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Wie die Niederlande Überschwemmungen verhindern

24. Juli 2021

Die heftigen Regenfälle und Überschwemmungen, die in Deutschland und Belgien viele Todesopfer gefordert haben, haben die Niederlande glimpflich überstanden. Warum? Bernd Riegert berichtet aus der Maas-Region.

Niederlande Überschwemmungen
Jos Teeuwen, Wassermanager in den Niederlanden, am neuen Schutzwall in NeerBild: Bernd Riegert/DW

"Wir haben wirklich Glück gehabt", sagt Jan Heymans aus dem Dorf Neer an der Maas in den Niederlanden. "Die neue Flutmauer ist erst vor ein paar Monaten fertig geworden. Ohne die wäre hier alles überschwemmt worden." Der Schutzwall mit massiven Stahltoren und zehn Zentimeter dicken Glasscheiben in der Mauerkrone hat die Wassermassen abgehalten, die vor gut einer Woche aus Deutschland und Belgienkamen und den Fluss Maas zu einem riesigen Strom anschwellen ließen. Aber es war knapp. Das Wasser hat die Mauerkrone fat erreicht.

Anwohner Heymans: Die Fluttore sind gerade rechtzeitig fertig gewordenBild: Bernd Riegert/DW

Delta-Projekt soll schützen

Die neuen Mauern und Deiche entlang des Flusses im Süden der Niederlande sind Teil des Delta-Projekts, in dem die Entwässerung des flachen Staates an der Nordseeküste organisiert wird. Nach verheerenden Überschwemmungen in den 1990er Jahren hat der Wasserwirtschaftsverband in der südholländischen Provinz Limburg ein ehrgeiziges Bauprogramm aufgelegt, um Hundertausende Einwohner vor neuen Fluten zu schützen.

Kern des Programms ist es, den Flüssen Maas, Rur und Rhein mehr Raum zu geben, erklärt Jos Teeuwen, Chef der Wasserwirtschaft in der Provinz Limburg. Dazu wurden Überflutungsflächen ausgewiesen. "Dort gibt es keine Häuser, keine Fabriken und keine wichtige Infrastruktur wie Bahngleise, sondern Felder und Wiesen. Wir mussten in den letzten Jahren auch Menschen umsiedeln und Häuser abreißen." Der Fluss Maas ist links rechts von großen Wasserflächen und Wiesen umgeben. "Je mehr Raum das Wasser hat, desto geringer die Strömung und die Wasserhöhe. Man kann die Deiche also niedriger planen", rechnet Jos Teeuwen vor.

Freie Überflutungs-Räume (li.) für den Fluss Maas - das Wasser verteilen und langsamer machenBild: Bernd Riegert/DW

Auf die Flutmauer in Neer, die er "Verteidigungslinie" nennt, ist er mächtig stolz, denn sie verfügt über neuartige Tore, die sich bei steigendem Wasser durch den Wasserdruck selbstständig schließen.  Teilstrecken der "Verteidigungslinie" bestehen aus dickem Panzerglas, damit die Anwohner trotz Flutschutz freie Sicht auf den Fluss haben. "Die Niederlande sind ein Land des Wassers", sagt Jos Teeuwen. "Es münden so viele Flüsse hier, so dass wir dauernd investieren und bauen müssen."

"Dagegen gibt es keinen Schutz"

Das Städtchen Valkenburg, 50 Kilometer flussaufwärts an der Maas gelegen, ist allerdings vor zehn Tagen überflutet worden. Durch die mittelalterliche Stadt fließt die Geul, ein normalerweise ruhiger Bach, der die immensen Regenmengen von den umliegenden Hügeln aufnehmen musste. "So hoch ist das Wasser noch nie gestiegen", erzählt Anwohnerin Yvonne. "Alles ist weg. Die Erinnerungsstücke an meine Eltern, die Perserteppiche, die Möbel."

Auch Jan Laumen ist betroffen. Innerhalb einer halben Stunde war das Erdgeschoss seines Hauses am Bach Geul unter Wasser, sagt er, als er mit dem Gartenschlauch seine verschlammten Habseligkeiten zu säubern versucht. "Es hat so geschüttet. Dagegen kannst du dich nicht wehren", sagt Laumen. Valkenburg liegt in einem kleinen Tal. Das Wasser der Geul kann hier nicht wie die Maas in geplante Überschwemmungszonen ausweichen. Die Strömung wird deshalb enorm.

Yvonne aus Valkenburg: So hoch war das Wasser noch nieBild: Bernd Riegert/DW

Die Geul hat viele Brücken in der Stadt weggerissen, was seit Menschengedenken noch nie vorgekommen ist. "Wir haben viel stärkere Regenfälle als noch vor 50 Jahren", sagt der Leiter des Delta-Projekts, Peter Glas, der sich die Schäden in Valkenburg anschaut. "Es wurden vielleicht nicht alle Vorsichtsmaßnahmen ergriffen", meint Peter Glas, "aber das war hier so extrem, dass es einfach nicht zu verhindern war." Man müsse sich jetzt fragen, wie man in Zukunft, mit der Situation umgehen könne. Natürlich müsse man versuchen, den Klimawandel zu stoppen, aber man müsse auch über neue Maßnahmen nachdenken, sagt Glas, der den Titel "Delta-Kommissar" trägt. Er ist für die gesamten Niederlande zuständig. Dazu gehörten auch die Umsiedlung von Menschen und neue Konzepte beim Wiederaufbau. "Ich sage sowohl den nationalen als auch den regionalen Behörden: Wir müssen uns stärker anpassen. Das wird nicht einfach wieder vorbeigehen."

Jan Laumen räumt auf: Sein Erdgeschoss wurde überschwemmt, aber das Haus steht nochBild: Bernd Riegert/DW

Vorteil: Flachland

Trotz der Überflutungen an der Geul ist die Lage in den Niederlanden mit der in Deutschland oder Belgien nicht zu vergleichen. Hier verwüsteten die Flüsse enge Täler in der Eifel oder an der Ahr. Die Niederlande haben Glück, weil sie in weiten Teilen so flach sind, erklärt Jos Teeuwen vom Wasserwirtschaftsverband Limburg. Wenn ein Bach in der Eifel plötzlich das Hundertfache der üblichen Wassermenge führt, entsteht eine ungeheure Strömung in einem engen Durchmesser.

"Wenn man viele Berge hat, ist das sehr schwer zu kontrollieren. Das Wasser steigt dort in Stunden. Hier an der Maas kommt es dann nach ein, zwei Tagen an. In dieser Zeit wird das Wasser langsamer und wir können vorhersehen, was kommen wird. Es ist halt sehr flach hier. Das ist unser Vorteil", gibt Jos Teeuwen zu bedenken.

Fluttore an der Maas: Es muss immer höher gebaut werdenBild: Bernd Riegert/DW

Das Delta-Projekt in den Niederlanden soll Überschwemmungen, die theoretisch ein Mal in 250 Jahren auftreten, verhindern. Die Wassermanager planen an Maas und Rur schon jetzt Bauprojekte und Schutzmaßnahmen für die nächsten 50 oder 100 Jahre. Welche Folgen die Klimaveränderungen tatsächlich haben werden, was die Regenmenge und den Anstieg des Meeresspiegels angeht, ist aber noch schwer abschätzbar, meint Delta-Kommissar Peter Glas.

So schlimm Überschwemmungen auch seien, müsse man auch das Gegenteil im Blick haben. Auch die Dürreperioden würden immer länger und extremer. Die Wasserversorgung in den Dürrezeiten zu sichern, werde in Zukunft ebenfalls ein wichtiger Teil des Delta-Projektes werden.

 

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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