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Wie eine Autobahn Berliner Techno-Clubs bedroht

Stuart Braun
9. September 2023

Der Ausbau der A100 durch die Berliner Innenstadt würde zahlreiche Einrichtungen des Nachtlebens zerstören. Die Clubszene hat sich mit Klimaaktivisten zusammengetan, um den Bau zu stoppen.

Schlange vor Berlins Techno-Club Berghain
Clubs wie das legendäre Berghain sind nach dem Mauerfall vor allem in Ost-Berlin entstandenBild: Christophe Gateau/dpa/picture alliance

Als vor fast 35 Jahren die Berliner Mauer fiel, nisteten sich in den zurückgebliebenen verlassenen Fabriken und Ruinen Untergrundkünstler und Kreative ein. Die heruntergekommenen Gebäude wurden zu den Keimzellen einer kulturellen Revolution, die die Stadt und ihre Bewohner dauerhaft prägen sollte. In den Räumen, die einst von der Teilung der Stadt gezeichnet waren, entwickelte sich eine einzigartige Subkultur. In dunklen Kellerclubs wummerte elektronische Musik, die alsbald zum Markenzeichen der Stadt wurde. Die verlassenen Gebäude boten Raum für Experimente und kreative Freiheit, die in anderen Teilen der Stadt kaum zu finden waren.

Mit der Zeit wurden diese Orte zu legendären Veranstaltungsorten. Pionierclubs für Techno-Musik wie der Tresor, der in einem ausgebombten Banktresor untergebracht war, und später das Berghain, das sich in einem stillgelegten Kraftwerk der DDR niederließ, waren nur einige von vielen, die die Überbleibsel von Krieg und Teilung in Berlin mit Leben füllten.

Clubsterben seit Jahren ein Problem 

Heute jedoch sind diese anarchisch entstandenen, selbstverwalteten Kulturorte vom sogenannten Clubsterben bedroht. Die Verdrängung von alteingesessenen Clubs, die sich vor allem in den vergangenen Jahren durch Bebauung, Modernisierung, Gentrifizierung und die COVID-19-Einschränkungen verstärkt hat.

In jüngster Zeit kam noch eine Bedrohung hinzu: der geplante und weitgehend beschlossene Ausbau der Bundesautobahn A100. Auf der geplanten Route liegen rund 30 über Jahrzehnte gewachsene Clubs und Kulturstätten. Das betroffene Gebiet erstreckt sich nördlich der Spree durch Friedrichshain im ehemaligen Ostberlin. Es ist relativ frei von Bebauung geblieben - auch weil der 17. und letzte Abschnitt der A100 weite Teile des Bezirks platt machen könnte.

Der Club Tresor in der Köpenicker Straße im Berliner Stadtteil Mitte (Archivfoto vom 12.02.2009)Bild: picture-alliance/ ZB

Die Berliner Sozialdemokraten, die die Stadt lange Zeit regierten, haben den Ausbau in der Vergangenheit konsequent abgelehnt. Doch die derzeitig regierende konservative Partei CDU unterstützt ihn - ebenso der Bundesverkehrsminister Volker Wissing von der wirtschaftsliberalen Partei FDP. Er ist es, der letztendlich über Bau oder Nicht-Bau entscheidet.

Clubszene wehrt sich gegen A100-Verlängerung

Einige der berühmtesten Veranstaltungsorte Berlins sind von der Räumung bedroht, wenn die A100 weitergebaut wird. Dazu gehören der beliebte Tanzclub Else am Spreeufer, der aus umgebauten Schiffscontainern errichtet wurde, das About Blank, ein industrieller Techno-Clubkomplex, der von einem Kollektiv betrieben wird, das den Raum einst besetzte, und die Wilde Renate, ein riesiger Club und Ausstellungsraum in einem ehemaligen Mietshaus.

Da die Politik jetzt Nägel mit Köpfen machen will, gibt es immer mehr Aktionen gegen den Bau der A100 durch die Innenstadt: Im April blockierte beispielsweise ein klassisches Orchester und ein Chor laufende Bauarbeiten zur A100. Ihr Motto "Musizieren statt Betonieren - Verkehrswende jetzt - A100 stoppen". Dabei führten sie den ACDC-Song "Highway to Hell" auf.

Und kürzlich veranstaltete die Berliner Clubszene gemeinsam mit Klimaaktivisten und lokalen Bürgerinitiativen einen Rave mit 20.000 Menschen, um die kulturelle Vielfalt im Bezirk zu feiern. Mehr als 1000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer nahmen außerdem an einer Fahrraddemonstration teil, die vom Berliner Verkehrsministerium aus startete und auf die Klimaauswirkungen des Autobahnausbaus aufmerksam machen sollte.

Die Veranstaltung mit dem Titel "A100 wegbassen" wurde von der Berlin Club Commission mitorganisiert, dem weltweit ersten selbstorganisierten Netzwerk für Clubkultur. 2018 organisierte sie unter dem ähnlichen Motto "AfD wegbassen" eine Techno-Straßenparade gegen eine Veranstaltung der Partei Alternative für Deutschland.  

"Mit vielen Menschen haben wir gezeigt, dass der Weiterbau der A100 ein Projekt der Vergangenheit ist und wir uns lebenswerte Städte anders vorstellen", so Fridays for Future in einem Instagram-Post nach der Veranstaltung.

"Clubkulturelle Barrikade gegen den fossilen Kapitalismus"

Die Betreiber vom About Blank erklärten, dass sie sich der Autobahn in den Weg stellen würden, um sowohl die Clubkultur zu erhalten als auch den klimaschädlichen Autoverkehr zu stoppen. Das Kollektiv hinter dem vor 13 Jahren gegründeten Techno-Club betont auf Facebook: "Die Autobahnverlängerung ist ein Anachronismus, eine Altlast der staatlich protektionierten Automobil-Lobby, an deren Abwrackung sich bisher auch keine sogenannte Grüne Partei herangewagt hat." Und weiter heißt es: "Wir verstehen uns als eine clubkulturelle Barrikade gegen den fossilen Kapitalismus, der ursächlich ist für die Klimakatastrophe." 

Den Bau von Autobahnen zu blockieren, hat in Berlin Tradition, meint der Sprecher der Club Commission, Lutz Leichsenring, im DW-Interview. Berliner Künstler und Aktivisten hätten sich schon in den 1980er Jahren dagegen eingesetzt, dass Mietskasernen in Kreuzberg im ehemaligen West-Berlin für den Bau einer Autobahn platt gemacht werden sollten.

Berlin: Hauptstadt von Techno und Clubkultur

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Die Stadtplanung der 1950er Jahre, die auf die Schaffung von Autostädten ausgerichtet war, sei in Berlin immer noch sehr lebendig, meint Leichsenring. Allein die rapide steigenden Kosten könnten den endgültigen Ausbau der A100 noch lange nach der Fertigstellung des ersten Abschnitts im Jahr 1958 verhindern, führt er aus.

Inflation steht dem Ausbau der A100 im Weg

Seit der Einführung des "Deutschlandtickets" für 49 Euro ist die Autonutzung in Berlin um 16 Prozent zurückgegangen. Leichsenring sieht darin eine Bestätigung: Es gebe Alternativen zu diesem "sehr absurden Projekt" einer Autobahn in der Innenstadt.

Dennoch befürchtet er, dass Clubs, Theater und Museen sich auf Dauer dazu gezwungen sehen könnten, ihre derzeitigen Veranstaltungsorte zu verlassen, da sie auf der Suche nach langfristiger Mietsicherheit sind.

Joe Chialo (CDU)Bild: Philipp Znidar/dpa/picture alliance

Der ehemalige Berliner Kultursenator Klaus Lederer von der Partei Die Linke, sein Nachfolger Joe Chialo von der CDU und auch andere Berliner Politiker machen sich für die Berliner Clubkultur stark, betont Leichsenring. Das hat auch mit der wachsenden Wirtschaftskraft der Clubszene zu tun: Eine Studie der Club Commission zeigt, dass die Berliner Clubs im Jahr 2018 1,5 Milliarden Euro an Einnahmen für die Stadt generierten.

Berliner Kultursenator unterstützt Clubkultur, schweigt aber zur A100

Als Joe Chialo, ein ehemaliges Mitglied der Grünen, 2023 sein Amt als Berliner Kultursenator antrat, sagte er, er wolle, dass Berlins Clubs als "kulturelle Orte" anerkannt werden: "Clubs sind Talentschmieden, erfüllen einen wichtigen kulturellen Beitrag, sie machen Innenstädte attraktiver, ziehen Publikum an und machen den Standort attraktiver", sagte Chialo im Interview mit der Berliner Zeitung. Damit bezog er sich auf die Bemühungen der Club Commission und anderer, die Berliner Clubs als Teil des immateriellen Kulturerbes der UNESCO anerkennen zu lassen.

"Das ist wichtig, weil die Clubs ja als solches nie richtig anerkannt werden", sagte Sophie Kahrmann, DJ und Geschäftsführerin des Berliner Anomalie Art Clubs, während des Straßenfestes Rave the Planet 2022 gegenüber DW. "Politisch gesehen gibt's da keine richtige Nische, und es ist sehr viel mit Vorurteilen behaftet. Ich denke, man sieht, wie wichtig es ist, in Berlin und weltweit diesen Punkt als Kulturstätte zu haben", führte sie weiter aus.

Die DW hat das Büro von Joe Chialo um einen Kommentar zu den möglichen Auswirkungen der A100 auf die Berliner Clubszene gebeten, aber keine Antwort erhalten. 

Tod im Techno-Club - Berlins Partyszene auf Droge

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Weitere Protestaktionen geplant

Aktivistinnen und Aktivisten wollen weiterhin Druck auf die Regierung ausüben, indem sie die Öffentlichkeit auf das Thema aufmerksam machen: Vom 9. bis zum 24. September findet auf einer Industriebrache, die auf der Trasse des nächsten Autobahnabschnitts liegt, die Aktion "Spektakel auf der Autobahn" statt. Das zweiwöchige Programm umfasst Zirkusshows, Musik, Theater und Flohmärkte und soll zeigen, was auf der Brachfläche möglich wäre, wenn die Autobahn nicht gebaut würde.

Zu zeigen, wie das Gelände kreativ genutzt werden kann, steht ganz im Zeichen dessen, wie die Berliner Clubkultur in den Leerräumen Berlins nach dem Mauerfall entstanden ist. "Man muss immer Platz für die nächsten Generationen lassen", sagt Lutz Leichsenring über das kulturelle Leben in der Stadt, die "dazu verdammt ist, immerfort zu werden und niemals zu sein". "Es ist ein großer Fehler, alles immer entwickeln zu wollen", ergänzt er.

Adaption aus dem Englischen: Kevin Tschierse

Stuart Braun Australischer DW-Journalist und Buchautor.
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