Jemen Frauen
7. September 2011"Platz des Wandels" – so haben die Regimegegner den grauen Asphalt vor der Universität Sanaa getauft. Seit mehr als sieben Monaten schon stehen hier hunderte bunte Zelten, wehen Flaggen und Protest-Plakate. Unter den Demonstranten, die hier ausharren, sind erstaunlich viele Frauen. Auch in der zweitgrößten Stadt Taiz im Süden des Landes fordern mutige Aktivistinnen den Rücktritt von Präsident Ali Abdullah Saleh. "Die Frauen schlafen sogar auf den Demo-Plätzen. Es ist das erste Mal, dass tausende von ihnen unterwegs sind, in schwarze Schleier gehüllt rufen und brüllen", sagt Amal Basha, Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation Sisters' Arab Forum for Human Rights (SAF) mit Sitz in Sanaa.
Statt des traditionellen schwarzen Schleiers, des Niqab, trägt Aktivistin Basha lieber Hosen und offenes Haar. Die Frauen haben viele Gründe zu demonstrieren, sagt sie. Die Analphabetenquote läge bei 70 Prozent, in einigen ländlichen Gebieten sogar bei 80. Nirgends würden so viele Frauen bei der Entbindung sterben. Und nirgends würden so viele Mädchen zwangsverheiratet. "Es sind die Frauen, die am meisten unter dem traditionellen System im Jemen leiden", sagt sie.
Prominente Demonstrantin
Doch ausgerechnet eine Frau ist in den vergangenen Monaten zum Idol der Demonstrations-Bewegung avanciert: Tawakul Karman, 32 Jahre alt, Mutter von drei Kindern. Die schwarz verschleierte Aktivistin ist Mitbegründerin der Nichtregierungsorganisation "Women Journalists Without Chains". Sie kämpft seit Jahren für Meinungsfreiheit und Menschenrechte. Und die kann es ihrer Meinung nach nur in einem Jemen ohne Präsident Saleh geben. "Wir werden ihn und seine Leute vor Gericht stellen. Wir werden sie wegen Korruption anklagen – und weil sie so viele Demonstranten auf dem Gewissen haben. Es ist ganz klar: Ali Abdullah Saleh wird nie mehr zurück an die Macht kommen", erklärte Karman auf einer Demo im Juni in Sanaa.
Mutige Frauen wie Karman gelten im konservativen Jemen nach wie vor als Ausnahmen. Trotzdem waren viele Beobachter nicht überrascht, dass gerade die Frauen die Protestbewegung antreiben. "Schon bevor sie sich den Protesten angeschlossen haben, waren sie in der Zivilgesellschaft aktiv. Sie sind schon seit längerer Zeit sehr viel präsenter in der Öffentlichkeit. Da ist es ganz natürlich, dass sie auch demonstrieren gehen", erklärt Dina El-Mamoun, Jemen-Expertin der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Die Gesellschaft ist männerdominiert, aber die einflussreichen NGOs in den großen Städten werden von Frauen geleitet.
Die Frauen seien heute so stark, weil das Regime sie überhaupt nicht ernst genommen habe, sagt Aktivistin Amal Basha. Von Frauenorganisationen werde erwartet, dass sie sich mit Gesundheitsthemen, Kindererziehung oder Verhütung beschäftigten. Doch in Wahrheit würden die Aktivistinnen Tabu-Themen anpacken, so Bahsa. Sie kämpfen gegen Folter und dafür, dass das Heiratsalter für Mädchen heraufgesetzt wird. "Wir haben das Regime einfach ausgetrickst. Wir Frauen gelten als schwach. Und genau diese Schwäche nutzen wir aus und sprechen die Probleme an, mit denen Männer sich nicht so einfach beschäftigen können", erklärt die Aktivistin.
Elf Frauen im Übergangsrat
2006 haben Frauenrechtlerinnen die Watan-Koalition gegründet, eine Lobby-Gruppe, die die Kandidatur weiblicher Parlamentarierinnen unterstützen soll. Nur eine Frau hat es bisher ins Parlament geschafft, aber die Koalition gibt es heute noch. Sie versogt die Demonstranten auf dem Platz des Wandels mit Essen und leistet medizinische Hilfe. Doch welche Rolle die Frauen zukünftig in der Politik spielen werden, ist noch völlig unklar. "Wir haben von den Oppositionsparteien noch nicht gehört, wie sie die Lage der Frauen verbessern wollen. Und wir wissen nicht, welche politischen Institutionen entstehen werden und wie die sich in Sachen Frauenrechte positionieren werden", sagt Dina El Mamoun von Amnesty International.
Im August hat die Opposition einen nationalen Übergangsrat gewählt. Gerade mal elf der 143 Mitglieder sind Frauen. Doch viele Männer zollen ihnen schon jetzt Respekt. "Die Frau bewegt sich in einer männerdominierten Gesellschaft, die sich Frauen in der Politik überhaupt nicht vorstellen kann. Und was heutzutage passiert, und dass die Frauen auf den Demo-Plätzen und im Übergangsrat präsentiert sind, ist eine positive Entwicklung", sagt Fouad As-Salahi, Soziologe an der Universität Sanaa. Fest steht: Die größte Herausforderung für die Demonstranten beginnt dann, wenn Präsident Saleh geht. Die Frauen auf dem "Platz des Wandels" jedenfalls haben sich auf einen langen Kampf eingestellt. Einen Kampf gegen die konservativen Werte der jemenitischen Macho-Gesellschaft.
Autorin: Julia Hahn
Redaktion: Jan-Philipp Scholz