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KonflikteLibanon

Wie die Libanon-Krise dem syrischen Militär zugutekommt

Cathrin Schaer | Omar Albam (Syrien)
10. Oktober 2024

Immer mehr Syrer fliehen vor israelischen Bomben aus dem Libanon zurück in ihre Heimat. Doch syrische Sicherheitskräfte nutzen die Situation aus und machen lukrative Geschäfte – vor allem auf dem Weg nach Idlib.

Libanon Syrien Flüchtlinge - stehen an einem Bus an einem Kontrollpunkt
Verschiedenen Quellen zufolge, müssen Syrer, die aus dem Libanon nach Syrien zurückkehren, eine Gebühr zahlen Bild: Omar Albam/DW

Die Reise ist lang und schwierig, und sie wird immer teurer: Der Syrer Khaled Massoud und seine Familie haben sieben Tage gebraucht und 1.200 Euro gezahlt, um vom Libanon in den Norden Syriens zu fliehen.

Massoud und seine Familie haben im Libanon gelebt und sind vor den israelischen Bombardements geflohen. Seine sechsköpfige Familie sowie die Familie seiner Tochter befinden sich jetzt in einem Flüchtlingslager in der Nähe von Maarat Misrin, nördlich von Idlib, in einem Gebiet, das von regierungsfeindlichen Oppositionskräften kontrolliert wird.

Massoud ist einer von vielen. Diese Woche erklärte Filippo Grandi, Leiter des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR), dass mindestens 220.000 Menschen die Grenze vom Libanon nach Syrien überquert hätten, weil Israel den Libanon bombardiert. Etwa 80 Prozent von ihnen seien Syrer. Libanesische Behörden gehen von einer höheren Zahl aus: Sie schätzen, dass bis zu 400.000 Menschen nach Syrien geflohen sind.

Syrien: Rückkehr ins Ungewisse

Für Syrer, die aus dem benachbarten Libanon in ihr Heimatland zurückkehren, ist der Grenzübertritt alles andere als einfach. Seit 2011 herrscht in Syrien Krieg. Jeder, der während dieses Krieges das Land verlassen hat, wird mit Misstrauen betrachtet und oft als Verräter des Assad-Regimes angesehen.

Besonders syrische Männer, die zurückkehren, laufen Gefahr, festgenommen, gefoltert, zwangsweise in die Armee eingezogen oder sogar getötet zu werden, wie Menschenrechtsorganisationen berichten. Viele solcher Fälle sind dokumentiert.

Es gibt auch Berichte lokaler Medien, dass Sicherheitskräfte in Syrien von Reisenden Wertgegenstände oder Handys verlangen.Bild: Omar Albam/DW

Daher ist es für viele Syrer sicherer, in Gebiete zu gehen, die noch von regierungsfeindlichen Oppositionsgruppen kontrolliert werden - so wie in der Provinz Idlib. Sie ist die in weiten Teilen letzte von syrischen Rebellen und Islamisten gehaltene Region. Sie steht überwiegend unter der Kontrolle islamistischer Milizen, insbesondere der Gruppe Hayat Tahrir al-Scham (HTS), die wiederum aus der Al-Kaida-nahen so genannten "Al-Nusra-Front" hervorgegangen ist.

Um in die Provinz Idlib zu reisen, müssen die Menschen drei verschiedene Bereiche passieren, die von drei verschiedenen Sicherheitskräften kontrolliert werden: die der syrischen Regierung, die der türkisch-alliierten Kräfte und dann die der kurdischen Sicherheitskräfte. Diese sogenannten Sicherheitskontrollen finden auf Umgehungsstraßen statt. Und an jedem Kontrollposten wird Geld verlangt, um passieren zu dürfen. Deshalb hat die Reise für Familie Massoud etwa 1.200 Euro gekostet.

Geld verdienen mit dem Elend

Da Israel weiterhin den Libanon bombardiert, wird dies zu einem lukrativen Geschäft. "An jedem Kontrollpunkt werden andere Summen verlangt", sagt der 20-jährige Syrer Hadi Othman, der ebenfalls die Flucht nach Idlib angetreten hat. "Es ist eher ein Geschäft, und wie viel sie verlangen, hängt von ihrer Laune ab."

Othman und andere berichteten der DW, dass Einzelpersonen umgerechnet zwischen 270 und 550 Euro zahlen, um in die von der Opposition kontrollierten Gebiete zurückzukehren.

Ein Mann aus der Gegend, der aus Angst vor Vergeltung seinen Namen nicht nennen will, kennt sich mit diesem System der Zahlungen aus. Im Gespräch mit der DW sagte er, dass verschiedene Zweige des syrischen Militärs mit anderen Milizen, einschließlich der syrisch-kurdischen Kräfte, in der Region kooperieren, um solche Zahlungen zu koordinieren. Er glaubt zudem, dass auch die Elite der 4. Panzerdivision der syrischen Armee, die vom Bruder des syrischen Machthabers, Maher Assad, geleitet wird, daran beteiligt ist.

Zurückkehrende Syrer werden offenbar auf einem Marktplatz zwischen den verschiedenen Kontrollpunkten zusammengeführt, so der Mann, der anonym bleiben möchte. Sie blieben dort, bis sich eine größere Gruppe versammelt hat und alle mehrere hundert Dollar gezahlt hätten. Erst dann ginge es weiter. Das sei ein Teil des Grundes, warum die Reise so lange dauere. Er geht davon aus, dass das Geld dann zwischen den verschiedenen Kontrollgruppen aufgeteilt wird. Unabhängig überprüfen lassen sich diese Angaben aber nicht.

"Wandelnde Dollar-Scheine"

Oft werden die ankommenden Syrer beleidigt, angegriffen oder sogar verhaftet, fügt er hinzu. Wer bezahle, dürfe aber in der Regel passieren. Dennoch berichtete das unabhängige syrische Medienunternehmen Al Jumhuriya Anfang dieser Woche, dass es an einem Busbahnhof in Damaskus mindestens 40 Verhaftungen von jungen Männern gegeben haben soll, die aus dem Libanon zurückgekehrt sind.

"Die Menschen haben Angst, sind erschöpft und suchen nach einem Ort, an dem sie bleiben können. Wäre der Krieg im Libanon nicht schlimmer gewesen als die Situation in Syrien, wären sie dort geblieben – trotz des dortigen  Rassismus", sagt die Quelle. "Jetzt werden sie als wandelnde Dollar-Scheine betrachtet. Diejenigen, die ihnen das Geld abnehmen, nennen sie Verräter, und glauben, sie seien reich."

Laut dem örtlichen Rat von Jarablus, einer Stadt, die Regime- und Oppositionsgebiete nördlich von Aleppo trennt, sind bereits etwa 470 Familien – etwa 2.500 Menschen – und 200 einzeln reisende Männer in den von der Opposition gehaltenen Gebieten angekommen. Viele weitere sind auf dem Weg.

Erneute Flucht ins Ungewisse: Diese Syrer fliehen nicht das erste Mal aus Angst um ihr LebenBild: Omar Albam/DW

Die Kontrollpunktgebühren sind für viele Syrer, die aufgrund des Krieges in den Libanon geflüchtet waren, eine Menge Geld. Denn im Libanon leben 90 Prozent der Syrer in Armut, und diejenigen, die Geld verdienen – trotz libanesischer Gesetze, die besagen, dass sie nur in wenigen Bereichen legal arbeiten dürfen – verdienen durchschnittlich gerade einmal 95 Dollar im Monat, so die Vereinten Nationen.

Erstmal zählt die Sicherheit

Othman hat seit 2012 im Libanon gelebt: "Aber das Leben im Libanon war sehr schwierig", sagt er der DW. "Der Dollar ist teuer und die wirtschaftlichen Bedingungen waren miserabel. Wir haben von Mindestlöhnen gelebt und alles ausgegeben, was wir hatten."

Am Übergang Aoun al-Dadat, der Jarablus und Manbidsch verbindet, hätten die Kontrollkräfte eine Gebühr von 10 Dollar pro Kopf verlangt. Doch laut Othman habe die wütende Menge protestiert, woraufhin sie ohne zu zahlen durchgelassen wurde.

"Wir danken Gott, dass wir es hierher geschafft haben", sagte Othman. "Wir sind müde, aber das Wichtigste ist, dass wir unser Dorf hier erreicht haben. Jetzt werden wir in unserem eigenen Haus bleiben."

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.