12 Millionen Tonnen Rohöl im Jahr verarbeitet - das ist mehr als ein Drittel der jährlichen Öleinfuhren aus Russland. Die beliefen sich bis zum russischen Angriff auf die Ukraine nach Recherchen des Bayerischen Rundfunks konstant auf rund 30 Millionen Tonnen Rohöl jährlich. Im letzten Quartal des vergangenen Jahres hat Deutschland so mehr als eine Milliarde Euro nach Moskau überwiesen - allein für Öl.

"Aus technischer Sicht wäre eine alternative Versorgung der Schwedt-Raffinerie über den Hafen Rostock und Danzig möglich", heißt es im Energiesicherheitsbericht. Eine Pipeline für Tankeröl aus Rostock könnte 60 Prozent des Bedarfs in Schwedt decken, mit einer Erweiterung möglicherweise bis zu 90 Prozent, schreibt auch der Energieexperte Steffen Bukold in einer Studie für Greenpeace.

Die EU und das schwarze Gold aus Russland

Insgesamt bezog die EU 2019 ein Viertel ihres Ölbedarfs aus Russland (siehe Grafik). Deutschland stellt 36 Prozent der benötigten Energie mit Öl her und ist damit im europäischen Mittelfeld. Anders ist das beispielsweise bei Malta, Zypern oder auch Griechenland. In Griechenland macht Öl  nach europäischen Daten mehr als die Hälfte des Energiemixes aus. In Malta und Zypern sind es mehr als 80 Prozent. Ein Großteil der Einfuhren dort stammt wegen der geografischen Nähe aus Russland. Bei früheren Sanktions-Verhandlungen auf EU-Ebene hatten vor allem Ungarn, Deutschland und Österreich gemauert. Auch Schweden, Dänemark und Finnland taten sich schwer mit einem Ölboykott. 

Öl ist trotzdem für die EU zumindest theoretisch leichter zu ersetzen als Gas, denn es lässt sich vergleichsweise einfach auf Tankschiffe laden und um die ganze Welt transportieren, sagt Kai Eckert vom Energie Informationsdienst zur DW. Anders als beim sogenannten Flüssiggas (LNG) ist die Infrastruktur dafür vorhanden. Dennoch werde sich das Öl dadurch verteuern. "Über die Druschba-Pipeline ist Öl aus Russland ja zu einem recht stabilen Transportkostenpreis geliefert worden. Schwenkt man nun bei den Importen auf andere Länder um, wird dies fast nur über den Seeweg gehen und dort sind die Transportkosten und die Lieferzeiten höher, was sich dann auch beim Preis niederschlagen wird", sagt Eckert.

Öl-Diplomatie in Zeiten des Krieges

Doch könnte das Öl überhaupt innerhalb kurzer Zeit ersetzt werden? Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) bezog die EU im Jahr 2021 täglich 2,2 Millionen Barrel Rohöl und 1,2 Millionen Barrel Ölprodukte aus Russland. Kai Eckert geht davon aus, dass es möglich ist, die Ölmengen über andere Regionen zu beziehen. Derzeit suchen Deutschland und auch die EU nach Alternativen. Unter anderem war Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in den Emiraten unterwegs. Könnte als nächstes Venezuela oder der Iran folgen? Falls ja, müssten alte Sanktionen wieder rückgängig gemacht werden. Zumindest mit den USA haben die EU einen demokratischen Partner, der derzeit bereits die Fördermenge erhöht.

Und dann ist da auch noch die OPEC. Kurzfristig zwei Millionen Barrel könnte das Öl-Kartell zusätzlich fördern, sagt Barbara Lambrecht, Rohstoffexpertin der Commerzbank auf DW-Anfrage. Doch die Mitgliedschaft Russlands im erweiterten OPEC+-Kreis sei das Problem, so Lambrecht: "Hier wurde bisher kein Bruch riskiert: Stattdessen hält man bis zuletzt an der lediglich graduellen Ausweitung der Ölproduktion fest." Der OPEC-Generalsekretär erteilte der EU jüngst eine Absage. Man könne die russischen Importe der EU nicht einfach ersetzen. 

Öl ist für Putin zentrale Einnahmequelle

Die Öleinnahmen Russlands machten im abgelaufenen Jahr rund 30 Prozent des russischen Staatshaushalts aus. Zum Vergleich: Das deutlich schwerer ersetzbare Gas spielt nur sechs Prozent des jährlichen Budgets Moskaus ein. Nach Berechnungen der europäischen Denkfabrik Bruegel importiert die EU derzeit Öl im Wert von 450 Millionen Euro täglich. Ein Ausbleiben dieser Einnahmen könnte Moskau erheblich schwächen.

"Öl befeuert den Krieg", heißt es bei einer Protestaktion von Greenpeace Ende MärzBild: Frank Molter/dpa/picture alliance

Strittig ist allerdings, wie schnell Moskau die Ausfälle wieder durch neue Partner ersetzen kann. "Russland bräuchte Zeit, sich neue Absatzmärkte zu suchen", sagt Commerzbank-Expertin Lambrecht. Hinzu käme, dass die beim Transport deutlich günstigeren Pipelines Russlands - wie die Druschba-Leitung - in die EU wohl nicht mehr genutzt werden könnten.

Moskau befindet sich also kurz- und mittelfristig in einer ähnlichen Übergangsphase wie die EU. Die zentrale Frage ist deshalb wohl, ob Moskau die frei werdenden russische Ölreserven doch verkaufen kann. Kai Eckert geht davon aus: "Vielleicht mit preislichen Abschlägen, aber das Öl wird weiterhin seine Käufer finden."

Eine Frage des Preises

Eine zentrale Rolle könnte dabei China zukommen. Dort ist der Energiehunger weiterhin groß. Bei der Commerzbank beobachtet man derzeit, dass Indien schon einige "deutliche Mengen" gekauft habe. Dennoch finden sich neue Käufer nur "allmählich", so Lambrecht. Die Tagesproduktion von Öl in Russland sei gefallen. Bei neuen Partnern würden die Handelswege länger "und dadurch sind Tanker länger unterwegs. Das bindet Kapazitäten. Zudem fahren viele Reedereien aus Sicherheits- und Reputationsgründen russische Häfen derzeit nicht an."

Voll auf russisches Öl eingestellt: Die Raffinierie in SchwedtBild: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/picture alliance

Die meisten Experten sind sich aber einig, dass ein Importstopp der EU die Preise für Öl noch weiter in die Höhe treiben könnte. Für Russland könnte ein steigender Preis für Öl die ausbleibenden Einnahmen durch die EU-Exporte kompensieren. Sollte es so kommen, wären die gewünschten Effekte verpufft. Verkauft Russland aber tatsächlich auch mittelfristig deutlich weniger und stabilisiert sich der Preis, wäre das Ziel der EU erreicht und Putin empfindlich getroffen.

Deutschland hat Reserven

Die Zeiten des billigen Öls durch Pipelines aus Russland sind so oder so gezählt. Wirtschaftsminister Habeck will, dass Deutschland bis zum Jahresende "nahezu unabhängig" von russischen Ölimporten ist. Noch sind viele Details offen, wie das gelingen kann. Der Ausbau der Erneuerbaren dauert länger, die alternativen Quellen sind noch nicht geklärt. Ähnlich dürfte es vielen Ländern in der EU gehen. Doch der Außenbeauftragte der EU, Josep Borrell, machte jüngst klar, dass man an einer schnellen Öl-Lösung arbeite. "Nichts ist vom Tisch, einschließlich Sanktionen für Öl und Gas", so Borrell. 

Sollte der Importstopp früher kommen, verfügt Deutschland immerhin auch über eine nationale Ölreserve, die vor 50 Jahren wegen der Ölkrise angelegt wurde. Damit könne man 200 Tage ohne Russland über die Runden kommen, so ein Papier aus dem Bundeswirtschaftsministerium, aus dem das Handelsblatt zitiert. Allerdings geht aus dem Papier auch hervor, dass die Rohölqualität und Transportmöglichkeiten nicht in die Planung einbezogen worden seien. Heißt im Umkehrschluss: Gerade für Pipeline-abhängige Standorte wie Schwedt könnte es bei einem plötzlichen Importstopp eng werden. 

Dennoch wäre der wirtschaftliche Schaden zumindest für Deutschland überschaubar. Der Widerstand in Berlin hatte offenbar andere Gründe: dass Putin bei einem Öleinfuhrstopp der EU als Gegenreaktion Europa das Gas abdreht. Und das hätte für viele Länder und vor allem Deutschland massive Auswirkungen. 

Dieser Artikel wurde am 16.04.2022 veröffentlicht und am 02.05.2022 aktualisiert.

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