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Javier Milei: Will Argentinien "great again" machen

10. Oktober 2021

Javier Milei ist der personifizierte Aufstand gegen das Establishment. Jahrelang tingelte der Ökonom durch Talkshows und prangerte die Politik des Landes an. Jetzt will er selbst regieren. Junge Wähler finden das gut.

Argentinien | Präsidentschaftskandidat Javier Milei mit Corona-Maske auf einer Kundgebung blickt direkt in die Kamera
Javier Milei will erst in den Kongress, dann Präsident werden. Sein Motto: Freiheit vor StaatBild: Paula Acunzo/ZUMA Wire/imago images

Rocksänger, Fußball-Torwart und Wirtschaftsprofessor - das sind die drei Herzen, die nach eigenem Bekunden in Javier Mileis Brust schlagen. Nun soll wohl auch noch das eines Politikers hinzukommen.

Dafür hat Milei im vergangenen Juli die Partei La Libertad Avanza ("Die Freiheit kommt voran") gegründet. Zusammen mit anderen liberalen Kleinparteien hat sie eine Liste für die anstehenden Parlamentswahl am 14. November aufgestellt. In den Vorwahlen - einer Eigenheit des argentinischen Wahlsystems - kam La Libertad Avanza im September auf immerhin 13 Prozent. Genug, um eine Menge Reden von sich zu machen.

Mit Trump und Bolsonaro gegen den Sozialismus

Gewählt haben ihn vor allem junge Menschen. Viele dürften sich von Mileis Auftreten angesprochen fühlen. Denn seine Vergangenheit als Sänger einer Rockband hallt bei Wahlkampfauftritten wider: Oft tritt er in Lederjacke auf, stimmt eine Rockhymne an und lässt sich feiern. Die dichten, stets strubbelig in alle Richtungen abstehenden Haare haben ihm den Spitznamen "Peluca" ("Perücke") eingebracht.

Präsident Alberto Fernández und Vize Cristina Kirchner: Nicht nur die regierenden Peronisten sind Milei zuwider, sondern auch ihre etablierten GegenspielerBild: Natacha Pisarenko/AP Photo/picture alliance

Nicht nur wegen seines unkonventionellen Stils wird er gern mit Donald Trump oder Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro verglichen. Milei erscheint das nur logisch: "Unsere gemeinsame Linie ist der Kampf gegen den Kommunismus, gegen den Sozialismus", sagt er.

Mit Trump hat er zudem eine Vergangenheit als TV-Star gemein. Allerdings hatte Milei keine eigene Reality-Show, sondern erklärte den Argentiniern jahrelang in Nachrichtemagazinen und Talkrunden die Wirtschaft - und dabei vor allem, wie die Politik ihr Steine in den Wachstumspfad lege.

Wirtschaftlich rechts, gesellschaftlich links

Aber Show-Talent besitzt auch Milei. In einer Comedy-Sendung belehrt er sein satirisches Double: "Der Rechte lässt Dich nicht ins Bett gehen, mit wem Du willst, der Linke lässt Dich nicht Geschäfte machen, mit wem Du willst. Der Libertäre kümmert sich weder darum, mit wem Du Geschäfte machst, noch mit wem Du ins Bett gehst."

Doch Mileis Liberalismus geht weiter: Die Erhebung von Steuern ist für ihn schlimmer als Diebstahl, weil der Staat hauptsächlich eine Maschinerie sei, die dazu diene, Pfründe innerhalb der politischen Klasse zu verteilen. Sozialleistungen bezeichnet er als asozial, weil sie die Menschen in die Abhängigkeit vom Staat und von Politikern treibe, die sie ihnen versprechen. Eigeninitiative und kreatives Unternehmertum würden so unterdrückt.

Ein Argentinier folgt der Österreichischen Schule

Die Argumentation folgt den Lehren der Österreichischen Schule, zu deren wichtigsten Vertreter die Ökonomen Ludwig von Mises, der Nobelpreisträger Friedrich von Hayek und der US-amerikanische Anarchokapitalist Murray Rothbard gehören. Der Tenor: Ein Minimalstaat ist das Beste für die Menschen.

Javier Milei macht Wahlkampf: "Ich bin nicht gekommen, um Schafe zu hüten, sondern um Löwen zu wecken", steht auf dem BühnendachBild: Esteban Osorio/Pacific Press/picture alliance

Bei den meisten Europäern lösen solch libertäre Thesen verständnisloses Kopfschütteln aus. Auf der anderen Seite des Atlantiks sind sie deutlich bekannter und anerkannter, sagt der argentinisch-deutsche Wirtschaftsprofessor Federico Foders: "Die Österreichische Schule hat in Argentinien durchaus eine Tradition."

Geplatzte Großmachträume

Dass Milei damit bei argentinischen Wählern ankommt, kann Foders nachvollziehen: "Es ist fast egal, welche Regierung in Argentinien an der Macht war, sie haben in erster Linie ihre Klientel mit Posten, Lizenzen und Staatsaufträgen versorgt und dafür abkassiert." Die Folge war ein beispielloser wirtschaftlicher Abstieg des Landes. Und der Frust darüber sitzt bei vielen Argentiniern tief.

Rennovierungsbedürftige Prachtbauten wie der Kongresspalast in Buenos Aires machen den wirtschaftlichen Verfall sichtbarBild: Natacha Pisarenko/dpa/AP/picture alliance

Wer schon einmal in Buenos Aires war, erahnt, wie weit es abwärts ging: Großzügige Boulevards und prachtvolle Gebäude aus Jugendstil, Klassizismus und anderen Epochen, die ab dem 19. Jahrhundert mit den Einwanderern aus Europa herüber kamen, prägen das Zentrum der Hauptstadt. An vielen Stellen wähnt man sich in einem Architekturmuseum - allerdings in einem zunehmend heruntergekommenen.

Ein reiches Land arm gewirtschaftet

Tatsächlich gehörte Argentinien vor 100 Jahren zu den reichsten Ländern der Erde. Das Pro-Kopf-Einkommen war um ein Vielfaches höher als das von Deutschland, Großbritannien oder den USA. Argentinien träumte davon, Großmacht zu werden. Denn während Europa und die USA sich in zwei Weltkriegen aufrieben, machte Argentinien Kasse, indem es die Welt mit Getreide, Fleisch und anderen Rohstoffen belieferte.

Argentinien vor der Pleite

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Das Problem: Dabei ist es bis heute geblieben. Anstatt die Reichtümer für Investitionen in Bildung zu nutzen, das Land zu industrialisieren und damit eine tragfähige Wirtschaft für die Masse der oft mittellosen Einwanderer zu schaffen, beschränkten sich die Eliten weitgehend darauf, das Vorhandene aufzuteilen - und zwar hauptsächlich untereinander.

Argentinien zu alter Größe führen

"Daran hat sich bis heute nicht viel geändert", meint der gebürtige Argentinier Foders. Hinzu komme eine völlig verfehlte Fiskalpolitik, die nicht nur Argentinien seit Jahrzehnten von einem Staatsbankrott in den nächsten führt. Sie hat auch eine Inflation zur Folge, die im Durchschnitt der letzten 60 Jahre bei 24 Prozent liegt - die 15 Jahre, in denen die Rate drei- oder gar vierstellig war, nicht mitgerechnet. "Eine Regierung nach der anderen hat sich als unfähig erwiesen, das Land dauerhaft aus der Krise zu führen", urteilt Foders.

Mittlerweile haben die Nachbarn Chile, Brasilien und Uruguay und sogar Mexiko ein höheres Pro-Kopf-Einkommen als Argentinien. Kein Wunder also, dass Milei mit markigen Sprüchen an den Stolz der Argentinier appelliert: "Reiner, harter Liberalismus hat Argentinien zum führenden Land der Welt gemacht." Und genau den will Milei in Argentinien nun wieder einführen. Ein Einzug ins Abgeordnetenhaus wäre ein erster Schritt. 2023 will Javier Milei Präsident werden.

Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.