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Politik

Von Impf-Ängsten zur Verschwörungstheorie

12. Mai 2020

In Deutschland wächst die Zahl der Demonstrationen, die die Corona-Politik zu einer Verschwörung umdeuten. Oft dabei sind auch Slogans gegen Impfungen - dabei ist ein Corona-Impfstoff noch lange nicht auf dem Markt.

Corona-Krise könnte Impfbereitschaft fördern
Auch auf den Demos in Stuttgart mit Tausenden Teilnehmern Anfang Mai waren Anti-Impf-Plakate zu sehenBild: picture-alliance/dpa/C. Schmidt

"Inhalte in Impfstoffen", steht in gelber Straßenmalkreide auf dem Fußweg am Kölner Rheinufer. Ein paar Meter weiter malt eine vollkommen unauffällig aussehende Frau "GG" für "Grundgesetz" auf die Erde und streicht die Buchstaben durch. Hier wird an diesem Montagabend gerade ziviler Widerstand vorbereitet, der ein paar Meter weiter, direkt neben dem Dom, schon in vollem Gange ist. Dort findet eine von der Polizei genehmigte und beschützte Kundgebung statt, das Thema lautet: "Für unsere Grundrechte, gegen Masken- und Impfpflicht, gegen Corona-Inszenierung und die Gates-Stiftung".

Statt der erwarteten 50 Teilnehmenden ist allerdings nur eine Handvoll aufgetaucht, und die Rednerin kommt trotz Mikrofon kaum gegen die "Halt dein Maul"-Rufe der Dutzenden Gegendemonstranten an. Beinahe komisch wirkt die Szene, als die Rednerin ihnen "Schämt euch" zuruft, diese mit lautem "Schäm dich" antworten, und es so ein paar Mal hin und her geht. Unten am Rheinufer, bei den Kreidemarkierungen, finden sich später doch noch ein paar Dutzend Menschen ein, um sich mit Abstand zu einer Menschenkette zu postieren.

Heterogene Gruppen finden zusammen

Die Polizei spricht am Abend in einer Mitteilung von einem "störungsfreien Verlauf" der Kundgebungen, und lobt, "dass die Vorgaben der Corona-Schutzverordnung nicht im Widerspruch zur freien Meinungsäußerung und zum Recht auf Versammlung stehen". In den vergangenen Wochen war es bei solchen Kundgebungen mehrmals zu Angriffen gegen Journalisten gekommen, das epidemiologisch sinnvolle Abstandsgebot wurde missachtet, oder Kundgebungen gar nicht erst angemeldet. Die zahlreicher werdenden Versammlungen in deutschen Städten ziehen - teils unter dem Label "Widerstand 2020"  - ein heterogenes Publikum an: Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker, Neurechte und Altliberale, Esoteriker - und immer wieder Impfgegner.

Diese Demonstrantin in Köln sieht durch eine hypothetische Impfpflicht offenbar ihre Grundrechte verletztBild: picture-alliance/Geisler-Fotopress

Die Stunde der Impfgegner

"Natürlich ist eine Impfung das beste Mittel, um dieser Pandemie entgegen zu treten", sagt Jan Rathje, der bei der Amadeu Antonio Stiftung ein Forschungsprojekt zu Antisemitismus und Verschwörungstheorien leitet. "Und die Vorstellung, dass in Zukunft Zwangsimpfungen stattfinden würden, grassiert recht weit in verschwörungstheoretischen Milieus." Es beteiligten sich jedoch auch Menschen, "die glauben, dass Impfungen letztlich nicht heilende Wirkung auf eine Gesellschaft haben, sondern dass sie individuell schädlich wirken", sagt Rathje.

Deutschland hat einer Online-Befragung französischer Wissenschaftler zufolge, die sich an Eltern in fünf europäischen Ländern richtete, mit fast drei Prozent verhältnismäßig viele Impfverweigerer, die ihren Kindern Schutzimpfungen komplett vorenthalten wollen. Der Kreis der Skeptiker summiert sich laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)  auf rund 20 Prozent. Aus den alle zwei Jahre durchgeführten Befragungen der BZgA lässt sich jedoch ablesen, wie die Einstellung zu Impfungen im Allgemeinen immer positiver wird.

Anders als in einigen EU-Staaten war es in Deutschland bislang immer Privatsache, ob man sich einer empfohlenen Schutzimpfung unterzieht. Allerdings sieht das Infektionsschutzgesetz  vor, dass das Gesundheitsministerium "bedrohte Teile der Bevölkerung" zu einzelnen Injektionen verpflichten darf, wenn die Bundesländer zustimmen. Der aktuelle Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) verhängte auf dieser Grundlage erstmals ein Gesetz, wonach Kinder in Tagesstätten und Schulen vollständig gegen Masern geimpft sein müssen. Es gilt erst seit März 2020.

Angst vor Corona-Impfpflicht

Diesen Präzedenzfall erwähnen Impfgegner nun auch, wenn es um einen Corona-Impfstoff geht, an dem weltweit unter Hochdruck geforscht wird. Spahn beteuerte: "Wo Freiwilligkeit zum Ziel führt, braucht es keine gesetzliche Pflicht." Man darf davon ausgehen, dass viele Deutsche sehnlichst auf einen verfügbaren Impfstoff warten - selbst wenn es noch bis 2021 oder gar länger dauern könnte. Weil es jedoch keine validen Daten zur Corona-Impfbereitschaft gibt, witterte der unter Neurechten und Verschwörungstheoretikern populäre Ex-Radiomoderator Ken Jebsen bereits eine "Impfpflicht durch die Hintertür".

Ins Visier der Verschwörungstheorien gerät der Philanthrop Bill Gates, der den Kampf gegen Corona mit Milliarden unterstütztBild: picture-alliance/Geisler-Fotopress

Solche Posts tragen offenbar dazu bei, dass Jebsens Stammpublikum für das Impfthema sensibilisiert wird. Allerdings fänden über ihre Impfgegnerschaft auch Menschen zu den Demos, die vielleicht für Botschaften der Homöopathie und Anthroposophie empfänglich seien, aber "erstmal nichts mit Verschwörung zu tun haben, auch nicht rechtslastig sind, und dann den Weg auf diese Plattformen finden", sagt Beate Küpper, Sozialpsychologin an der Hochschule Niederrhein. Die in Corona-Zeiten besonders starke Kombination aus Informationsbedürfnis und Unsicherheit könne dazu führen, "dass viele ihren Weg erst einmal aus Versehen auf solche Plattformen finden - und dann hängen bleiben".

Vom Netz auf die Straße

So wird Impfgegnerschaft, lange bevor es einen Corona-Impfstoff gibt, bereits zu einem Thema des Protests. Aus Sicht von Politikwissenschaftler Jan Rathje ist sie "durchaus eine der Kernbotschaften, die auf Protestschildern nach vorne getragen werden." Die Demonstrierenden hätten "Angst davor, vermeintlich zwangsgeimpft zu werden und keine Mitsprache zu haben". Es sei jedoch schwierig, zu sagen, welchen Anteil Impfgegner insgesamt an den Gruppierungen hätten.

Dieses Plakat in Stuttgart unterstellt Gesundheitsminister Jens Spahn, eine Impfpflicht einführen zu wollenBild: picture-alliance/dpa/S. Gollnow

Aus Sicht des Verfassungsschutzes wiegt die Beteiligung von Rechtsextremisten schwerer  - auch antisemitische und demokratiefeindliche Symbole und Parolen finden zunehmend Eingang in die Demonstrationen. Die Dynamik, mit der sich die Proteste gerade entfalten, überrascht Sozialpsychologin Küpper wenig: "Wir kommen aus einer gesellschaftlich aufgeheizten Stimmungslage." Erst im Februar hatte in Hanau ein Mann, den sein Verschwörungsdenken radikalisiert hatte, einen rassistischen Anschlag verübt. Die Aufarbeitung sei durch Corona stecken geblieben, sagt Küpper. "Jetzt geht es im Grunde leider auch mit den Verschwörungsmythen und dem Hass weiter, wo wir stehen geblieben sind."

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