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Wie ein "Putin-Tribunal" funktionieren könnte

27. April 2025

Russlands Krieg gegen die Ukraine erfordert nicht nur militärische und politische Antworten. Erst eine juristische Aufarbeitung würde für Gerechtigkeit sorgen. Könnte es solch ein Tribunal tatsächlich geben?

Die Statue der Justitia vor der ukrainischen Flagge
Die Statue der Justitia vor der ukrainischen FlaggeBild: Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance

Kommt Russland für seine Verbrechen in der Ukraine irgendwann vor Gericht? Die Pläne für ein Sondertribunal stehen, doch politisch entschieden ist noch nichts. Details zum Tribunal, das beim Europarat angesiedelt wird, sind noch geheim.

Fest steht, dass Wladimir Putin, solange er Präsident ist, nicht belangt werden kann. Für amtierende Staatschefs gilt eine Immunität. Trotzdem wird inoffiziell von einem "Putin-Tribunal" gesprochen, weil in der internationalen Rechtsprechung die oberste Führung eines Staates für eine Aggression gegen ein anderes Land verantwortlich gemacht wird.

Vorerst keine Anklage, aber Ermittlungen

Bereits jetzt könne das Sondertribunal gegen Russlands Führung und möglicherweise auch gegen die von Belarus ermitteln, sagt Jörg Polakiewicz, Leiter der Abteilung für Rechtsberatung und Völkerrecht beim Generalsekretariat des Europarates.

Allerdings hat der Europarat nicht dieselben Befugnisse wie der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, der die Immunität der drei höchsten Amtsträger eines Landes - des Präsidenten, des Premierministers und des Außenministers - aufheben kann.

"Das Sondertribunal wird Wladimir Putin nicht in Abwesenheit vor Gericht stellen, solange er Präsident Russlands ist", bestätigte ein Vertreter der Europäischen Union in Brüssel. Gleiches gelte für Premier Michail Mischustin und Außenminister Sergej Lawrow.

"Das ist natürlich absurd", kritisiert Oleksandra Matwijtschuk. Die Leiterin der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Organisation Center for Civil Liberties erwartet vom Sondertribunal, diejenigen zu bestrafen, die für die Gräueltaten verantwortlich sind. Seit elf Jahren trägt sie mit ihren Mitarbeitenden die Beweise dafür zusammen.

Oleksandra Matwijtschuk, Leiterin der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Organisation Center for Civil Liberties, trägt Beweise für Kriegsverbrechen zusammen Bild: Richard Walker/DW

Der Plan für das Tribunal sehe vor, aufgrund von Ermittlungen gegen Putin, Lawrow und Mischustin eine Anklage vorzubereiten, erläutert eine Quelle, die mit der Einrichtung des Sondertribunals vertraut ist. Doch bis zur Aufhebung der Immunität könne weder ein Haftbefehl erlassen noch die Anklage erhoben werden.

Gegen wen kann alles ermittelt werden?

Ermittelt werde ebenso gegen rund zwei Dutzend russische Beamte, die auf einer von Kyjiw erstellten Liste stünden, so die DW-Quelle, die anonym bleiben wollte. Demnach wird sich das Tribunal auf hochrangige Vertreter von Politik und Militär konzentrieren, die für die Planung, Vorbereitung und Durchführung der militärischen Aggression verantwortlich sind.

Oleksandra Matwijtschuk erinnert daran, dass sich die Nürnberger Prozesse gegen die Hauptkriegsverbrecher des Nationalsozialismus nicht auf die oberste Führung Nazi-Deutschlands beschränkt hatten.

"Es war klar, dass nicht nur drei Personen für die Verbrechen verantwortlich waren", sagt sie. Mit Blick auf das "Putin-Tribunal" müsse der Kreis der Entscheidungsträger in Russland noch bestimmt werden.

Gleb Bogush vom Institute for International Peace and Security Law der Universität Köln meint, man könne von zwanzig Personen ausgehen. "Das soll das Gericht klären", betont er.

Wer unschuldig sei, den werde man gehen lassen. Es müsse aber zu einem Prozess kommen, bei dem sich jeder vor einem unabhängigen Gericht äußern könne, so der Experte.

Was Experten am Sondertribunal kritisieren

Bogush findet, die Gründer des Tribunals hätten Putins Privilegien faktisch anerkannt und damit dessen These bestätigt, er sei unantastbar. Besser wäre es gewesen, die Frage der Immunität den Richtern des Tribunals zu überlassen.

Der Experte kritisiert zudem, dass es der Europarat versäumt habe, Putin zum illegitimen Präsidenten zu erklären. Die Entscheidung, ihm Immunität zu gewähren, sei ein gefährliches Signal, das als Aufforderung verstanden werden könnte, die Anordnungen des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) zu ignorieren, der einen Haftbefehl gegen Putin erlassen hat.

"Der Europarat hat es versäumt, Putin zum illegitimen Präsidenten zu erklären", meint Gleb Bogush vom Institute for International Peace and Security Law der Universität Köln Bild: DW

Der Europarat geht jedoch davon aus, dass "die für das Sondertribunal zu dieser Frage gefundene Formel ausreichen wird, um die Rechenschaftspflicht sicherzustellen und der Straflosigkeit entgegenzuwirken". Das Völkerrecht habe sich trotz Hindernissen weiterentwickelt, betont die Organisation gegenüber der DW. Eine persönliche Immunität sei noch lange "kein Freibrief für Straflosigkeit".

Bleibt noch die Frage, welchen Zeitraum das Tribunal in Betracht ziehen wird. "Der Krieg begann nicht im Februar 2022, sondern schon im Februar 2014", betont Oleksandra Matwijtschuk.

Sie befürchtet, die Annexion der Krim und der Krieg im Osten der Ukraine könnte unbeachtet bleiben. "Dies hätte langfristige rechtliche Folgen für diejenigen, die in den acht Jahren vor 2022 gelitten haben, sowie für die Wiederherstellung des Völkerrechts und die Rückgabe der besetzten Gebiete an die Ukraine."

Technische Vorbereitungen für Tribunal beendet

Der Plan für ein Sondertribunal wurde ab 2023 von einer Gruppe führender Rechtsexperten erarbeitet und im März 2025 vorgelegt. Er enthält einen Vertrag zwischen der Ukraine und dem Europarat, eine Satzung und ein Abkommen über die Leitung des Tribunals.

Man habe sich entschieden, es mit Zustimmung der Niederlande in Den Haag anzusiedeln, teilte die DW-Quelle mit. Kyjiw wird die Ergebnisse seiner Ermittlungen an das Tribunal übergeben.

Dort werden auch die Beweise berücksichtigt, die vom Internationalen Zentrum für die Verfolgung des Verbrechens der Aggression gegen die Ukraine (ICPA) gesammelt wurden. Das ICPA wurde mit Unterstützung der EU-Kommission ebenfalls in Den Haag eingerichtet und setzt sich aus ausgewählten nationalen Staatsanwälten zusammen.

Das Tribunal wurde beim Europarat angesiedelt, weil die Vereinten Nationen dafür nicht in Frage kamen. Schließlich würde Russland ein solches Projekt im Sicherheitsrat blockieren. Auch der Internationale Strafgerichtshofs entfiel, weil sich dessen Zuständigkeit nur auf die Vertragsstaaten des Römischen Statuts erstreckt. Und Russland zählt nicht dazu.

Vor dem Sitz des Europarates in Straßburg wehen die Flaggen der 46 MitgliedsländerBild: Dwi Anoraganingrum/Panama Pictures/picture alliance

Allerdings messen Beobachter dem Europarat keine allzu große Bedeutung bei, weil Russland wegen der Invasion der Ukraine aus der Organisation ausgeschlossen wurde. "Aber dass Opfer und Aggressor zu Beginn der Aggression Mitglieder der Organisation waren, hat für die Legitimität große Bedeutung", betont Jörg Polakiewicz.

Nächste Schritte liegen bei der Politik

Der Plan für das Tribunal muss nun von der Politik geprüft werden. Damit beginnt eine Zeit der Ungewissheit, denn alles deutet darauf hin, dass sich die USA unter Präsident Donald Trump zurückziehen und das Tribunal weder politisch noch finanziell unterstützen werden.

Auch Ungarn lehnt das Tribunal ab. Unklar ist noch, wie sich Aserbaidschan, die Türkei oder Serbien verhalten, die alle enge Beziehungen zu Russland pflegen.

Eine endgültige Entscheidung erfordert eine Zweidrittelmehrheit im Europarat. Anschließend müssten die Parlamente der Mitgliedsländer den Beschluss noch ratifizieren, was Monate dauern könnte.

"Im Krieg sind keine schnellen Maßnahmen zu erwarten", sagt Gleb Bogush. Zudem könnten gewisse politische Lager in verschiedenen Ländern ein Tribunal als Eskalation des Konflikts oder als Schritt betrachten, der Verhandlungen erschwere, so der Experte. "Das könnte dieses Verfahren erheblich verzögern, wenn nicht gar begraben."

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk.

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