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Wie die Archäologie vom Klimawandel profitiert

27. Oktober 2023

Eismumien, Waffen, ganze Siedlungen – viele Sensationsfunde werden erst durch den Klimawandel sichtbar. Gleichzeitig drohen viele Funde in kürzester Zeit unwiederbringlich verloren zu gehen.

Brasilien | Dürre legt antike Felsgravuren frei
Am Amazonas legte die Dürre überraschend prähistorische Gravuren frei, die wie Emojis aussehen Bild: Suamy Beydoun/REUTERS

Der Klimawandel bringt selten etwas Gutes mit sich. Aber zumindest die Archäologie scheint davon zu profitieren, wenn Gletscher rasant abschmelzen, sich der Permafrost immer weiter zurückzieht und Flüsse oder Seen austrocknen.

In den vergangenen Jahren häufen sich archäologische Sensationen, die Jahrhunderte lang im Eis konserviert waren oder die in den Fluten vor neugierigen Blicken, Zerstörung oder Plünderung bewahrt blieben.

Zwar werden viele Funde erst durch das Abschmelzen sichtbar, aber die zunehmenden Luft- und Wassertemperaturen der letzten Jahrzehnte haben auch dramatische Auswirkungen auf die Wissenschaft. Denn was über Jahrtausende im kalten, feuchten Klima geschützt war, droht nun in kurzer Zeit infolge des Klimawandels zu verschwinden. 

Schätze aus dem Eis

Das - dann doch leider nicht - ewige Eis hat Sensationsfunde wie den 1991 entdeckten Steinzeitmenschen "Ötzi" für die Nachwelt bewahrt. Dank seines hervorragenden Erhaltungszustand können Forschende sehr genau nachvollziehen, wie der Mann aus dem Eis vor rund 5300 Jahren in den Alpen zwischen Italien und Österreich lebte.

Ötzi stammte vermutlich von Bauern aus der heutigen Türkei ab. Sein Kopf war kahler und seine Haut dunkler als angenommen.Bild: Marco Samadelli/AP/picture alliance

Immer häufiger findet die Hochgebirgsarchäologie beindruckende Zeugnisse vergangener Dramen. Gerade erst haben Forschende aus Peru und Polen die Rekonstruktion der Inka-Mumie "Juanita" präsentiert, ein etwa 14-Jähriges Mädchen, das vor mehr als 500 Jahren den Göttern geopfert wurde.

Von dem blutigen Ritual namens Copacocha erhofften sich die Inkas einen Schutz durch die Götter vor Naturkatastrophen. Das gefrorene Mumien-Bündel war 1995 in mehr als 6000 Meter Höhe am Vulkan Ampato im Süden Perus gefunden worden. Durch Eisschmelze und Erosion war die Mumie von einer höher gelegenen Inka-Stätte in den Vulkankrater gestürzt.

Gefrorene Zeitkapseln

In den europäischen Alpen oder in Skandinavien werden immer häufiger Waffen, Schlitten und Bekleidungsstücke aus römischer Zeit oder aus dem Mittelalter gefunden, die Forschenden aufgrund der guten Konservierung sehr viel über das Leben unserer Vorfahren verraten.

Goldsucher fanden dieses vollständig erhaltene Wollhaarmammutbaby. Durch das Eis ist es so gut erhalten geblieben. Bild: GOVERNMENT OF YUKON/AFP

Besonders viele Funde gibt es vor allem dort, wo sich der Permafrost rasend schnell zurückzieht. In der Antarktis zeigen Radarbilder uralte Flusslandschaften unter dem Eis. In Alaska tauchen plötzlich alte Siedlungen auf. In Sibirien entdeckten Forschende drei Mammut-Überreste, die mehr als drei Millionen Jahre alt sein sollen. In Kanada wurde sogar ein vollständig erhaltenes, mumifiziertes Mammut-Baby entdeckt.

Wettlauf gegen die Zeit

Es sind natürlich großartige Glücksfunde, aber die Zeit drängt. Wo heute noch Permafrost die organischen Materialien hervorragend konserviert, sind in wenigen Jahren nur noch schlichte Verfärbungen am Boden zu sehen.

Sieht unscheinbar aus, aber das Stück Lärche ist zwei Millionen Jahre alt und damit die älteste jemals entnommene DNA.Bild: SVEN FUNDER/AFP

Gletscherschmelzungen, heftige Regenfälle, aber natürlich auch der ansteigende Meeresspiegel stellen die Archäologie vor neue Herausforderungen. So sind auch rund ums Mittelmeer viele antike Hafenstädte massiv bedroht.

Der Klimawandel ist nicht nur für schmelzendes Eis und  Überschwemmungen verantwortlich, sondern natürlich auch für schreckliche Dürren.

Dürren geben Blick auf versunkene Schätze frei

Für Archäologen teilweise ein Glücksfall, für die Ökosysteme und deren Bewohner eine Katastrophe. Fische sterben massenhaft, Felder können nicht mehr bewirtschaftet werden, es fehlt Trinkwasser.

Die Palastanlagen der Mittami konnten nur untersucht werden, weil der Seespiegel aufgrund extremer Trockenheit im Irak sehr niedrig war.Bild: Universitäten Freiburg und Tübingen, KAO

Im Irak etwa tauchte durch die extreme Dürre in einem Stausee plötzlich eine 3400 Jahre alte Stadt auf. Deutsche und kurdische Archäologen konnten die bronzezeitliche Stadt kurz untersuchen. Dann versank das Machtzentrum der Mittani wieder.

Im spanischen Cáceres waren durch die Dürre plötzlich die Dolmen von Guadalperal, das "Spanische Stonehenge", in einem Stausee zu sehen. Errichtet wurde das megalithische Monument aus mehr als 150 stehenden Steinblöcken vor etwa 7000 Jahren.

Welche Funktion das megalithische Monument hatte, müssen Archäologen noch herausfinden.Bild: Manu Fernandez/AP Photo/picture alliance

Schiffwracks tauchen nicht nur im ausgetrockneten Mississippi River Becken auf. Vor allem auch in der Donau wie zum Beispiel in Serbien kamen bei Rekord-Niedrigständen viele deutsche Kriegsschiffe aus dem Zweiten Weltkrieg zum Vorschein. Die zahlreichen Wracks nahe der Fahrrinnen sind nicht nur eine Gefahr für die Schifffahrt. Oftmals lagert in den Wracks auch noch Munition, die nicht nur für die Umwelt ein großes Risiko darstellen.

Allein in Serbien wurden bei Niedrigwasser in der Donau zahlreiche Wracks aus dem zweiten Weltkrieg gefundenBild: Darko Vojinovic/AP/picture alliance

Ambivalentes Problem

Die ganze Problematik zeigt sich gerade auch in Brasilien: Die massive Dürre im Amazonasgebiet hat auf mehreren Felsen in Manaus uralte, etwas gruselige Gesichtsschnitzereien freigelegt. Die prähistorischen Schnitzereien zeigen eine Vielzahl von Gesichtsausdrücken, vom Lächeln bis zum schaurigen Blick und erinnern entfernt an unsere heutigen Emojis. Vermutlich haben indigene Kulturen, die in präkolumbianischer Zeit in diesem Gebiet lebten, die Gravuren vor rund 2000 Jahren angefertigt.

Die Gravuren seien ein "unschätzbarer" Fund, wenn es darum gehe, diese prähistorischen Bevölkerungen zu verstehen, sagte Beatriz Carneiro, Historikerin und Mitglied von Iphan, Praia das Lajes, zur AFP. "Unglücklicherweise tauchen sie jetzt mit der Verschärfung der Dürre wieder auf", sagte Carneiro.

Denn die große Dürre hat zu massiven Problemen bei viele Flüssen des Amazonas geführt. Der Pegel des Flusses Negro am Fundort etwa ist seit Juli um etwa 15 Meter gesunken, der Fluss verzeichnete vergangene Woche den niedrigsten Durchfluss seit 121 Jahren. Das gefährde auch den Erhalt des Fundortes, so die Archäologen. Vor allem aber nimmt die Dürre den Menschen dort die Lebensgrundlage.

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