Eismumien, Waffen, ganze Siedlungen – viele Sensationsfunde werden erst durch den Klimawandel sichtbar. Gleichzeitig drohen viele Funde in kürzester Zeit unwiederbringlich verloren zu gehen.
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Der Klimawandel bringt selten etwas Gutes mit sich. Aber zumindest die Archäologie scheint davon zu profitieren, wenn Gletscher rasant abschmelzen, sich der Permafrost immer weiter zurückzieht und Flüsse oder Seen austrocknen.
In den vergangenen Jahren häufen sich archäologische Sensationen, die Jahrhunderte lang im Eis konserviert waren oder die in den Fluten vor neugierigen Blicken, Zerstörung oder Plünderung bewahrt blieben.
Zwar werden viele Funde erst durch das Abschmelzen sichtbar, aber die zunehmenden Luft- und Wassertemperaturen der letzten Jahrzehnte haben auch dramatische Auswirkungen auf die Wissenschaft. Denn was über Jahrtausende im kalten, feuchten Klima geschützt war, droht nun in kurzer Zeit infolge des Klimawandels zu verschwinden.
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Schätze aus dem Eis
Das - dann doch leider nicht - ewige Eis hat Sensationsfunde wie den 1991 entdeckten Steinzeitmenschen "Ötzi" für die Nachwelt bewahrt. Dank seines hervorragenden Erhaltungszustand können Forschende sehr genau nachvollziehen, wie der Mann aus dem Eis vor rund 5300 Jahren in den Alpen zwischen Italien und Österreich lebte.
Immer häufiger findet die Hochgebirgsarchäologie beindruckende Zeugnisse vergangener Dramen. Gerade erst haben Forschende aus Peru und Polen die Rekonstruktion der Inka-Mumie "Juanita" präsentiert, ein etwa 14-Jähriges Mädchen, das vor mehr als 500 Jahren den Göttern geopfert wurde.
Von dem blutigen Ritual namens Copacocha erhofften sich die Inkas einen Schutz durch die Götter vor Naturkatastrophen. Das gefrorene Mumien-Bündel war 1995 in mehr als 6000 Meter Höhe am Vulkan Ampato im Süden Perus gefunden worden. Durch Eisschmelze und Erosion war die Mumie von einer höher gelegenen Inka-Stätte in den Vulkankrater gestürzt.
Gefrorene Zeitkapseln
In den europäischen Alpen oder in Skandinavien werden immer häufiger Waffen, Schlitten und Bekleidungsstücke aus römischer Zeit oder aus dem Mittelalter gefunden, die Forschenden aufgrund der guten Konservierung sehr viel über das Leben unserer Vorfahren verraten.
Besonders viele Funde gibt es vor allem dort, wo sich der Permafrost rasend schnell zurückzieht. In der Antarktis zeigen Radarbilder uralte Flusslandschaften unter dem Eis. In Alaska tauchen plötzlich alte Siedlungen auf. In Sibirien entdeckten Forschende drei Mammut-Überreste, die mehr als drei Millionen Jahre alt sein sollen. In Kanada wurde sogar ein vollständig erhaltenes, mumifiziertes Mammut-Baby entdeckt.
Wettlauf gegen die Zeit
Es sind natürlich großartige Glücksfunde, aber die Zeit drängt. Wo heute noch Permafrost die organischen Materialien hervorragend konserviert, sind in wenigen Jahren nur noch schlichte Verfärbungen am Boden zu sehen.
Gletscherschmelzungen, heftige Regenfälle, aber natürlich auch der ansteigende Meeresspiegel stellen die Archäologie vor neue Herausforderungen. So sind auch rund ums Mittelmeer viele antike Hafenstädte massiv bedroht.
Der Klimawandel ist nicht nur für schmelzendes Eis und Überschwemmungen verantwortlich, sondern natürlich auch für schreckliche Dürren.
Dürren geben Blick auf versunkene Schätze frei
Für Archäologen teilweise ein Glücksfall, für die Ökosysteme und deren Bewohner eine Katastrophe. Fische sterben massenhaft, Felder können nicht mehr bewirtschaftet werden, es fehlt Trinkwasser.
Im spanischen Cáceres waren durch die Dürre plötzlich die Dolmen von Guadalperal, das "Spanische Stonehenge", in einem Stausee zu sehen. Errichtet wurde das megalithische Monument aus mehr als 150 stehenden Steinblöcken vor etwa 7000 Jahren.
Schiffwracks tauchen nicht nur im ausgetrockneten Mississippi River Becken auf. Vor allem auch in der Donau wie zum Beispiel in Serbien kamen bei Rekord-Niedrigständen viele deutsche Kriegsschiffe aus dem Zweiten Weltkrieg zum Vorschein. Die zahlreichen Wracks nahe der Fahrrinnen sind nicht nur eine Gefahr für die Schifffahrt. Oftmals lagert in den Wracks auch noch Munition, die nicht nur für die Umwelt ein großes Risiko darstellen.
Ambivalentes Problem
Die ganze Problematik zeigt sich gerade auch in Brasilien: Die massive Dürre im Amazonasgebiet hat auf mehreren Felsen in Manaus uralte, etwas gruselige Gesichtsschnitzereien freigelegt. Die prähistorischen Schnitzereien zeigen eine Vielzahl von Gesichtsausdrücken, vom Lächeln bis zum schaurigen Blick und erinnern entfernt an unsere heutigen Emojis. Vermutlich haben indigene Kulturen, die in präkolumbianischer Zeit in diesem Gebiet lebten, die Gravuren vor rund 2000 Jahren angefertigt.
"Stein-Smileys" am Rio Negro: Dürre legt prähistorische Gravuren frei
Für die Natur ist es eine Katastrophe, für die Archäologie ein Glücksfall: Die anhaltende Dürre im brasilianischen Amazonas-Gebiet sorgt für niedrige Pegelstände - und hat vorkoloniale Gravuren zum Vorschein gebracht.
Bild: Suamy Beydoun/REUTERS
Spuren im Stein
Sie könnten bis zu 2000 Jahre alt sein: Gravuren in Form von menschlichen Gesichtern, die heutzutage normalerweise unter Wasser liegen. Doch seit Juli ist der Pegel des Rio Negro in Brasilien, eines der größten Zuflüsse des Amazonas, aufgrund anhaltender Dürre um 15 Meter gesunken - und die in Felsen gehauenen Figuren, die an Emojis erinnern, tauchten auf.
Bild: Suamy Beydoun/REUTERS
Rio Negro auf Rekordtief
Letzte Woche erreichte der Rio Negro seinen niedrigsten Stand seit 121 Jahren - so wurde der Felsvorsprung freigelegt, auf dem sich die Gravuren befinden. Der "Ponto das Lajes" liegt in der Nähe des Zusammenflusses von Rio Negro und Solimoes. Während einer früheren Dürreperiode 2010 waren die antiken Meißelungen zum ersten Mal entdeckt worden.
Bild: Suamy Beydoun/REUTERS
"Uraltes Zeitzeugnis"
Doch diesmal tauchten mehr Steinmeißelungen auf: Die meisten stellen menschliche Gesichter dar, rechteckig oder oval, mit lächelnder oder betrübter Mimik. "Sie drücken Emotionen und Gefühle aus, es handelt sich um ein uraltes Zeitzeugnis, aber sie haben auch etwas mit heutigen Kunstwerken gemeinsam", sagt der Archäologe Jaime de Santana Oliveira der Nachrichtenagentur Reuters.
Bild: Suamy Beydoun/REUTERS
Antiker Arbeitsplatz
Auch andere Spuren der Vergangenheit hat die Dürre freigelegt: Archäologe Oliveira hockt neben einer Stelle, an der sich glatte Rillen im Fels zeigen. Man nimmt an, dass sie entstanden, als die ersten Bewohnerinnen und Bewohner der Region dort ihre Pfeile und Speere schärften.
Bild: Suamy Beydoun/REUTERS
Zeugnisse der Vergangenheit
Archäologe Oliveira deutet auf einen eher mürrisch dreinblickenden "Stein-Smiley". Die Gravuren sind dem Experten zufolge eine archäologische Stätte von großer Bedeutung: "Sie sind prähistorisch oder vorkolonial. Wir können die Gravuren nicht genau datieren, aber wir glauben, dass sie etwa 1000 bis 2000 Jahre alt sind."
Bild: Suamy Beydoun/REUTERS
Ausnahmezustand am Amazonas
Seit Monaten herrscht im Amazonas-Regenwald eine Rekorddürre - mit verheerenden Folgen für Menschen und Umwelt. Die niedrigen Pegelstände der Flüsse, die teilweise nur noch Rinnsale sind, haben ein Massensterben von Fischen ausgelöst. Da Flüsse die Hauptverkehrswege in der Region sind, müssen Anwohnerinnen und Anwohner aus der Luft mit Lebensmitteln und Wasser versorgt werden.
Bild: BRUNO KELLY/REUTERS
Faszinierend - und beunruhigend
Das Auftauchen der Gravuren aufgrund der Dürre hat Forschende ebenso wie neugierige Besucherinnen und Besucher in Scharen angezogen. "Wir kommen, wir schauen uns die Gravuren an und finden sie faszinierend. Aber gleichzeitig ist es auch beunruhigend", sagt Besucherin Livia Ribeiro gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. "Ich frage mich, ob dieser Fluss in 50 oder 100 Jahren noch existieren wird."
Bild: AFP
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Die Gravuren seien ein "unschätzbarer" Fund, wenn es darum gehe, diese prähistorischen Bevölkerungen zu verstehen, sagte Beatriz Carneiro, Historikerin und Mitglied von Iphan, Praia das Lajes, zur AFP. "Unglücklicherweise tauchen sie jetzt mit der Verschärfung der Dürre wieder auf", sagte Carneiro.
Denn die große Dürre hat zu massiven Problemen bei viele Flüssen des Amazonas geführt. Der Pegel des Flusses Negro am Fundort etwa ist seit Juli um etwa 15 Meter gesunken, der Fluss verzeichnete vergangene Woche den niedrigsten Durchfluss seit 121 Jahren. Das gefährde auch den Erhalt des Fundortes, so die Archäologen. Vor allem aber nimmt die Dürre den Menschen dort die Lebensgrundlage.
Ausnahmezustand am Amazonas
In Brasiliens Amazonasgebiet herrscht eine noch nie dagewesene Dürre: Die Pegel der Flüsse sinken massiv, die Bevölkerung muss aus der Luft versorgt werden. Schuld sind das Wetterphänomen El Niño - und der Klimawandel.
Bild: MICHAEL DANTAS/AFP/Getty Images
Ausgedünnt
Noch können Boote auf diesem Abschnitt des Amazonas in der Nähe von Manacapuru fahren - doch sein Pegelstand ist bedrohlich niedrig. Im Amazonasgebiet herrscht eine Rekorddürre, die bereits jetzt 100.000 Menschen betrifft. Die brasilianische Regierung ruft eine Task Force zur Versorgung der Bevölkerung ins Leben.
Bild: Edmar Barros/AP/dpa/picture alliance
"Sehr beunruhigende Situation"
Flüsse sind die Hauptverkehrswege der Region. Jetzt sind sie teilweise nicht befahrbar. "Die Situation ist sehr beunruhigend", sagte Brasiliens Umweltministerin Marina Silva der Nachrichtenagentur Reuters. Es drohten Lebensmittel- und Wasserknappheit. Um die Flüsse schiffbar zu halten, stellt die Regierung 140 Millionen Real (26,3 Millionen Euro) für das Ausbaggern von Fahrrinnen und Häfen bereit.
Bild: MICHAEL DANTAS/AFP/Getty Images
Trockengelegt
Die Menschen in den Bundesstaaten Amazonas und Acre, die bereits von der Außenwelt abgeschnitten sind, sollen nun von der Luftwaffe mit Wasser, Lebensmitteln und Medikamenten versorgt werden. Bis zum Jahresende könnte eine halbe Million Menschen von der Dürre betroffen sein, befürchten die Behörden - so wie die Bewohner dieser gestrandeten Hausboote, die normalerweise auf dem Rio Negro treiben.
Bild: MICHAEL DANTAS/AFP
See der toten Fische
Fischer Paulo Monteiro da Cruz navigiert sein Boot durch ein Meer aus toten Fischen im Piranha-See. Die Existenzgrundlage vieler hier lebender Fischer ist akut bedroht. Die niedrigen Pegelstände und die außergewöhnlich hohen Wassertemperaturen haben ein Massensterben in den Flüssen und Seen der Region ausgelöst.
Bild: BRUNO KELLY/REUTERS
Giftige Gemengelage
Tausende verendete Fische stapeln sich am Ufer dieser Landzunge. Das Fischsterben ist nicht nur für die Natur eine Katastrophe, sondern auch für die Menschen: Die Fischerei, die für viele Gemeinden an den Flüssen im Amazonasgebiet die Lebensgrundlage darstellt, musste weitestgehend eingestellt werden. Zudem verunreinigen die auf der Oberfläche der Flüsse schwimmenden toten Fische das Trinkwasser.
Bild: BRUNO KELLY/REUTERS
Am Tiefpunkt
Boote liegen im Hafen von Manaus auf Grund. Der Wasserstand sei seit Mitte September um durchschnittlich 30 Zentimeter pro Tag gesunken, heißt es auf der Homepage der Hafenbehörde. Am Mittwoch habe er 16,4 Meter betragen - etwa sechs Meter weniger als am gleichen Tag des vergangenen Jahres.
Bild: MICHAEL DANTAS/AFP/Getty Images
Ausnahmezustand
Dürre und Hitze beeinträchtigen nicht nur die Flüsse: Die Region leidet außerdem unter zahlreichen Waldbränden, teilweise bedrohen die Flammen auch Siedlungen. Mitte September rief der Bundesstaat Amazonas deshalb den Umweltnotstand aus; momentan befinden sich 15 Gemeinden im Ausnahme- und 40 weitere im Alarmzustand, wie die Zivilschutzbehörde mitteilte.
Bild: MICHAEL DANTAS/AFP
Regenwald ohne Regen
In Iranduda ist der sonst so mächtige Rio Negro momentan kaum mehr als ein Rinnsal. Ausgelöst werden sowohl die Dürre im Norden als auch die Überschwemmungen im Süden Brasiliens durch das Wetterphänomen El Niño, das das Oberflächenwasser des Pazifischen Ozeans erwärmt. In diesem Jahr waren die Auswirkungen nach Ansicht von Wetterexperten stärker als normal.
Bild: MICHAEL DANTAS/AFP/Getty Images
Düstere Aussichten
"Wir erleben ein Zusammentreffen zweier Phänomene: Eines natürlichen, nämlich El Niño, und eines vom Menschen verursachten, nämlich der Erderwärmung", sagte Umweltministerin Silva der Nachrichtenagentur Reuters. Diese Kombination habe im Amazonasgebiet zu einer noch nie dagewesenen Dürre geführt, die sich wiederholen könnte: Der Klimawandel lässt Dürreperioden häufiger und länger auftreten.