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Wie gefährlich ist Rugby?

Nicole Goebel14. Oktober 2015

Rugby ist ein klassischer Kontaktsport. Die Spielregeln sind aber so konzipiert, dass man schwere Verletzungen meist vermeiden kann. Trotzdem sind Kopfverletzungen ein Problem. Amateure sind dabei eher selten betroffen.

Rugby Tackle Verletzungen Sport Mannschaftssport
Bild: Getty Images/M.Runnacles

Die Rugby-WM, die zur Zeit in England und Cardiff stattfindet, ist das drittgrößte Sportereignis der Welt, nach der Fußball-WM und den Olympischen Spielen. Diesmal wurde die Rugby-WM erstmals im deutschen Fernsehen ausgestrahlt. Natürlich erreicht Fußball immer noch wesentlich mehr Menschen weltweit, daher mutet Rugby immer noch für viele seltsam an: Spieler, die ständig ineinander rennen und viel auf dem Boden liegen.

Anders als viele Fußballspieler würden Rugby-Spieler lieber in der Hölle schmoren als sich Schmerzen anmerken zu lassen. Und das, obwohl einige Verletzungen weit häufiger auftreten. Die Deutsche Sporthochschule in Köln schätzt die Zahl der Verletzungen bei Profi-Spielern im Rugby auf zwischen 40 und 50 pro 1000 Spielerstunden: Im Fußball sind es halb so viele.

Aber hier vergleicht man Äpfel mit Birnen, meint der Chef-Verbandsarzt des weltweiten Rugby-Verbands "World Rugby", Dr. Martin Raftery. "Es sollte niemanden überraschen, dass es im Rugby mehr Verletzungen gibt". Schließlich sei Fußball kein Vollkontaktsport. Er bezeichnet es als "Halbkontaktsportart". Rugby und Fußball zu vergleichen sei in etwa so wie Fußball mit einer Nichtkontaktsportart wie Tennis zu vergleichen, erklärt Raftery.

Der Rugby-Sport hat wie alle Vollkontaktsportarten mit Kopfverletzungen zu kämpfenBild: Getty Images/D. Meyer

American Football und Eishockey sind da eher geeignet. In all diesen Sportarten seien die Verletzungsraten etwa gleich hoch.

Gehirnerschütterungen behandeln

Gehirnerschütterungen stellen ein besonderes Problem bei diesen Sportarten dar - hauptsächlich jedoch auf Profi-Ebene. Mittlerweile geben einige Spieler zu, dass sie mit den Folgen einer Gehirnerschütterungen zu kämpfen haben. Das war lange Zeit nicht so.

Zahlen des englischen Verbands Rugby Football Union (RFU) zeigen, dass in der Saison 2013/14 der englischen Top-Liga Gehirnerschütterungen die häufigste Verletzungsarzt waren: Sie machten 12,5 Prozent aus. Die RFU-Daten beschränken sich auf England, werden aber vom Weltverband als umfassend und beispielhaft angesehen. Vor 20 oder 30 Jahren "wurden Gehirnerschütterungen nur diagnostiziert wenn ein Spieler ohnmächtig wurde", so Raftery im Gespräch mit der DW. Wenn heute ein Spieler nach einer Kontaktsituation Kopfschmerzen hat, lautet die Diagnose Gehirnerschütterung.

"Die Schwelle in der Diagnose hat sich über die Jahre also gesenkt", sagt Raftery. Seit 2001 gibt es eine weltweite geltende Konsenserklärung mehrerer Länder und Sportarten. Seitdem bemühen sich Verbände weltweit, Kopfverletzungen durch standardisierte Tests und Präventionsarbeit zu behandeln und zu minimieren. Der Rugby-Weltverband hat daher 2012 bei Profi-Spielen standardisierte Tests eingeführt. Damit kann man in zehn Minuten schon im Stadion eine Art Vordiagnose stellen.

Die National Football League (NFL) in den USA hat einen ähnlichen Prozess in Gang gesetzt. Laut der Website des American Football-Verbands hat sich dadurch die Zahl der Gehirnerschütterungen seit 2012 um 35 Prozent reduziert.

"Es zeigen sich jetzt erst die Langzeiteffekte von Kopfverletzungen, die zum Beispiel auch Demenz zur Folge haben können", so Willie Stewart, Neuropathologe an der Queen Elizabeth Universitätsklinik in Glasgow gegenüber der DW. Stewart ist ein führender Hirnforscher, der auch den Rugby-Weltverband in medizinischen Fragen berät. "Wir haben jetzt so viele diagnostizierte Fälle bei Kopfverletzungen - da muss jetzt etwas passieren…Wir sollten uns nicht damit abfinden, dass in jedem zweiten Spiel ein Spieler vom Platz geht aufgrund einer schweren Kopfverletzung", so Stewart.

Tackeln - aber wie?

Die meisten Verletzungen passieren beim Tackeln, und Tackeln bedeutet beim Rugby gezieltes zu Boden bringen durch Vollkontakt. Bei einer Gehirnerschütterung "hört die Bewegung des Schädels abrupt auf, während sich das Gehirn - das ja aus einer zum Teil flüssigen Substanz besteht - weiter im Schädel bewegt. Und diese Beschleunigung der Bewegung des Gehirns im Schädel verursacht Schäden in der Gehirnsubstanz" erklärt Stewart.

Zwar betont er, dass diese Schäden "minimal" seien, sie reichten aber aus, um zu Störungen zu führen. Betroffenen ist oft schwindelig. Sie können schwer aufstehen, sind verwirrt oder desorientiert. In nur zehn Prozent der Fälle wird ein Spieler ohnmächtig. Da früher allerdings wenige Spieler eventuelle Langzeitfolgen publik gemacht haben, ist es schwer zu sagen, wie viele tatsächlich unter den Folgen leiden.

Dass mittlerweile mehr Fälle registriert werden, hat sicher mit den Aufklärungskampagnen der Verbände zu tun. Aber Stewart glaubt, die Art des Tackelns im Profi-Rugby trägt auch ihren Teil zu den Verletzungen bei. "Es ist ja zu einem Kollisionssport geworden, in dem die Spieler ganz gezielt kollidieren, um die generische Verteidigung aufzureißen", eine Technik, die man im Amateur-Rugby eher selten sieht, so Stewart.

Das Profi-Spiel wird immer schneller, daher gibt es auch mehr VerletzungenBild: Getty Images/S. Botterill

Obwohl das hohe Halten, also oberhalb der Schulter, beim Tackeln nicht erlaubt ist, sieht man doch immer häufiger höhere Tackels, so Stewart. Beim klassischen Tackle versucht der Tackler tief zu gehen und den Ballträger um die Beine zu greifen, um ihn zu Fall zu bringen. Der Kopf wird zur Seite gelegt, um ihn und den Nacken zu schützen. Das sogenannte Ruck - also die Situation nach dem Tackle, bei dem sich ein Mitspieler an den am Boden liegenden Getackleten bindet, um den Ball zu sichern - birgt ebenfalls Verletzungsrisiken.

Hohe Geschwindigkeiten sind gefährlich

"Man sieht immer häufiger Spieler, die sich fast über das Ruck schmeißen, um den Gegner auszuhebeln", so Stewart. Zwar ist Counter-rucking, also den Ball von der gegnerischen Mannschaft "klauen" erlaubt, Stewart stört sich aber an der für ihn heute oft unkontrollierten Art, die dabei zum Zuge kommt.

Raftery sieht das anders. "Wenn der Tackling-Stil sich tatsächlich geändert hätte, dann würde man erwarten, dass es mehr Trauma-Verletzungen insgesamt gibt, das ist aber nicht der Fall", erklärt er.

Raftery betont, dass "es in den letzten zwei Jahren doppelt so viele Fälle von Gehirnerschütterung gab" aber dass die Anzahl der Verletzungen insgesamt "gleich geblieben ist oder sich gar reduziert hat - in manchen Kategorien".

"Nicht das Spiel hat sich verändert, sondern das Bewusstsein und die Diagnose", sagt Raftery. Er räumt allerdings ein, dass der Verband gerade Hunderte von WM-Spielen analysiert, um festzustellen, ob im Spiel etwas geändert werden muss.

Amateure weniger betroffen

Im Hobby-und Amateurbereich treten Kopfverletzungen weit seltener auf. Da verletzt man sich eher mal am Finger, verstaucht sich das Fußgelenk oder holt sich einen Bänderriss, ähnlich wie auch bei anderen Sportarten. Dieser Unterschied, so Raftery, hat einfach damit zu tun" dass Spiele auf Profi-Niveau einfach viel schneller sind und so Verletzungen allgemein eher begünstigen. Im Amateurbereich gibt es außerdem weniger Statistiken, da dort viele Fälle schlicht nicht gemeldet werden. Ein Vergleich ist also schwierig, sagt Raftery.

All das soll Hobbysportler aber nicht vom Rugby-Spielen abhalten. "Wir konzentrieren uns ja immer auf die Profis und da meist auf die Männer. Aber man darf nicht vergessen, dass 99,99 Prozent Amateure und Hobbysportler sind", so Stewart.

Raftery kann dem nur zustimmen. Zumal eine neue Studie aus dem Rugby-verrückten Neuseeland zeigt, dass auf einem Kinderspielplatz mehr Unfälle passieren als auf dem Rugby-Spielfeld. "Klar, wenn man gar keinen Sport macht, geht man kein Risiko ein, aber dann darf man bitte mit seinen Kindern auch nicht auf den Spielplatz gehen", meint Raftery.

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