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Wie die Taliban Deutschland unter Druck setzen

Rosalia Romaniec | Nina Haase | Masood Saifullah
5. September 2024

In einer Zeit, in der Berlin mehr direkte Abschiebungen nach Afghanistan will, holen sich die Taliban mehr Einfluss über ihre diplomatischen Vertretungen in Deutschland. Berlin spielt offenbar mit.

Eingang der ehemaligen afghanischen Botschaft Berlin
Keine diplomatische Vertretung der Taliban mehr - die afghanische Botschaft in BerlinBild: Stefan Zeitz/IMAGO

Ende Juli haben die Taliban öffentlich mitgeteilt, dass sie nur noch fünf afghanische diplomatische Vertretungen in Europa als legitime Vertretungen anerkennen: die Botschaften in Spanien, Bulgarien, der Tschechischen Republik und den Niederlanden sowie ein Konsulat in München. "Diese diplomatischen Vertretungen halten sich an die Weisungen Afghanistans und vertreten das Land in den Gastländern. Wir haben Vertrauen in ihre Arbeit, und diese Aktivitäten werden transparent durchgeführt", so der Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid in einem DW-Interview. Mujahid sagt: "Sie sind rechenschaftspflichtig und führen unsere Befehle aus." Das Konsulat München befolge also Weisungen aus Kabul.

Zum Verständnis: Die meisten afghanischen Vertretungen in Europa distanzierten sich nach der Machtübernahme im August 2021 von den Taliban. Sie bekommen kein Geld mehr aus Kabul und schicken keine Berichte mehr dorthin. In den letzten drei Jahren hatten die Taliban jedoch keine Einwände gegen die Tätigkeit der Auslandsvertretungen Afghanistans und erlaubten ihnen, konsularische Aufgaben wie die Ausstellung von Pässen, Visa und anderen Dokumenten für die rund 420 000 in Deutschland lebenden Afghanen wahrzunehmen.

Nun sind die Botschaft in Berlin und das Konsulat Bonn, die nicht mit den Taliban kooperieren wollen, quasi lahmgelegt. Da die Taliban die Dokumente aus diesen Vertretungen nicht mehr anerkennen, verlieren diese auch die größte Einnahmequelle - damit ist ihr diplomatischer Status noch unklarer als ohnehin schon. Umso mehr floriert jetzt das konsularische Geschäft in München. Weder der Botschafter in Berlin noch der Konsul in München waren bereit, mit uns zu sprechen.

Diplomatisch lahmgelegt

Das Auswärtige Amt reagierte nach rund einer Woche auf die Entscheidung der Taliban in einer "förmlichen Mitteilung" - adressiert an das "acting Foreign Ministry" in Kabul. Im Außenministerium spricht man bislang von "technischen Gesprächen" mit der De-facto-Regierung. Das Dokument liegt der DW vor. Demnach akzeptiert das Auswärtige Amt, dass jetzt die Münchner Vertretung konsularische Dienstleistungen für Afghanen aus ganz Deutschland übernimmt.

Das offizielle Schreiben des deutschen Außenministeriums an die De-facto-Regierung in Afghanistan trägt den Briefkopf der deutschen Botschaft in Kabul - die offiziell geschlossen istBild: Josie Funk/DW

Laut Völkerrecht könne die Bundesregierung dagegen auch kaum vorgehen, meint Winfried Kluth, Rechtswissenschaftler von der Universität Halle-Wittenberg. Dass Deutschland nicht dagegen protestiert, sei "Ausdruck eines politischen Pragmatismus". "Das Interesse Deutschlands besteht darin, dass es noch ein Konsulat gibt, wo bestimmte Dinge möglich sind, zum Beispiel die Ausstellung von Visa oder Pässen für Abschiebungen."

Das Auswärtige Amt widerspricht in dem Schreiben lediglich dem Vorhaben der Taliban, dass in München nicht nur Anliegen von Afghanen aus ganz Deutschland, sondern auch aus ganz Europa erledigt werden dürfen. Dies widerspreche der Wiener Übereinkunft über diplomatische Beziehungen aus dem Jahr 1961, erklärt das Außenministerium. Der Einwand aus Berlin ist ohnehin symbolisch, denn niemand kann kontrollieren, ob die beim Münchner Konsulat vorstelligen Afghanen aus Deutschland oder dem Ausland kommen.

Ängste der Diaspora

In diplomatischem Ton signalisiert das Auswärtige Amt in dem Dokument, dass man bereit sei, über Lösungen zu sprechen: "Die Bundesrepublik Deutschland ist bereit, Wege in Betracht zu ziehen, die eine zufriedenstellende Erbringung konsularischer Dienstleistungen für afghanische Staatsangehörige, die in Deutschland leben, ermöglichen."

In der afghanischen Community löst die neue Lage Ängste aus. "Die Diaspora hat immer noch Familien in Afghanistan", sagt Patoni Teichmann, afghanische Sozialaktivistin. "Wenn die Taliban an persönliche Informationen aus den Botschaften kommen, könnten sie die Menschen leichter unter Druck setzen."

Auch die Frauenrechtlerin und ehemalige stellvertretende Ministerin für Flüchtlingsfragen Alema Alema sieht die Gefahr, dass die Taliban als Gegenleistung für die Aufnahme der Abgeschobenen möglicherweise eine Botschaft in Deutschland verlangen. "Wir müssen in den kommenden Tagen wachsam bleiben, um nicht überrumpelt zu werden."

Die Taliban könnten tatsächlich bald versuchen, eigene Leute in die diplomatischen Vertretungen nach Deutschland zu schicken. In einer Zeit, in der die Bundesregierung mehr Abschiebungen nach Afghanistan erreichen will, würde dies Berlin unter Druck setzen.

Das Auswärtige Amt versichert: "Voraussetzung für eine Normalisierung des Verhältnisses zu Afghanistan ist die Einhaltung von Afghanistans internationalen Verpflichtungen, einschließlich und insbesondere die Einhaltung der Menschenrechtsverpflichtungen. Diese Voraussetzung ist bisher nicht gegeben", so das Außenministerium auf Nachfrage der DW.

Technische Gespräche oder Schritte zur Normalisierung

Dass Berlin "technische Gespräche" mit der De-facto-Regierung in Kabul führt, wird immer öfter öffentlich erwähnt. Da die deutsche Botschaft in Kabul seit der Machtergreifung der Taliban im August 2021 geschlossen ist und Deutschland keinen akkreditierten Botschafter in Afghanistan hat, spreche man - unterhalb der politischen Ebene - "vor allen Dingen über unser Verbindungsbüro, das wir in Doha zu den dort ansässigen Vertretern der De-facto-Regierung halten", miteinander, so ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in der Regierungspressekonferenz.

Bei großen politischen Anliegen, wie zuletzt bei der Abschiebung von Straftätern direkt nach Kabul aus Leipzig Ende August, habe die Bundesregierung nach eigenen Angaben keine technischen Gespräche geführt, sondern auf die Hilfe von Vermittlerländern wie Katar zurückgegriffen.

Umso erstaunlicher: In dem Dokument des deutschen Außenministeriums, das als "förmliche Mitteilung" an die Taliban übermittelt wurde, steht oben als Absender "Embassy of the Federal Republic of Germany Kabul". Auf dem Stempel steht: "Botschaft der Republik Deutschland Kabul". Der Rechtswissenschaftler Winfried Kluth sieht es als "Grauzone" und möglicherweise "eine Verschleierungsmaßnahme". Da die deutsche Botschaft in Kabul derzeit geschlossen ist, sei das "widersprüchlich zu den rechtlichen Tatsachen - und da ist es schwierig zu ergründen, was der Urheber sich dabei gedacht hat", sagt der Experte. Das Auswärtige Amt wollte sich dazu nicht äußern.

Dass man technische Gespräche führe, würden die Taliban als "wichtigen Schritt hin auf eine diplomatische Anerkennung verkaufen", so der Afghanistanexperte Thomas Ruttig im Gespräch mit der DW. "Die deutsche Seite wird versuchen, es herunterzuspielen, aber angesichts der derzeitigen Diskussionen über Abschiebungen nach Afghanistan ist man natürlich daran interessiert", so Ruttig.

Nun will die afghanische Community in Deutschland gegen die neuen Regeln der Taliban in Berlin demonstrieren. Der erste Termin Anfang September wurde von der Polizei nicht genehmigt. Nun versuchen sie es am 11. September.

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