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Rätselraten über Rückkehr der Inflation

18. Juni 2021

Was bedeutet die Rückkehr der Inflation mit Teuerungsraten von mehr als zwei Prozent? Was geschieht, wenn die Inflation weiter steigt und nicht mehr zurückgeht? Volkswirte sind sich uneins über die Risiken.

USA Symbolbild Geld drucken
Bild: picture-alliance/AP Images/LM Otero

Von Panik sind die Experten beim Blick auf die aktuellen Inflationszahlen weit entfernt. Im Gegenteil: Noch immer bleiben viele Volkswirte gelassen und erwarten, dass die zuletzt anziehenden Teuerungsraten in den USA und Europa schon bald wieder den Rückwärtsgang einlegen werden. Trotzdem beschäftigt immer mehr Konjunkturexperten die Frage, was es bedeuten würde, wenn sich die Inflationsrate deutlich über dem von Notenbanken anvisierten Ziel von zwei Prozent pro Jahr einpendeln würde.

An den Aktienmärkten sorgte in dieser Woche schon die Andeutung der Fed, im nächsten Jahr in zwei Schritten die Zinsen in den USA anzuheben, für schlechte Stimmung. Zu sehr haben sich die Akteure an Wall Street und Co. an die jahrelange Flut der Notenbanken mit billigem Geld gewöhnt.

Thomas Mayer vom Kölner 'Flossbach von Storch Research Institute', gehört seit langem zu den erklärten Kritikern der Niedrig- und Nullzinspolitik der EZB. Er sieht für Aktienanleger aber keinen Grund zur Panik: "Eine höhere Inflation löst noch immer Schrecken aus bei Aktionären. Doch das ist grundlos. Die alten Mechanismen, die bei Preissteigerung wirksam wurden, gelten heute nicht mehr. Denn die Zentralbanken haben ihre Möglichkeiten verwirkt", schrieb der frühere Chefvolkswirt der Deutschen Bank in einem Gastbeitrag in der Tageszeitung Welt.

"An höhere Teuerungsraten gewöhnen"

Und genau das ist das Problem, meint der Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Gabriel Felbermayr: "Weil die Europäische Zentralbank nicht durch höhere Zinsen gegensteuern kann, ohne die Stabilität in hoch verschuldeten Ländern wie Italien zu gefährden", müsse man sich an eine steigende Inflation gewöhnen. Die Teuerungsrate dürfte in diesem Jahr mit 2,6 Prozent so hoch ausfallen wie seit 2008 nicht mehr, so die Prognose des IfW. "Wir werden uns an höhere Teuerungsraten gewöhnen müssen, selbst wenn die Sondereffekte der Pandemie vorbei sind", unterstreicht IfW-Präsident Felbermayr.

Durch die Sondereffekte wie die Wiederanhebung der zeitweise gesenkten Mehrwertsteuer und die Einführung der CO2-Steuer könnte nach den Berechnungen der IfW-Forscher "bei der Inflationsrate in einzelnen Monaten sogar eine Vier vor dem Komma stehen".

ZEW-Experte Heinemann: 5 Prozent Inflation bedeuten einen Vermögensverlust von 5 Prozent für Geld auf US-Konten Bild: ZEW

Friedrich Heinemann vom Mannheimer ZEW, dem Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, warnt vor einem dauerhaften Anstieg der Inflationsrate besonders in den USA: "Diese Entwicklung ist keinesfalls völlig ungefährlich. Mir machen vorübergehend etwas höhere Inflationsraten als solche zwar wenig Sorgen. Dass die Preise überall in der Welt nach dem Ende der Lockdowns klettern, war vorhersehbar. Die Anbieter vieler Dienstleistungen sind mit hohen Hygienekosten konfrontiert. Hinzu kommt der Sprung bei den Energiepreisen und stark gestiegene Preise für viele global gehandelte Waren. Viele Lieferketten funktionieren immer noch nicht perfekt", erklärt der Volkswirt im Interview mit der DW.

All das seien aber Effekte, die wieder abebben werden. Wirklich gefährlich und vielfach unbeachtet sei etwas ganz anderes: "In den USA sind die Inflationserwartungen aktuell auf dem Weg nach oben. Immer mehr Menschen rechnen auch für die Zukunft mit einer schnelleren Rate der Preisentwicklung - und das deutlich über dem von der Zentralbank gesteckten Ziel von zwei Prozent. Wenn sich diese Erwartungen verfestigen, dann bekommen wir die klassische 'self-fulfilling prophecy'", so Heinemann. Das heißt: Wenn Menschen daran glauben, dass alles immer teurer wird, schlägt sich das in Lohnforderungen und entsprechenden Preisentwicklungen nieder. "Dann kommt die Inflation tatsächlich. Die Zentralbanken müssen daher wirklich aufpassen, dass sie nicht all die Glaubwürdigkeit in Sachen Preisstabilität einbüßen, die sie über Jahrzehnte aufgebaut haben."

Ende der Gelassenheit?

Vor allem die aktuellen Inflationsdaten aus den USA haben weltweit aufhorchen lassen. Bisher war die Mehrheit der Volkswirte in den USA und der EU davon ausgegangen, dass der Anstieg der Inflation nur vorübergehend sein wird und die Löhne nicht spürbar ansteigen. Doch diese allgemeine Gelassenheit könnte fehl am Platz sein, bei einer Teuerung von zuletzt fünf Prozent in den USA.

"Die Fünf-Prozent-Zahl zur Inflation aus den USA war in dieser Höhe schon ein echter Paukenschlag. Wir wissen zwar, dass US-Preise und -Löhne viel flexibler sind als in Europa. Daher reagiert die Inflation auch viel rascher auf die starke Konjunkturerholung. Diese Höhe war dennoch überraschend", unterstreicht Friedrich Heinemann.

Die USA haben während der Pandemie in ihrer Geld- und Fiskalpolitik noch stärker auf Expansion gesetzt als je zuvor und im Frühjahr das größte Konjunkturpaket der Weltwirtschaftsgeschichte in Höhe von 1,9 Billionen US-Dollar auf den Weg gebracht. Die Rekordsumme entspricht mehr als acht Prozent der US-Wirtschaftsleistung und man könnte damit alle 30 deutschen Dax-Konzerne auf einmal kaufen. Ein Experiment mit ungewissem Ausgang, das zwar die Erholung der US-Wirtschaft vorantreibt, aber auch die Inflation in die Höhe schnellen lässt.

"Die Biden-Administration macht Schulden in einer Geschwindigkeit, die alles Bisherige in Friedenszeiten in den Schatten stellt. Und die Notenbank unter Powell bietet die Nullzinsen, die nötig sind, um diese historisch hohen Defizite noch finanzieren zu können", stellt Heinemann fest. Das laufe in der Eurozone zwar in der Richtung ganz ähnlich, doch "die europäischen Finanzminister sind im Vergleich zu US-Finanzministerin Jannet Yellen beim Schuldenmachen immer noch echte Waisenknaben. Der Mix von Schuldenmachen, Zentralbank-Anleihekäufen und Nullzinsen in den USA ist schon so extrem, dass es nun zu dieser unangenehmen Inflationsüberraschung kommt."

Druck auf Notenbanken steigt

Der Druck auf die Notenbanken, gegenzusteuern, steigt jedenfalls. Besonders, wenn es um das Ende der massiven Anleihe-Kaufprogramme durch Fed oder EZB geht. Wie aber können die Notenbanker verhindern, dass es durch die Verknappung des billigen Geldes zu unerwünschten Schocks an den Aktien- oder Immobilienmärkten kommt?

"Hier liegt ein großes Problem", gibt Friedrich Heinemann zu bedenken. "In Europa, den USA und Japan lautet die Botschaft im Grunde schon seit Jahren und Jahrzehnten, dass die Zentralbanken die Stabilität von Banken, Aktienmärkten und Staaten garantieren. Bislang ist all das gut gegangen, weil wir seit Jahrzehnten keinen echten Inflationsschub mehr hatten. Vielleicht bekommen wir jetzt den Test, ob Zentralbanken noch wirklich frei sind, die Preisstabilität zu verteidigen. Da habe ich für die EZB und die Fed Zweifel, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen", unterstreicht der Mannheimer Forscher.

Federal Reserve-Zentrale in Washington: Wo liegt die Schmerzgrenze der US-Notenbank bei der Inflation? Bild: picture alliance/Zuma Wire/C. Myers

Die USA könnten sich wegen der großen Bedeutung der Aktienmärkte für die private Vermögensbildung und Altersvorsorge keine lang anhaltende Talfahrt an den Börsen leisten. Und in Europa könnten bei steigenden Zinsen hoch verschuldete Ländern wie Italien unter die Räder kommen, weil sie "vollkommen am Tropf der EZB-Negativzinsen hängen", erklärt Heinemann. Diese Abhängigkeit habe sich in der Pandemie noch verschärft. Es könnte also tatsächlich dazu kommen, dass die Inflationsrate steigt und die Zentralbanken nicht wirklich dagegen ankämpfen können, beschreibt er das Dilemma der Notenbanker.

Langsamer Entzug statt Vollbremsung

"Es wäre jetzt angeraten, dass Christine Lagarde und Jerome Powell vorsichtig, aber rasch umsteuern. Je früher sie jetzt beginnen, die Märkte auf einen Ausstieg aus der extremen Expansion vorzubereiten, desto eher können sie später auf eine Vollbremsung verzichten", so der ZEW-Experte. Im Grunde sei der Moment in Europa für erste Schritte in diese Richtung sehr günstig, weil die Europäische Kommission gerade damit beginnt, die ersten Milliarden-Raten aus dem 750-Milliarden-Corona-Budget an die Hauptstädte zu überweisen. "Ein besserer Moment für die EZB, langsam mit dem Entzug der Droge Nullzinsen zu beginnen, ist kaum zu erwarten."

Thomas Kohlmann Redakteur mit Blick auf globale Finanzmärkte, Welthandel und aufstrebende Volkswirtschaften.
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