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Wie die Bundesregierung um Fachkräfte aus dem Ausland wirbt

25. Januar 2024

Deutschland braucht Fachkräfte. In Vietnam hat Arbeitsminister Heil eine Vereinbarung unterschrieben. Zugleich steigt bei Interessenten die Sorge vor Ausländerfeindlichkeit in Deutschland. Rosalia Romaniec aus Vietnam.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (3. v. l.) mit Hubertus Heil (daneben) bei einer Vorführung von jungen vietnamesischen Pflege-Auszubildenden  im Goethe-Institut
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (3. v. l.) mit Hubertus Heil (daneben) bei einer Vorführung von jungen vietnamesischen Pflege-Auszubildenden im Goethe-InstitutBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Arbeitsminister Hubertus Heil an der deutsch-vietnamesischen Universität in Ho-Chi-Minh-Stadt erscheinen, sind sie sichtlich überrascht. Sie werden wie Rockstars von kreischenden Studentinnen und Studenten begrüßt - einige davon werden später für deutsche Firmen arbeiten.

Auch am Goethe-Institut in Hanoi gibt es Beifall bei der Ankunft der deutschen Politprominenz. Dort lernen im Jahr rund 6000 junge Vietnamesinnen und Vietnamesen die deutsche Sprache und noch einmal siebenmal so viele melden sich für Sprachprüfungen an, die sie zur Berufsbildung oder zum Studium in Deutschland berechtigen.

Bundespräsident Steinmeier wird beim Besuch der Deutsch-Vietnamesischen Universität in Ho-Chi-Minh-Stadt freudig begrüßtBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Seit Ende 2023 das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz verabschiedet wurde, das mit einem Punktesystem die Hürden für ausländische Fachkräfte senkt, werben hochrangige Politiker aus Deutschland noch offensiver um Fachkräfte im Ausland: Mitte Januar war Außenministerin Annalena Baerbock auf den Philippinen, Entwicklungsministerin Svenja Schulze ist derzeit in Marokko und der Bundespräsident und der Arbeitsminister haben in Hanoi eine Absichtserklärung unterschrieben, die die Arbeitskräftezuwanderung nach Deutschland besser regelt.

Vietnam hilft Deutschland bei der Suche nach Fachkräften

Im kommunistischen Vietnam ist das Interesse groß. Die vietnamesische Diaspora in Deutschland ist mittlerweile auf mehr als 200.000 Menschen angewachsen. Vietnam ist demografisch jung und deshalb nicht wie viele andere vom "Brain Drain", der Fachkräfteabwanderung, bedroht. Die vietnamesische Führung selbst hatte großes Interesse an einer gemeinsamen Vereinbarung, um die Arbeitsmigration ihrer Landsleute nach Deutschland besser zu regeln.

Das Goethe-Institut ist dafür ein wichtiger Ort. Dort wird auch die 22-jährige Phuong Phan sprachlich vorbereitet, um später in der Hotellerie- und Gastronomiebranche in Thüringen zu arbeiten. Das Bundesland gehört zu den ersten, die mit Vietnam schon vor Jahren bilaterale Verträge geschlossen haben.

Arbeitsminister Heil (links am Tisch) mit seinem vietnamesischen Amtskollegen Dao Ngoc Dung (r.) bei der Unterzeichnung der Absichtserklärung zur Erwerbsmigration Bild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Phuong Phan erhofft sich von der Ausbildung in Deutschland "eine praxisnahe Berufslehre und eine Persönlichkeitsentwicklung", sagt sie. Ihre Eltern unterstützen sie. Die 22-Jährige informiert sich fast täglich im Internet über "das schöne Deutschland". Doch neulich stolperte sie über Unschönes im Netz: über die ausländerfeindliche Stimmung, vor allem im Osten des Landes. Kommentieren will sie das im Gespräch mit der DW nicht. Aber: Ja, das sei Thema im Sprachunterricht gewesen.

"Ja, wir beobachten die Entwicklung. Und langsam haben wir Bedenken, denn wir tragen die Verantwortung für die jungen Menschen, auch gegenüber ihren Eltern", sagt Nguyen Thi Thanh Tam, eine Arbeitsvermittlerin für Thüringen.

Sie bildet derzeit in Hanoi eine weitere Gruppe junger Vietnamesen aus und bestätigt, dass das Thema "Ausländerfeindlichkeit in Deutschland" neuerdings im Unterricht transparent besprochen wird: "Wir möchten, dass die Schüler auf solche unangenehmen Situationen in Deutschland vorbereitet sind."

Deutschland braucht 400.000 Fachkräfte pro Jahr

Laut Bundesagentur für Arbeit sind in Deutschland 1,73 Millionen Stellen offen. Anders als bei der bisher größten deutschen Arbeitskräftegewinnungskampagne vor 60 Jahren, wo vor allem Arbeiter für die deutsche Industrie gesucht wurden, sind es jetzt hochqualifizierte Fachkräfte und Menschen in Dienstleistungsberufen, die fehlen. Damals kamen knapp 300.000 Menschen jährlich, heute braucht Deutschland rund 400.000 pro Jahr, so Studien.

Pflege-Azubis in HanoiBild: Rosalia Romaniec/DW

Arbeitsminister Heil reiste zuletzt bereits nach Brasilien, Indien und Kenia und warb auch dort für Deutschland als Zielland, nun also Vietnam. "Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz haben wir die Rahmenbedingungen verbessert, jetzt geht es um die Praxis", sagte Heil gegenüber der DW in Hanoi.

Schlechte Koordinierung

Offiziell ist das Innenministerium für die Einreise von ausländischen Fachkräften verantwortlich, doch in der Praxis kommen überschneiden sich die Zuständigkeiten. Ein Beispiel sind die rund 300.000 Asylbewerber in Deutschland, die im Fall einer Ablehnung nicht in den Arbeitsmarkt integriert werden, sondern das Land verlassen müssen.

Ein Zehntel davor sind neuerdings Türkinnen und Türken - meist junge, gut ausgebildete, liberal denkende Menschen, die dem Erdogan-Regime entkommen wollen. Aber nur jeder 10. türkische Asylbewerber bekommt Schutz in Deutschland. Und statt ihnen Arbeit anzubieten, fordert Deutschland sie momentan zur Ausreise auf.

Ein vietnamesischer Sicherheitsbeamter überwacht am Rande des Besuchs der Deutsch-Vietnamesischen Universität mit einem elektronischen Anti-Drohnen-Gewehr den LuftraumBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Das Außenministerium wiederum ist für seine langen Visaverfahren bekannt - auch das abschreckend für Fachkräfte. Zuständig sind außerdem auch noch das Wirtschaftsministerium, das Arbeitsministerium und die Bundesagentur für Arbeit. Hinzu kommen Organisationen wie die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und Stiftungen.

Viele Unternehmen haben eigene Anwerbe- und Ausbildungsprogramme, weil ihnen die Bürokratie des öffentlichen Sektors zu langsam ist. Toan Nguyen, Geschäftsführer der TY Academy, die vietnamesisches Pflegepersonal nach Deutschland vermittelt, beklagt vor allem "zu viele Ansprechpartner und immer noch viele Hürden bei der Anerkennung von Abschlüssen".

Problem Menschenhandel

Das macht es für die interessierten Fachkräfte unübersichtlich - und zum leichten Spiel für unseriöse Agenturen und Menschenhändler: In Südostasien trifft es vor allem Frauen, die so eingeschleust werden und später in schlechten Jobs in Deutschland oder gar in Bordellen landen. "Wir müssen diese Praxis durch legalen Zuzug zurückdrängen", sagt Steinmeier in Vietnam. Die eben unterzeichnete bilaterale Vereinbarung soll seriöse Beratung über faire Arbeitsbedingungen und ernsthafte Arbeitsvermittler bieten, sowie regelmäßige Runde Tische zwischen Fachleuten beider Länder zum Thema Erwerbsmigration.

Was Deutschland neuerdings attraktiver macht, ist das neue Staatsbürgerschaftsgesetz. "Im Vergleich zu Japan, wohin auch viele Vietnamesen auswandern, aber nur auf Zeit arbeiten dürfen, bietet Deutschland jetzt eine längerfristige Perspektive", sagt Viet Huong Nguyen von der TY Academy.

Schaden durch Ausländerfeindlichkeit

Als umso verstörender werden im Ausland aktuelle Berichte über ausländerfeindliche Gruppierungen in Deutschland empfunden. Arbeitsminister Heil sagt im Gespräch mit der DW, er sei zwar in Vietnam nicht direkt auf das Thema angesprochen worden, aber man müsse handeln, bevor es zu spät sei. "Wir müssen in Deutschland klar machen, dass wir ohne die Arbeitskräfte aus dem Ausland nicht unseren Wohlstand sichern können", so Heil.

In vielen Deutschen Städten wird, wie hier in Bremen, derzeit gegen Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus demonstriertBild: Carmen Jaspersen/dpa/picture alliance

Besorgt sind auch Vietnamesen, die schon in Deutschland leben. Eine von ihnen ist Huong Trute, die Bundespräsident Steinmeier auf seine Vietnam-Reise einlud. Die vietnamesische Gastronomin lebt seit 40 Jahren in Deutschland und berichtet, sie müsse in letzter Zeit immer öfter Fragen von besorgten Landsleuten in Vietnam beantworten. Nachdem sie im Goethe-Institut sah, wie eine weitere Gruppe auf ihren Job in den thüringischen Hotels und Restaurants vorbereitet wird, meinte sie: "Ganz ehrlich? Wenn ich die Chance hätte, die jungen Leute woanders hinzubringen, würde ich es tun". Die Entwicklung in Thüringen spitze sich zu, und das mache ihr Angst.

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