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Eine Woche lokales Essen

Kiyo Dörrer
14. Dezember 2016

Regional Essen ist im Trend, und gilt sogar teils als das „neue bio“. DW-Reporterin Kiyo Dörrer versuchte, sich eine Woche nur von Regionalem zu ernähren - und entdeckte dabei Unerwartetes.

Wettbewerb Regionale Lebensmittel Eating local challenge
Bild: DW/K. Dörrer

Es ist 19 Uhr am Dienstagabend, 43 Stunden nach Beginn der #HowgreenamI Challenge. Ich sitze hungrig vor meinem Lieblingsgericht, Sushi, und darf es nicht anrühren. Mein Magen beschwert sich grummelnd. Heute wurde ich auf die Weihnachtsfeier der Abteilung eingeladen - meine Kollegen essen fröhlich Lachs und amerikanischen Reis, während ich mir vorgenommen habe, mich eine Woche nur von lokalem Essen zu ernähren. 

Regional essen liegt im Trend. Angefangen hat es 2005 in San Francisco, mit einer einfachen Idee: Eine Gruppe von Aktivistinnen hatte sich zum Ziel gesetzt, sich nur von dem zu ernähren, was im Umkreis von 100 Meilen oder 160 Kilometer angebaut wurde.  Die Bewegung, auch "locavore" genannt, verbreitete sich schnell in den USA.

Auch hierzulande gilt regionale Ernährung als nachhaltig und vorbildlich. Anstatt Gemüse und Obst über die halbe Erdkugel zu kutschieren, werden so die klimaschädlichen Transportwege verkürzt und gleichzeitig der Kleinbauer von neben an unterstützt.

Laut der diesjährigen Studie vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft legen über drei Viertel der Deutschen Wert darauf, dass ihre Lebensmittel aus der Region kommen.

In größeren Städten wie Köln oder Berlin bewerben mittlerweile viele Restaurants ihre lokalen Zutaten, während manche gar komplett nur mit Regionalem kochen.

Aber ist eine rein regionale Ernährung machbar für eine normal arbeitende Person wie mich? Um das herauszufinden, habe ich eine Woche lang strikt "locavore" gelebt.

Kantinenessen: Regionales Essen heißt nicht, dass es unbedingt gesund istBild: DW/K. Dörrer

Inventur und Verzicht

Am Montagmorgen stelle ich nach kurzer Inspektion meiner Vorratskammer und meines Kühlschranks fest, dass fast keiner meiner Lebensmittel aus der Region stammt. Die Zitronen, Tomaten und Paprika kommen aus Spanien, meine Limetten sogar aus Mexiko. Die Pasta wurde in Italien hergestellt, der Reis in Amerika angebaut. Der Apfel ist das einzige, was man regional nennen könnte, den Rest übergebe ich meinen Mitbewohnern.

Mein morgendlicher Kaffee ist jetzt auch tabu. Der herrliche Duft von schwarzem Gold, der mir auf dem Weg zur Arbeit aus den Kaffeeständchen entgegen schwebt, foltert mich innerlich.

Für mein erstes Mittagessen gehe ich in die überfüllte Kantine, und schaue hoffnungsvoll auf die Auslagen. Der nette Koch, den ich nach der Herkunft der Gerichte frage, antwortet stolz dass die meisten Beilagen aus der Region stammen – so lange sie nicht stark verarbeitet sind. Somit fallen Kartoffelecken, Kartoffelpüree, Nudeln und Reis von vornerein heraus. Übrig bleiben meist nur gekochte oder gebratene Kartoffeln.

Fleisch stammt meistens auch nicht aus Deutschland, sondern aus Nachbarländern mit niedrigeren Herstellungskosten wie Polen, Mazedonien oder Bosnien.

Von der Salatbar kann ich mich weitestgehend auch nicht bedienen, da die Tomaten, Gurken und Paprika im Winter definitiv nicht aus der Region stammen können. Etwas bedrückt bezahle ich meine Salzkartoffeln mit Krautsalat, während ich den Antipasti-Teller meiner Kollegin neidisch beäuge. 

Als an Tag drei der Kantinenkoch fröhlich verkündet, dass das halbe Hähnchen mit Pommes aus Deutschland stammt, wird mir klar, dass die regionale Option auch nicht unbedingt immer die gesündeste ist.

Definitiv saisonal, aber regional. Erbeeren auf dem Wochenmarkt im DezemberBild: DW/K. Dörrer

Alles selber kochen

Selbst kochen scheint also die beste Lösung zu sein. Regional einzukaufen ist einfacher als gedacht. Der REWE, in dem ich immer einkaufe, hat Gemüse und Obst, das als "REWE regional" verkauft wird. Die meisten Produkte mit dem Siegel sollen aus dem Umkreis von 50km um den Markt kommen.

Auf dem Bonner Wochenmarkt vor meiner Tür finde ich auch regionales Obst und Gemüse, aus Deutschland stammt vor allem saisonales wie allerlei Kohlsorten, Kürbis, Feldsalat und Kartoffeln. Zu meiner Überraschung finde ich aber auch frische Erdbeeren aus Deutschland – und das im Dezember.

"Höchstwahrscheinlich kommen diese aus dem Treibhaus", vermutet Elmar Schlich von der Ernährungs- und Verbraucherbildung Koblenz – und das macht sie zu einer Energiesünde. "Saisonal zu essen ist definitiv ausschlaggebender für die CO2-Emissionen, als sich auf eine Region zu beschränken."

Nicht-saisonale Früchte und Obst hochzuziehen oder auch zu lagern verbraucht sehr viel Energie, erklärt Schlich. Zum Beispiel werden Äpfel nach ihrer Ernte aufwendig bei konstanten Temperaturen von ein bis vier Grad aufbewahrt, der Kühlraum wird mit Stickstoff angereichert, um den Reifeprozess zu verlangsamen. Heißt: Ein Apfel, der von der Südhalbkugel zur Saison per Schiff hierher transportiert wird, kann einen kleineren CO2-Abdruck haben als ein deutscher Apfel, der Monate lang gelagert wurde.

Je mehr ich herausfinde, desto schwieriger wird die Challenge - nur meinen Magen interessiert die Herkunft seines Inhalts nicht, und meldet sich zu Wort. Also greife ich brav beim darauffolgenden Einkauf nach saisonalem Obst und Gemüse.

Ein Blick in meine Einkaufstasche zeigt viel Braunes. Ob man wohl überhaupt im Winter ganz ohne Weckgläser-Vorräte und eigenem Anbau ausgewogen und gesund essen kann? Um mich zu vergewissern, rufe ich Uta Peiler an, sie ist Ernährungsberaterin in Bonn.

Saisonal mit mehr Geschmack

"Man kann sich auf jeden Fall gesund ernähren, wenn man regional und saisonal einkauft, auch wenn es etwas monoton werden kann. So eine Umstellung kann auch wieder Gemüse auf den Teller bringen, das heutzutage eher verschmäht wird, wie zum Beispiel Rotkraut oder Steckrüben. Solche alten Gemüsesorten enthalten viele gesunde Bitterstoffe und Vitamine", so Peiler.

Zudem schmeckt die regionale, frische Ernte anders. Das Abendessen, das ich mir aus deutschen Eiernudeln, Champignons und Kürbis mache, kann ich nur mit Salz würzen - Pfeffer und Chilli wachsen bekanntlich leider nicht in Deutschland. Aber vor allem die Pilze haben mehr Geschmack, als ich es von normalen Supermarkt-Champignons gewohnt bin. Ich merke auch, dass ich anfange, mich intensiver mit meinem Essen auseinanderzusetzen und zu überlegen, was ich aus dem saisonal Vorhandenen machen könnte.

Das ist genau das Konzept hinter dem Restaurant Nobelhart&Schmutzig in Berlin. Das Sternelokal arbeitet ausschließlich mit Zutaten aus der Region. "Immer alles anzubieten und essen zu wollen ist prinzipiell der Fehler im System", sagt Inhaber und Wirt Billy Wagner.

"Wir wollen sehen, was die Region zu bieten hat und kreativ werden mit dem, was vorhanden ist", so Wagner. Sogar die Gewürze sind regional - die Säure der Zitrone wird durch Molke ersetzt, während Meerrettich und Senf Schärfe erzeugen.

Was Bonn an Saisonalem im Dezember zu bieten hatBild: DW/K. Dörrer

Lokal zu essen ist ein Vollzeitjob

Für einen Normalmenschen wie mich wird jedoch in der Woche das Essen zu einer mächtigen Aufgabe, die strukturiert geplant werden muss. Kurz mal ein Snack zwischendurch zu holen ist keine Option – denn vor allem bei stark verarbeiteten Lebensmitteln ist die Herkunft der einzelnen Zutaten unklar. Jetzt wünsche ich mir auch eine klare Zertifizierung, wie sie Verbraucherschutzinitiativen seit langem verlangen.

Außerdem werden viele meiner Lieblingslebensmittel einfach nicht in Deutschland hergestellt oder gepflanzt, Saison hin oder her: Pasta, Grapefruit, Reis, Tee oder Kaffee. Und natürlich mein Lieblingsessen: Lachs-Avocado Sushi.

"Viele Grundnahrungsmittel werden in Deutschland eben nicht erzeugt, oder werden in anderen Regionen der Welt effizienter und mit weniger Umweltbelastung hergestellt, Transportwege einberechnet", sagt auch Schlich.

Er rät: "Wenn man wirklich nachhaltig essen will, sollte man mehr als nur auf die Region achten. Zum Beispiel nicht oder weniger mit dem Auto einkaufen, Gemüsekisten bestellen, saisonal und weniger Fleisch essen."

Und auch Wirt Wagner meint: "Es ist nichts Schlimmes daran, mal eine gute Banane zu kaufen oder Olivenöl zu benutzen." Sich darüber im Klaren zu sein, was man isst, und welche Auswirkung das hat, das sei das Ausschlaggebende. Da bin ich beruhigt - und muss aber auch wieder los, Rezepte für den ganzen gekauften Kohl googlen. 

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