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Politik

Griechenland profitiert von der Finanzkrise

Omaira Gill Athen, ust
2. Mai 2020

Das Coronavirus bestimmt das Leben in Europa. Ein Land sticht bei der Eindämmung heraus: Griechenland. Die Regierung hat die Krise im Griff, die Bevölkerung ist diszipliniert. Wie macht Griechenland das?

Griechenland Corona-Pandemie | Athen
Wer in Athen dieses Gericht betreten will, muss seine Körpertemperatur messen lassenBild: Getty Images/AFP/A. Tzortzinis

Nach zehn Jahren in der wirtschaftlichen Krise zeichnete sich in Griechenland endlich eine Erholung ab. Das neue Coronavirus beendete sie jäh. Ein durch jahrelange Sparmaßnahmen schwächelndes Gesundheitssystem wird plötzlich mit einem sich rasch verbreitenden Virus konfrontiert. Es hätte eine Katastrophe geben können.

Am 26. Februar wurde in Griechenland offiziell die erste Infektion mit SARS-CoV-2 registriert, am 12. März der erste Todesfall. Mitte März waren es schon 15 und das öffentliche Leben war komplett heruntergefahren. Griechenland schloss alle Bildungseinrichtungen, Bars, Restaurants, Geschäfte, Museen, Park, kommerziell genutzte Strände und Sportstätten. In den Medien gab es umfangreiche Kampagnen, um die Bevölkerung zu ermutigen, zu Hause zu bleiben. Wer die Regeln bricht, muss mit saftigen Strafen rechnen.

Keine Besucher für die Tavernen und Touristenbüros in der Hafenstadt RavinaBild: Getty Images/AFP/L. Gouliamaki

"Der Lockdown wurde viel früher als in den meisten anderen Ländern der westlichen Welt angeordnet", sagt Politik- und Wirtschaftswissenschaftler George Pagoulatos, Leiter einer Stiftung für Europa- und Außenpolitik (ELIAMEP). "Die Regierung reagierte sehr kompetent, hörte auf die richtigen Leute und traf die richtigen Entscheidungen." Pagoulatos lobt auch, wie die Regierung Beschlüsse kommuniziert hat und die Menschen dazu brachte, zuhause zu bleiben.

Dass die Griechen überraschend folgsam auf die Beschränkungen reagierten, sei ein Resultat der Wirtschaftskrise, sagt Pagoulatos. "Griechenland war fast ununterbrochen im Krisenmodus. Die Gesellschaft war also besser auf einen Alarmzustand vorbereitet." Es gebe nur sehr wenige, die seit 2009 nicht von der Krise getroffen wurden, es gebe also "eine kollektive Immunität gegen Selbstgefälligkeit".

Alte Menschen Teil der Familie

Auch die Struktur der Gesellschaft könnte eine Rolle spielen. "Die Regeln werden vor allem beachtet, um ältere Menschen am Leben zu halten. Bei den meisten griechischen Familien leben ältere Familienmitglieder ganz in der Nähe", sagt Alexia Liakounakou, die am University College in London lehrt und ihre Doktorarbeit über die griechische Gesellschaft geschrieben hat. "Die Mehrheit der Griechen versteht voll und ganz, wie schlecht das Land ausgestattet ist, um eine Krise zu bewältigen, die außer Kontrolle geraten kann."

Behandlung eines COVID-19-Patienten: Das griechische Gesundheitssystem ist durch jahrelange Sparmaßnahmen geschwächtBild: picture-alliance/dpa/M. Lolos

Griechenland konnte die Zahl der Neuinfektionen verhältnismäßig niedrig halten. Am 15. April, Tag 50 nach dem Ausbruch im eigenen Land, gab es in Griechenland knapp 2200 Infizierte und 102 Tote. Zum Vergleich: Italien verzeichnete am 50. Tag Mitte März mehr als 41.000 Infizierte und mehr als 3400 Tote, Spanien zum demselben Zeitpunkt des Ausbruchs knapp 17.200 Fälle und 767 Tote.

Die Zahl der behandelten Fälle auf der Intensivstation ist ein guter Indikator dafür, wie ein Land in der Krise dasteht. In Griechenland erreichte diese Kurve am 5. April ihren Höhenpunkt mit 93 Patienten. Seitdem sank sie fast kontinuierlich. Seit dem ersten Todesfall in Verbindung mit COVID-19 starben nach offiziellen Zahlen im Durchschnitt drei Menschen pro Tag.

Wirtschaft könnte einbrechen

Während das Krisenmanagement bisher erfolgreich zu sein scheint, werden auf Griechenland große wirtschaftliche Kosten zukommen. Der Internationale Währungsfond warnte, das Land könnte es in der Eurozone am härtesten treffen und zehn Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) verlieren. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist sogar noch pessimistischer und bemisst den Einfluss der Krise auf bis zu 35 Prozent Verlust beim BIP. Es wird erwartet, dass die Arbeitslosenquote von 16 Prozent im Januar auf 26 Prozent steigt.

Griechenland werde Unterstützung von europäischen Partnern benötigen, betont Maria Demertzis, stellvertretende Direktorin bei der ökonomischen Denkfabrik Bruegel. Dazu gehöre auch die Entscheidung der Europäischen Zentralbank, griechische Staatsanleihen als Sicherheit zu akzeptieren. Für Griechenland sei es "extremes Pech", jetzt mit so einer Krise konfrontiert zu werden, da der Staat gerade dabei gewesen sei, aus einer zehn Jahre andauernden Abwärtsspirale herauszukommen. Wichtig ist es nach Ansicht von Demertzis, jetzt nicht den Schwung bei den Reformen zu verlieren.

Die Pandemie als Chance

In der Krise könnten auch Chancen für die Zukunft liegen. Nach Ansicht von Pagoulatos ist jetzt womöglich der richtige Zeitpunkt, die Wirtschaft, die stark auf den Tourismus ausgerichtet ist, breiter aufzustellen. "Die Krise hat Griechenland in die Digitalisierung katapultiert. Das eröffnet Möglichkeiten, um Technologiesektoren aufzubauen wie in der Cybersicherheit oder dem Cloud-Computing." Ein gutes Beispiel: Dutzende Angebote des öffentlichen Dienstes, die sonst stundenlanges Anstehen bedeuteten, wurden quasi über Nacht digitalisiert.

Für Demertzis könnte angesichts von Griechenlands enormen Potential die nachhaltige Energiegewinnung wichtig werden. Diese Investition in diese Infrastruktur würde "vielen verschiedenen Zwecke dienen".

Ab kommenden Montag will die Regierung die Beschränkungen Stück für Stück reduzieren. Der Mann der Stunde, auf den die Griechen hören, ist zwar vorsichtig optimistisch, aber in der Sache entschlossen. Es ist der leise sprechende Epidemologe Sotiris Tsiordras. Täglich um 18 Uhr verkündet er den aktuellen Stand der Ausbreitung. Erst kürzlich schwor er die Griechen darauf ein, nicht nachzulassen: "Die Situation bleibt gut, kann aber schnell außer Kontrolle geraten. Lasst uns nicht selbstgefällig werden, lasst uns nicht das riskieren, was wir erreicht haben. Wir müssen die Ausbreitung des Virus weiter eindämmen."

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