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Politik

Die Stunde der Globalisierungsskeptiker

Helena Kaschel
30. November 2016

Europäische Rechts-Populisten wie die Französin Marine Le Pen und der Österreicher Norbert Hofer erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Eine neue Studie zeigt, was sie stark macht: die Angst vor einer verflochtenen Welt.

Marine Le Pen
Hat eine realistische Chance auf das französische Präsidentenamt: Marine Le Pen vom Front NationalBild: Picture-Alliance/AP Photo/C. Paris

Falls Norbert Hofer am kommenden Sonntag österreichischer Bundespräsident wird, wäre das ein weiterer Stein in einem Mosaik, das ein immer deutlicheres Bild ergibt: Nicht erst seit dem Brexit-Referendum in Großbritannien oder der Wahl von Donald Trump in den USA verlieren etablierte Parteien an Boden, während in vielen Ländern Europas rechtsnationale Parteien massiven Zulauf verzeichnen - ob Front National, FPÖ, Forza Italia oder Ukip.

In Frankreich hat Marine Le Pen eine realistische Chance, bei der Wahl im kommenden Jahr ihren konservativen Herausforderer François Fillon zu schlagen. In Österreich liegt Populist Norbert Hofer mit Konkurrent Alexander van Bellen gleichauf. Und in den Niederlanden, wo ebenfalls 2017 gewählt wird, liegt die Partei des islamophoben Geert Wilders bei etwa 30 Prozent.

Tradition und Angst treiben Anti-Kosmopoliten

Warum wachsen die Wählersympathien für rechte Außenseiter so rasch? Warum nimmt der Populismus in Europa auch über Ländergrenzen hinweg zu? Um das herauszufinden, hat die Bertelsmann-Stiftung knapp 15.000 Menschen in den neun größten EU-Mitgliedsstaaten befragt.Das Ergebnis: Die zwei treibenden Kräfte hinter dem Erfolg von Rechtspopulisten sind traditionelle Werte und die Angst vor Globalisierung. 

Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders steht wegen diskriminierender Äußerungen vor GerichtBild: picture-alliance/dpa/EPA/M. Beekman

Letztere spaltet den Kontinent: Mit 45 Prozent empfindet fast die Hälfte der europäischen Bevölkerung die Globalisierung als Bedrohung. "Die Menschen haben das Gefühl, von der Globalisierung zurückgelassen worden zu sein und von den politischen Eliten nicht mehr beachtet zu werden," schreiben die Autoren der Studie. Angst hätten die Globalisierungspessimisten vor allem vor Migration, obwohl sie "viel weniger Kontakt mit Ausländern [haben] als diejenigen, die die Globalisierung als Chance wahrnehmen."

Deutsche sind Globalisierungsoptimisten

In Frankreich und Österreich sind die besorgten Bürger in der Überzahl. In beiden Ländern hat über die Hälfte der Befragten Angst vor ökonomischem Abstiegund einer international verflochtenen Welt. Spanien und Italien sind - trotz schwächelnder Wirtschaft - tendenziell eher Globalisierungsoptimisten, Großbritannien ebenso.

In Deutschland liegen die Globalisierungsoptimisten mit einer knappen Mehrheit von 55 Prozent vorne - noch. "Wir sind eine der wenigen Volkswirtschaften in der EU, die ansehnlich gewachsen ist. Wir haben einen Arbeitsmarkt, wie wir ihn seit 25 Jahren nicht gehabt haben und das verschwimmt in der Wahrnehmung der Bevölkerung, die Globalisierung generell als positiv ansieht", sagt Demokratieforscher Wolfgang Merkel vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Der Protest gegen Freihandelsabkommen wie TTIP und CETA sei dafür in Deutschland viel größer gewesen als in anderen Ländern, allerdings eher bei der gebildeten Mittelschicht.

Globalisierungsskeptiker wählen rechtsaußen

Ein weiteres, wenig überraschendes Ergebnis der Studie: Die meisten Globalisierungsskeptiker gibt es unter den Anhängern rechtsnationaler und populistischer Parteien. Mindestens die Hälfte der Anhänger der britischen Ukip, der italienischen Forza Italia und des französischen Front National sehen die Öffnung von Grenzen für Menschen, Dienstleistungen, Kapital und Güter kritisch. Spitzenreiter ist die AfD: 78 Prozent ihrer Anhänger sind Globalisierungsgegner.

"Die westeuropäischen Demokratien werden nicht scheitern", meint Demokratieforscher Wolfgang MerkelBild: David Ausserhofer

Die Angst vor Globalisierung bestimmt auch die politische Einstellung der Befragten. Kurz gesagt: Wer Globalisierung fürchtet, würde auch einen EU-Austritt unterstützen, hat wenig Vertrauen in die Politik und hält in 34 Prozent der Fälle den Klimawandel für einen falschen Alarm - eine Weltanschauung, die sich auch in der Rhetorik von Rechtspopulisten wiederfindet.

Ist damit das Ende europäischer Demokratien eingeläutet? Wolfgang Merkel meint: nein. "An rechtspopulistischen Parteien werden Demokratien wie Schweden, die Niederlande, Deutschland oder Italien nicht scheitern. Aber wir sehen, dass mit Polen und Ungarn zwei jüngere osteuropäische Demokratien gewissermaßen zur Anfangsbeute rechtspopulistischer Politik geworden sind."

Westeuropäische Demokratien trotz Rechtsruck "stabil"

Auch westeuropäische Gesellschaften hätten viele Herausforderungen zu meistern und müssten "ökonomische und kulturelle Verlierer" besser repräsentieren. Insgesamt hält Wolfgang Merkel sie aber für "stabil" - trotz eines europaweiten Rechtsrucks, der womöglich gerade erst richtig begonnen hat.