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GesellschaftIndien

Wie gehen Inder mit Falschinformationen auf WhatsApp um?

Dharvi Vaid
22. April 2025

Indien ist der größte Markt für WhatsApp. Chatgruppen werden oft zu Foren für politische Debatten. Falschinformationen führen zu Spannungen bei Freunden und Familie. Der Messaging-Dienst versucht, dagegen vorzugehen.

Indien Wahl l Wahlergebnisse auf einem Mobiltelefon
Richtig oder falsch? Ein Nutzer schaut sich nach den Wahlen in Indien im Juni 2024 die ersten Wahlprognosen auf dem Mobiltelefon anBild: Noah Seelam/AFP

Die 26-jährige Nidhi* aus Indiens Hauptstadt Neu-Delhi stand ihrem Onkel einst sehr nahe, erzählt sie der DW. Doch nachdem er begann, antimuslimische Nachrichten mit Falschinformationen im Gruppenchat ihrer Familie weiterzuleiten, verschlechterte sich ihre Beziehung.

"Bei Familienessen führten wir immer wieder gesunde politische Debatten, aber seineWhatsApp -Posts wurden unerträglich", sagte sie und fügte hinzu: "Er leitete eindeutige Falschinformationen weiter und verdrehte historische Fakten, um sie einer bestimmten Art von Propaganda anzupassen".

Ihr Onkel habe vorher nie offenen Hass gegenüber Muslimen gezeigt, doch auf WhatsApp sei das anders gewesen. "Einige von uns haben ihn darauf angesprochen und seine Fakten überprüft. Aber das schien keinen Unterschied zu machen. Einmal schickte er eine Nachricht, in der er Leute aus der muslimischen Gemeinde als ‚Infiltratoren‘ bezeichnete, und das war's für mich."

Nidhi sagte, sie habe den Familiengruppenchat verlassen und sich seitdem nicht wieder mit ihrem Onkel versöhnt. "Ich habe ihn sehr respektiert" sagt sie. Aber jetzt sei das schwierig auch im persönlichen Miteinander, eben weil er sich online so verhalten hat.

"Toxische" Chats

Ein anderer junger Inder, der 19-jährige Armaan* aus Mumbai, wurde aus seinem Familiengruppenchat ausgeschlossen, weil er auf Falschinformationen hingewiesen hatte. Er sagte, dass die durch WhatsApp-Nachrichten ausgelösten Familienstreitigkeiten ihn psychisch belasteten.

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"Die Chats waren toxisch geworden. Ich war ihnen fast täglich ausgesetzt, und das hat mich sehr wütend gemacht", sagt er. "Es gab Nachrichten, die mit 'weitergeleitet wie empfangen' unterzeichnet waren. Wenn man den Informationen selbst nicht vollkommen vertraute, warum sollte man sie dann weiterleiten? Manchmal wurden den Nachrichten auch lange Namenslisten beigefügt, um zu zeigen, dass viele Personen der Echtheit der Informationen zugestimmt hatten und diese daher zwangsläufig wahr sein mussten, obwohl sie in Wirklichkeit fast immer gefälscht waren."

Falschinformationen auf WhatsApp

Indien ist der größte Markt für WhatsApp. Die Messaging-App hat über 530 Millionen Nutzer im Land und ist damit eine der beliebtesten Social-Media-Plattformen aller Altersgruppen. Allerdings entwickelt sie sich zunehmend zu einem Medium zur Verbreitung von Falschinformationen.

"WhatsApp University" beispielsweise hat sich in den letzten Jahren zu einem Schlagwort im indischen Sprachgebrauch entwickelt und bezieht sich sarkastisch auf die weit verbreitete Verbreitung von Falschinformationen und Fake News auf der Plattform.

"Über WhatsApp werden viele Informationen und Falschinformationen verbreitet. Information ist Bildung. Woher man Informationen bezieht, prägt die Weltanschauung", sagt Pratik Sinha, Mitbegründer der indischen Faktencheck-Website Alt News, gegenüber der DW.

"Wenn Ihr Informationsökosystem je nach Quelle oder Gruppe völlig korrupt ist", fügt er hinzu, "spiegeln diese Informationen nicht mehr einen realen Blick auf die Welt wider."

In Indien reichen die Arten von Falschinformationen von Politik und Geschichte bis hin zu Wissenschaft und Medizin. "Viele politische oder gesellschaftspolitische Falschinformationen zielen darauf ab, Spaltungen zu schaffen und die muslimische Gemeinschaft zu verunglimpfen. Dies hat zu einer tiefen Polarisierung der Gesellschaft geführt. Dies hat zu Angriffen auf Minderheiten geführt", analysiert Sinha.

Was hat der Konzern gegen Falschinformationen unternommen?

Die Verbreitung von Fake News in WhatsApp-Gruppen in Indien rückte 2018 erstmals in den Fokus, als sich Gerüchte über Kindesentführungen verbreiteten und infolgedessen mehr als ein Dutzend Menschen durch Lynchmorde ums Leben kamen.

Auch während der Coronavirus-Pandemie kam es zu einer Welle von Falschinformationen. Während der Wahlen verbreiteten sich auch Falschmeldungen auf der Plattform. Künstliche Intelligenz und Deepfakes haben die Situation zusätzlich verkompliziert.

WhatsApp geht Falschinformationen nach eigenen Angaben mit einem mehrgleisigen Ansatz an. Dazu gehören die Einschränkung viraler Weiterleitungen, der Aufbau eines Netzwerks von Faktenprüfern in Indien und die Durchführung von Sensibilisierungskampagnen für die Nutzer, um sie über die Erkennung und Unterbindung von Falschinformationen aufzuklären.

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WhatsApp sei der einzige Messaging-Dienst, der das virale Teilen durch die Begrenzung von Weiterleitungen bewusst einschränkt. "WhatsApp kennzeichnet Nachrichten, die 'weitergeleitet' und 'häufig weitergeleitet' wurden, sodass man weiß, dass sie nicht von einem engen Kontakt stammen. Unsere Beschränkungen für Weiterleitungen haben die Verbreitung "häufig weitergeleiteter Nachrichten' auf WhatsApp um über 70 Prozent reduziert", erklärte ein WhatsApp-Sprecher gegenüber der DW.

Er betonte weiter: "2022 haben wir neue Beschränkungen für die Weiterleitung von Nachrichten in Gruppen eingeführt. Nachrichten mit der Kennzeichnung 'Weitergeleitet' können nun nur noch an eine Gruppe gleichzeitig weitergeleitet werden, anstatt an fünf".

Außerdem soll in Zusammenarbeit mit der 'Misinformation Combat Alliance', eine Faktencheck-Hotline auf WhatsApp eingerichtet worden sein, um die Verbreitung von KI-generierten Falschinformationen in Indien zu bekämpfen.

"Abgesehen davon haben wir viele Faktencheck-Organisationen auf WhatsApp-Kanälen, die Menschen mit korrekten Informationen versorgen", sagte der WhatsApp-Sprecher

Datenschutz und Kontrolle im Gleichgewicht

Einige Analysten betonen, dass WhatsApp aufgrund seiner Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ein heikles Feld für die Inhaltsmoderation darstellt. Hier entsteht eine schwierige Balance zwischen Datenschutz und den durch Falschinformationen verursachten Schäden.

"WhatsApp sind die Hände gebunden. Jede Art von Moderation könnte missbraucht und überstrapaziert werden, um den Datenschutz zu gefährden und die Verschlüsselung zu knacken. Das wollen sie nicht", sagt Kiran Garimella, Assistenzprofessorin an der School of Communication and Information der Rutgers University in New Jersey, gegenüber der DW.

Garimella warnt auch vor dem Risiko, dass Regierungen versuchen, Verschlüsselung zu knacken.

"Verschlüsselung ist großartig. Das sollten wir alle akzeptieren. Wir sollten aber darauf achten, dass die falschen Akteure, beispielsweise die Regierung, dies nicht missverstehen und behaupten, es gebe viele Fehlinformationen auf WhatsApp und deshalb müsse die Verschlüsselung geknackt werden", fügt sie hinzu.

Wie reagieren junge Inder darauf?

In einer Zeit, in der es in Indien politische Lücken im Umgang mit dem Problem der Fehlinformationen gibt, stellen sich einige junge Inder der Herausforderung, Vertrauen im digitalen Zeitalter zu fördern. Ein Beispiel dafür ist das interaktive Rollenspiel "Trust Me, it's a Forward!" von der Theaterkünstlerin Karen D'Mello.

Dabei schlüpfen die Spieler in die Rolle von Charakteren in einer fiktiven Welt und werden einer Flut von Informationen ausgesetzt. Anschließend müssen sie sich mit dem Einfluss von Instant-Messaging-Plattformen, der sich wandelnden öffentlichen Meinung und den Vorstellungen von Vertrauen und Wahrheit auseinandersetzen.

"Ich wollte das ernste Problem der Falschinformationen auf unterhaltsame Weise ansprechen. Etwas, das direkter ist, weil es sich um ein digitales Medium handelt, und es nichts gibt, woran man sich festhalten kann", erklärte D'Mello ihre Zielsetzung gegenüber der DW.

"Ich habe darüber nachgedacht, was Vertrauen in der digitalen Welt wirklich bedeutet, wo man mit vielen Menschen hinter dem Bildschirm interagiert und wahrscheinlich nicht einmal Gesichter sieht. Ich habe an die Rolle von WhatsApp gedacht, insbesondere an die Idee der Massenweiterleitungen, die in Indien ein so großes und wachsendes Phänomen ist", sagt sie.

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D'Mello fügt hinzu, dass sie mit dem Spiel nicht nur Menschen ansprechen wolle, die sich professionell mit Falschinformationen befassen, wie Faktenprüfer oder Mitarbeiter aus Politik und Technologie, sondern sich auf die Probleme von Falschinformationen konzentrieren wollte, mit denen alltägliche Nutzer konfrontiert sind.

Faktenchecker Sinha ist davon überzeugt, dass Falschinformationen ein größeres gesellschaftliches Problem darstellen und dies eine langfristige Lösung erfordert. "Die Welt ist nicht dafür geschaffen, dass sechs Milliarden Menschen miteinander kommunizieren können. Das schafft ein ganz anderes Problem, und um dieses Problem zu lösen, sind sehr ernsthafte Maßnahmen erforderlich", sagt er.

Er fügt hinzu, dass ein Lösungsweg bereits auf der schulischen Ebene beginne. "Unser Bildungssystem muss eine Komponente enthalten, die den kritischen Umgang mit Informationen fördert. Es sollten auch umfassende Sensibilisierungsprogramme in der Gesellschaft stattfinden" betont Sinha.

Der Faktencheker ergänzt: "Das Problem beginnt ganz oben. Keine der politischen Parteien ist daran interessiert, Falschinformationen zu bekämpfen. Es müssen mehrere Interessengruppen zusammenkommen und darüber nachdenken, wie mit diesem Problem umgegangen werden soll".

*Zum Schutz der Identität wurden auf Wunsch nur die Vornamen verwendet.

Aus dem Englischen adaptiert von Shabnam von Hein.

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