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Wie ein Bauer an der Aller gegen das Hochwasser kämpft

Oliver Pieper z.Zt. in Winsen (Aller)
4. Januar 2024

Weite Landstriche in Deutschland stehen unter Wasser. Auch Landwirte trifft das hart: Sie müssen bei der Ernte retten, was noch zu retten ist.

Mann steht mit Gummistiefeln im Hochwasser und hält einen weiteren Gummistiefel in der Hand
Landwirt Dirk Reinecke fischt einen Gummistiefel aus dem Aller-WasserBild: Oliver Pieper/DW

Am letzten Tag des Jahres, als viele Deutsche sich gemütlich auf den Silvesterabend und die Feier ins neue Jahr vorbereiten, macht Dirk Reinecke am frühen Morgen hektisch seine drei Traktoren fertig zur Abfahrt. Der Landwirt aus der niedersächsischen Stadt Winsen an der Aller ist schon seit Tagen im Dauereinsatz, hat zusammen mit anderen Bauern mitgeholfen, Deiche gegen das Hochwasser abzudichten. Jetzt geht es darum, noch 150 Tonnen Stärkekartoffeln seines Hofes vor den Fluten zu retten. Bis in den frühen Abend schuftet er erfolgreich mit sechs Mitstreitern, damit seine Winterernte nicht ganz ins Wasser fällt.

Reinecke sagt gegenüber der DW: "Ich bin 58 Jahre alt, so ein Hochwasser habe ich noch nie erlebt. Wir haben normalerweise alle vier bis fünf Jahre ein Hochwasser mit mittlerer Stärke, wo die Strecken danach wieder befahrbar sind und man sie wieder nutzen kann. Aber in dieser Dimension, wie es jetzt ist, so hohe Wasserstände im Dorf, haben wir noch nie gehabt."

Fast jeder Bauer in Niedersachsen von Hochwasser betroffen

Der erste Blick des Landwirtes, der den Hof in achter Generation hauptsächlich mit Milchproduktion bewirtschaftet, schaut sich jeden Morgen im Internet den Pegelstand der Aller an. Der 260 Kilometer lange Fluss, der sich in ruhigen Zeiten gemächlich durch die Bundesländer Sachsen-Anhalt und Niedersachsen schlängelt, tritt derzeit an vielen Stellen über die Ufer. In Reineckes Nachbardorf wird gerade ein 1,2 Kilometer langer mobiler Deich aus Frankreich aufgebaut, damit die Ortschaft nicht weiter im Wasser versinkt.

"Maximal 23 Zentimeter haben gefehlt, dann wäre bei uns das Wasser über den Deich gekommen. Und das wäre dann eine komplett neue Situation gewesen, wo ich wirklich nicht weiß, was dann auf uns zugekommen wäre, wenn also der Deich gebrochen wäre", sagt Dirk Reinecke.

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Das Landvolk Niedersachsen, der Bauernverband des Bundeslandes, geht davon aus, dass fast jeder der 35.000 landwirtschaftlichen Betriebe von Überflutungen seiner Felder oder von Nässeschäden betroffen ist. "Es sind mehrere Hunderttausend Hektar Acker und Grünland überschwemmt", so Landvolk-Präsident Holger Hennies. Auch Hunderte Hofstellen seien von Überschwemmungen betroffen, "glücklicherweise aber nur sehr wenige Betriebe so stark, dass auch Ställe betroffen sind und Vieh evakuiert werden musste".

Hochwasser plus Sparpläne der Regierung

Insbesondere die Ernte von Kartoffeln und Zuckerrüben ist in vielen Regionen stark gefährdet. Reinecke machte die Erfahrung wie viele seiner niedersächsischen Kolleginnen und Kollegen: Durch einen extrem nassen Herbst waren viele Flächen nicht mehr befahrbar, schwere Maschinen für die Ernte schonmal gar nicht. Schon ab November sei auf vielen seiner Anbauflächen Land unter gewesen, so der Landwirt.

"Ich habe zum Beispiel einen Hektar Kartoffeln noch in der Erde, die konnte ich noch gar nicht abernten, die sind verloren. Der Schaden beträgt schon einmal circa 6500 Euro. Hinzu kommen etwa 5000 Euro für die durchweichten 20 Hektar Getreidefläche, die mir bis jetzt als Kosten entstanden sind", rechnet Reinecke vor. "Ich zehre aktuell noch von meinen Rücklagen aus dem letzten Jahr, aber die sind natürlich irgendwann auch aufgebraucht. 2024 wird ein schwieriges Jahr, kann ich nur sagen."

"Die Politik muss dafür sorgen, das Deichsystem in Ordnung zu bringen" - Dirk ReineckeBild: Oliver Pieper/DW

Nicht zuletzt auch deswegen, weil die Sparpläne der Bundesregierung bisher vorsahen, dass die Steuervergünstigungen für Agrardiesel wegfallen und die Steuerbefreiungen für land- und forstwirtschaftliche Fahrzeuge gestrichen werden sollen. Mit dem Hochwasser hätten viele der deutschen Landwirtinnen und Landwirte innerhalb kürzester Zeit also einen zweiten Tiefschlag wegstecken müssen. Dirk Reinecke, der im Dezember zu den Bauernprotesten nach Berlin gefahren ist, gehörte mit zu denen, die von der Politik gefordert haben, diese Vorhaben zurückzunehmen.

Die Proteste der Bauern hatten offenbar Erfolg. Denn am 4. Januar gab die Bundesregierung bekannt, dass sie die Kürzung der Subventionen für die Landwirte teilweise zurücknehmen will.

Schuldenbremse aussetzen wegen Hochwasser?

Unterdessen werden zurzeit in Berlin Forderungen laut, wegen des Hochwassers und der Folgeschäden die Schuldenbremse, die die Schuldenaufnahme des Staates begrenzen soll, zu lockern. Das Ausmaß für die Landwirte ist dabei noch gar nicht absehbar, denn das Hochwasser flutet und zerstört nicht nur riesige Anbauflächen von Bauernhöfen mit weitreichenden Konsequenzen, sondern bringt auch noch ganze Lieferketten zum Erliegen.

"Man kann nicht ruhig schlafen, weil man nicht weiß, was einen am nächsten Tag erwartet" - Dirk ReineckeBild: Oliver Pieper/DW

Die 150 Tonnen Kartoffeln, die Reinecke zum Beispiel jetzt unter einer großen grünen Plane auf seinem Hof lagert, sollten eigentlich zu Stärke weiterverarbeitet werden - doch auch das produzierende Unternehmen ist vom Hochwasser betroffen. Das Wintergetreide, das er im Oktober ausgesät hat, kann der Landwirt im nächsten Winter nicht mehr nutzen. Viele Bäuerinnen und Bauern werden deswegen im Frühjahr neu säen müssen, doch da es sich um riesige Flächen handelt, könnte das Saatgut dann knapp werden, befürchtet Dirk Reinecke.

Klimawandel setzt Bauern unter Druck

Wohin außerdem mit der Gülle, wenn die landwirtschaftlichen Flächen vielleicht bis Mitte Februar unbefahrbar sind? Und dann, als Folge des Klimawandels, steht möglicherweise schon ein paar Monate später für die Bäuerinnen und Bauern die nächste große Herausforderung vor der Tür: eine Dürre im Sommer. Dirk Reinecke macht sich vor allem wegen der neuen klimatischen Bedingungen große Sorgen um die Zukunft der deutschen Landwirtschaft.

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"Ich denke mal, es wird so kommen, wie das in der Industrie oder im Handel auch gekommen ist. Ein paar größere Betriebe werden überleben. Aber die Familienbetriebe, die mittleren und kleineren Betriebe in meiner Größenordnung, werden sich entweder Nischen suchen oder über kurz oder lang sagen, es lohnt sich nicht mehr, wir verpachten unsere Flächen und suchen uns andere Einnahmequellen."