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Politik

Deutscher Journalist in Rumänien festgenommen

Cristian Stefanescu das
21. Juni 2018

Als er die Proteste in Bukarest dokumentierte, wurde der deutsche Journalist Paul Arne Wagner in einen Polizeiwagen verfrachtet. Er ist wieder frei, viele Fragen bleiben offen. Cristian Stefanescu hat ihn getroffen.

Paul Arne Wagner
Bild: DW/C. Stefanescu

Um zwei Uhr morgens bellt der Hund Corbu so laut, dass er fast den ganzen Wohnblock in der Nähe des Bukarester Zentrums weckt. Er versteht nicht, wieso er so lange allein bleiben musste - und teilt allen Nachbarn auf seine Weise mit, dass Mădălina Roșca und Paul Arne Wagner endlich wieder nach Hause gekommen sind.   

Es war nicht das erste Mal, dass das rumänisch-deutsche Journalisten-Ehepaar bei den Antikorruptionsprotesten in Bukarest dabei war. Seit anderthalb Jahren filmen und fotografieren sie gemeinsam die Demos vor dem Parlament und dem Regierungsgebäude, bei denen die Bürger gegen die Angriffe der Regierung auf die Unabhängigkeit der Justiz protestieren. Sie halten all das fest, was ihrer Meinung nach auf keinen Fall in Vergessenheit geraten sollte: Von der Macht der Argumente bis zu den Argumenten der Macht.

Am Mittwochabend ist der deutsche Journalist Paul Arne Wagner nicht dazu gekommen, besonders viel zu fotografieren. Unter den Demonstranten ist plötzlich eine Gruppe Sicherheitskräfte in Kampfmontur aufgetaucht. Sie irritierten die Protestierenden, doch diese blieben ruhig, erzählt Mădălina Roșca: "Im Allgemeinen lassen sich die rumänischen Demonstranten nicht provozieren." Trotzdem, sagt Paul Arne Wagner im Gespräch mit der DW, "gab es einen Moment, in dem es zu Chaos gekommen ist. Ob das so geplant war oder nicht, kann ich nicht sagen. Aber die Dinge haben sich plötzlich überstürzt." Mitten in diesem Chaos sei er von vier Armen gepackt worden und in einen Polizeiwagen mit Gittern verfrachtet worden. Über die nächsten zweieinhalb Stunden gibt es zwei Geschichten. Zweieinhalb Stunden Angst um den Ehemann

"Es kam zu Chaos": Paul Arne Wagner wurde am Mittwochabend festgenommenBild: DW/Passport Productions

"Ich habe gesehen, wie die Sicherheitskräfte ihn abgeholt haben, filmte aber weiter. Verzeih mir, Paul, vielleicht hätte ich etwas anderes tun sollen, um dich dort rauszuholen", sagt Mădălina Roșca, nachdem ihr Mann wieder frei ist. Er lächelt sie aufmunternd an, doch ihn quälen Zweifel: Ob er wohl zufällig ins Visier der Polizei geraten ist oder nicht? Denn die Medienproduktionsfirma des Journalisten-Ehepaars, Passport Productions, hat im Frühling einen kritischen Dokumentarfilm veröffentlicht über die bittere Armut im Wahlkreis des einflussreichsten rumänischen Politikers, Liviu Dragnea, Chef der sozialdemokratischen Regierungspartei PSD und der Abgeordnetenkammer im Parlament. Außerdem haben Mădălina Roșca und Paul Arne Wagner verschiedene Übergriffe der Sicherheitskräfte bei Antikorruptions-Demos auf Video dokumentiert.

Als ihr Ehemann in den Polizeiwagen gezerrt wurde, habe sich ein dritter Polizist Mădălina Roșca in den Weg gestellt, im Video sieht man deshalb nur, wie die glänzenden Ränder seines Rucksacks in der Dunkelheit des Fahrzeugs verschwinden. "Ich habe versucht, mein Smartphone herauszuholen und das Ganze live auf Facebook zu übertragen, aber ich hatte kein Netz und das Polizeiauto war ohnehin schnell weg", sagt die Journalistin. Sie berichtet, dass in den nächsten Minuten auch andere Demonstranten in Polizeiwagen gesperrt wurden. Später schrieb Paul Arne Wagner auf seiner Facebook-Seite: "Für die anderen Menschen, die festgenommen wurden, gab es keine deutsche Botschaft und kein Auswärtiges Amt, bei dem man ihre Festnahme reklamieren konnte. Weil sie Rumänen sind."

Keine Anrufe, kein Anwalt, kein Dolmetscher 

Die andere Version der Geschichte beginnt mit den durchtrainierten Armen, die den deutschen Journalisten gepackt haben. "In wenigen Minuten haben sie mich in das Polizeiauto gesteckt. Es war wie in einem schlechten Film, ich fragte, wieso ich dort bin, und bekam keine Antwort. Ich fragte, wohin wir fahren, und bekam keine Antwort. Und die Tür des Wagens ging während der Fahrt immer wieder von alleine auf", sagt er der DW. Dadurch konnte er sich kleine Details der Fahrt merken, die in einem düsteren Raum einer Polizeistation endete. Zweieinhalb Stunden lang habe ihm ein Polizist namens Niculescu Gründe genannt, die seine Festnahme rechtfertigen sollten: "Nicht alle Gründe auf einmal, sondern mal den einen, mal den anderen. Er nannte mir aber keinen klaren Gesetzesverstoß, keinen Gesetzesartikel, den ich nicht eingehalten hätte."

Er durfte nicht telefonieren und war immer wieder allein mit einem der Sicherheitsmänner, die ihn gewaltsam in den Polizeiwagen gezerrt hatten. "Ich habe mich eingeschüchtert gefühlt und habe verlangt, den Raum verlassen zu dürfen", sagt der Journalist. Man habe ihm nicht erlaubt, einen Anwalt oder Dolmetscher anzufordern, und auch nicht, bei der Deutschen Botschaft anzurufen. "Auf der Polizeistation muss man das Handy ausschalten - also hatte ich sowieso keine Möglichkeit, irgendeinen Anwalt anzurufen." Am Ende saß er vor einem offiziellen Protokoll und wurde aufgefordert, einen Verweis wegen "Behinderung der Polizeiarbeit" zu akzeptieren.

"Die Schrift war sehr klein, es war schwer zu lesen, vor allem, weil sie mir das Dokument nicht in die Hände gegeben haben. Sie haben es mir nur von Weitem gezeigt, als würden sie sich davor hüten, dass ich es lesen kann. Ich habe gesagt, dass ich nicht verstehe, was dort steht, und nicht unterschreiben kann", sagt Paul Arne Wagner.Plötzlich wollten alle den deutschen Journalisten "loswerden" 

"Verzeih mir, vielleicht hätte ich etwas anderes tun sollen": Mădălina Roșca mit ihrem MannBild: DW/C. Stefanescu

Er erzählt, dass Niculescu das Dokument ganz nah an der Nase gehalten habe, als würde er ein Buch lesen: "Er hat ins Papier gemurmelt, dass ich dies und das und jenes getan hätte. Dass ich den Gendarmen am Arm gepackt hätte. Dabei war er in voller Montur, geschützt wie eine Schildkröte, und doppelt so groß wie ich. Ich habe mich geweigert zu unterschreiben, denn es waren nur Lügen!" Daraufhin sei ihm eine Geldstrafe von 500 Lei (etwa 107 Euro) angedroht worden - weil er nicht unterschreiben wollte.

Am Ende verließ der deutsche Journalist das Polizeigebäude ohne eine Kopie des Protokolls und ohne Geldstrafe. Erst dann konnte er seine Frau anrufen. Nach ein Uhr nachts war die Piata Victoriei, wo seit anderthalb Jahren die Zivilgesellschaft regelmäßig protestiert, fast leer, nur wenige Demonstranten saßen auf dem warmen Asphalt und redeten im Mondschein über Politik. Als sie den deutschen Journalisten erblickten, umarmten sie ihn. Die Behörden seien verzweifelt gewesen, ihn nicht in den Datenbanken der Polizei gefunden zu haben, erzählt er ihnen. "Sie waren irritiert, dass sie in meinem Personalausweis keinen CNP finden, den persönlichen Zahlencode, der in rumänischen Ausweisen steht. Ich habe ihnen gesagt, dass es das in deutschen Ausweisen nicht gibt." Nach zwei Stunden, in denen er nicht einmal ein Glas Wasser bekam, wurde die Verantwortung für seine Überprüfung an die Gendarmerie abgegeben. Dann sei etwas Seltsames passiert: Plötzlich schienen sich alle zu wünschen, ihn schnell "loszuwerden". 

"Ich wurde schon mal auf ähnliche Weise festgenommen: in Simbabwe. "Ohne Erklärungen", sagt er. Inzwischen vermeldet die Bukarester Gendarmerie, der Journalist habe eine Absperrung der Polizei durchbrochen. Deshalb sei er festgenommen worden. Auch ein sichtbar getragenes Presseschild sei kein offizielles Dokument, so das Argument der Behörden.  

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