Facebook lässt wählen
5. Juni 2012Vor kurzem erst ist die 900 Millionen-Grenze geknackt worden. Jetzt nutzen mehr als acht Prozent der Weltbevölkerung das soziale Netzwerk Facebook - mit anderen Worten: Sehr bald ist jeder zehnte Erdenbürger in Mark Zuckerbergs Web-Imperium verewigt. Richtig, verewigt. Denn was man dort einmal hinterlegt hat, das bleibt auch da. Auf einem der riesigen Server der kalifornischen Facebook-Zentrale. Das US-amerikanische Datenschutzrecht erlaubt, dass persönliche Daten der Nutzer gespeichert und in irgendeiner Form verarbeitet werden. Und so heißt es in den Nutzungsbedingungen seit September 2011 nicht mehr "Datenschutzrichtlinien" sondern "Datenverwendungsrichtlinien". "Wir sind der Ansicht", heißt es bei Facebook, "dass diese Bezeichnung die in dem Dokument (in den Nutzungsbedingungen, d. Red.) enthaltenen Informationen besser beschreibt".
Daten wurden schon immer verwertet
Facebook schreibt ganz offen, dass es sich das Recht nimmt, Informationen weiter zu verwerten und erklärt auch, wie die Daten weiter verwendet werden. Man wird zum Beispiel darauf hingewiesen, dass so genannte Plattform-Anwendungen auf bestimmte Informationen über den Nutzer zugreifen und sie mit anderen teilen können. Diese Anwendungen sind beispielsweise Spiele wie Farmville, Foto-Communities, Quizfragen oder Geburtstagskalender. Diese Applikationen nutzen Facebook als Oberfläche, auf der Nutzerinformationen weitergegeben werden können. Zum Beispiel für Werbezwecke.
Das ist nicht neu - erstmals wurde dieses Vorgehen 2007 in den Nutzungsbedingungen erwähnt. Jede Änderung der Bestimmungen gibt dem Nutzer auch die Möglichkeit, seine Privatsphäre-Einstellungen zu ändern.
So weit, so gut. Doch jede Änderung zu entdecken und gleich darauf zu reagieren, das ist vergleichbar mit dem Auffinden des so genannten "Kleingedruckten" - es erfordert eine Menge Zeit, Geduld und Mühe, das alles haarklein zu verstehen. Hinzu kommt: Bei dem "Kleingedruckten" auf Facebook handelt es sich um viele, sehr viele Seiten.
Merkwürdiges Demokratieverständnis
Ein wirklich sinnvolles Hilfsmittel ist die "Facebook Site Governance". Hier erklärt Facebook regelmäßig, welche Neuerungen demnächst anstehen.
Facebook-User konnten hier schon vor Wochen die neuen Richtlinien einsehen, Kommentare und Verbesserungsvorschläge beisteuern und darüber diskutieren. Jetzt geht Zuckerberg noch etwas weiter, und will seine Schäfchen mitbestimmen lassen. Zwei Möglichkeiten gibt er den Nutzern: Entweder entscheiden sie sich für die alten Richtlinien oder für die neuen - in beiden Fällen sind es seine Richtlinien. Das Zeitfenster dafür reicht vom 1. bis zum 8. Juni 2012, um 16:00 UTC ist Schluss.
Da ist es nicht weiter verwunderlich, dass böse Vergleiche mit pseudodemokratischen Präsidentschaftswahlen in despotischen Regimes gezogen werden.
Mark Zuckerberg will die Wahl nur dann für gültig erklären, wenn sich mehr als 30 Prozent der Facebook-User an der Abstimmung beteiligen. Das würde bedeuten, dass 270 Millionen Menschen abstimmen müssten. Das ist natürlich utopisch. Viele Nutzer sind entweder überhaupt nicht interessiert an Richtlinien und Bestimmungen. Die wollen Spaß haben, lustige Fotos posten und sich mit Freunden verabreden. Andere sind zwar angemeldet, nutzen jedoch diese Plattform überhaupt nicht. Eine Woche Abstimmungsfrist ist auch nicht gerade viel, wenn man die vielen Millionen Nutzer berücksichtigt, die nur alle paar Tage mal auf der Seite unterwegs sind. Und die größte Hürde ist: Die "Facebook Site Governance" ist viel zu unbekannt. Sie hat 2,1 Millionen Fans.
So sprechen Kritiker mit Recht von "wohldosierter Nicht-Information". Datenschützer wie der österreichische Aktivist Max Schrems halten diese Abstimmung auch für eine "Wahl zwischen Pest und Cholera". Schrems empfiehlt übrigens, für die alte Version der Richtlinien zu stimmen. Dann müsste Facebook im Fall des Falles einen neuen Anlauf starten.
Umgang mit persönlichen Daten
Nutzer, die tiefer in die Materie eindringen, sich die Richtlinien Wort für Wort durchlesen und sich der möglichen datenschutzrechtlichen Folgen ihrer Facebook-Präsenz bewusst sind, verhalten sich auch entsprechend. Sie bedienen sich der kleinen Freiheiten, die Facebook ihnen zum Schutz der Privatsphäre lässt: Man kann den Personenkreis einschränken, der private Posts, Fotos und Pinnwand- bzw. Chronikeinträge sehen kann. In den Einstellungen kann man auch ausschließen, dass andere Personen einen auf einem Foto oder an einem Ort markieren. Wenn man alle Anwendungen ignoriert, hat man auch gute Karten, nicht von jeder Werbefirma getrackt zu werden.
Unterm Strich bleibt: Facebook heißt "friss oder stirb". Wer mitmacht, tut es freiwillig. Wer 798 "Freunde" hat und diese nicht filtert, hat keine Kontrolle mehr über das, was mit seinen Posts passiert. Wichtig ist, dass man nicht zu freizügig mit seinen Informationen umgeht. Sensible Daten wie Kontoverbindungen oder Fotos vom letzten Saufgelage sollten auf anderem Wege ausgetauscht werden. Die neue Facebook-Chronik wird nach und nach eingeführt, die Nutzungsbedingungen wurden zu Datenverwendungsrichtlinien - immer wieder gab und gibt es Kritik. Doch die verhallt, die Nutzer machen weiter, denn 900 Millionen Facebook-Mitglieder können offenbar nicht irren.