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Wie junge Kubaner Kapitalismus üben

Andreas Knobloch Havanna
14. Juli 2017

Es ist ausgerechnet eine staatliche Institution, die Universität Havanna, die - unterstützt von der Berliner Humboldt-Uni - die erste in Kuba beheimatete Startup-Schmiede betreibt. Aus Havanna Andreas Knobloch.

Kuba, Startup
Bild: DW/A.Knoblauch

Eine genaue Vorstellung, auf was er sich da einließ, als er mit Kind und Kegel für mehrere Monate nach Havanna übersiedelte, hatte Jan Ehlers nicht. Die Herausforderung: Kubas ersten Inkubator zur Entwicklung innovativer Geschäftsideen mit aufzubauen. Unterstützung erhält das Projekt der Universität Havanna von der Berliner Humboldt-Uni. "Die Kubaner selbst hatten auch keine Vorstellung beziehungsweise eine ganz andere", erzählt Ehlers mit einem Lachen. In Berlin ist er an der ESCP EUROPE, einer Business-School, als Leiter des Bereichs Business Development und Corporate Relations tätig. "Die dachten, ich komme da an und gebe die ganze Zeit Unterricht. Aber ich dachte: Ich werde doch jetzt keinen Unterricht machen, ich bin doch gar kein Lehrer. Das fanden die komisch. Und dadurch war zum Anfang immer so ein Moment der Spannung."

Aber wie heißt es so schön: Aller Anfang ist schwer. Zumal auch einige logistische Anforderungen zu meistern waren. Der von der Unileitung zugewiesene Raum in der Wirtschaftsfakultät war sauber zu machen und einzurichten. Die Bereitstellung einer Internetleitung dauerte mehrere Monate - und war dann, wie an Kubas Unis üblich, beschränkt. "Ich habe einmal ein fünfminütiges Youtube-Video geguckt, danach war mein Datenvolumen für den Monat leider aufgebraucht." Mittlerweile aber steht die unbegrenzte Internetverbindung.

Managment-Berater Jan Ehlers: "Bekanntschaft mit kubanischem Anstehen und kubanischer Geduld".Bild: DW/A.Knobloch

"Kubanische Geduld"

Bei der Auswahl der Projektteams machte Ehlers dann erstmals Bekanntschaft "mit kubanischem Anstehen und kubanischer Geduld", wie er sagt. "Das waren überwiegend Professoren und Mitarbeiter der Uni, nur ganz wenige Studenten. Sie wurden alle für 14 Uhr einbestellt und ich dachte mir: Wer hat denn alle Teams zum gleichen Zeitpunkt hierher geschickt? Denn wir wollten die ja interviewen." Das erste Interview dauerte eine dreiviertel Stunde. "Das letzte Team hatte schon mal Hartnäckigkeit bewiesen, weil die um 20 Uhr immer noch auf ihren Termin warteten."

Sieben Startups aus den Bereichen IT, Biotechnologie, Medizintechnik sowie Solarenergie wurden schließlich ausgewählt. Ein Team wollte z.B. eine App entwickeln, die dem Nutzer auch offline helfen soll, mit öffentlichen Verkehrsmittel von A nach B zu kommen; ein anderes Team plante Inspektionen aus der Luft mit Drohnen zur Wartung von Solarparks, zur Erkennung von Wasserlecks auf Dächern oder zur Überprüfung von Pflanzenbeständen im landwirtschaftlichen Bereich. Das Team um Marta L. Baguer, Professorin für Mathematik an der Universität Havanna, wiederum arbeitete an einer Bilderkennungssoftware zur Früherkennung von Gebährmutterhalskrebs.

Lücke zwischen Uni und Industrie

In Kuba klaffe eine große Lücke zwischen dem akademischem Bereich und der Industrie, sagt Baguer. Der Inkubator helfe, diese Lücke zu schließen. "Bei Treffen mit staatlichen Partnern haben wir uns bisher immer in mathematische Details vertieft, nun liegt der Fokus eher auf praktischen Fragen."

Input haben Workshops zu Designthinking, Businessmodelling und Marketing gegeben. "Und dann hatte ich mal wieder Glück, dass ich beim Abendessen bei einer Freundin eine Marketing-Expertin kennengelernt habe, die in einer sehr hohen Position bei einem deutschen Unternehmen tätig war, das Projekt spannend fand und gern mal vorbeikommen wollte", erinnert sich Ehlers. "So hatte ich meine erste Referentin rekrutiert, die dann einen Workshop zum Thema SWAT-Analyse und Marketing gemacht hat und den Teams erklärt hat, wie Markt-Beobachtung funktioniert und wie kundenorientierte Geschäftsmodelle zu entwickeln sind."

Referenten aus Deutschland

In der Folge kamen zahlreiche weitere Referenten aus Deutschland hinzu, ebenso ein Netzwerk von kubanischen Mentoren aus verschiedenen Unternehmen, Ministerien und der Hochschule selbst. "Ich habe mich mit Vertretern von Ministerien, Abteilungsleitern, Beratern von Ministern getroffen und überall bekam ich nur Unterstützung", so Ehlers. Daneben haben alle Teams einen erfahrenen Unternehmer aus Deutschland als individuellen Mentor, der Businessmodelle und Geschäftsideen mit ihnen durchspricht, sie ermutigt, Fragen aufwirft und Hilfestellung gibt, konkret ein Geschäft zu planen, das nach Möglichkeit auch umgesetzt wird. Dazu gehört auch, den rechtlichen Rahmen zu identifizieren.

Workshop-Atmosphäre: "In Kuba fehlt die Verbindung zwischen Uni und Industrie".Bild: DW/A.Knobloch

Denn vieles ist neu auf Kuba. Das Land verändert sich: der Staat lässt - wenn auch nur auf kleiner Skala - privatwirtschaftliche Initiative zu. Staatsbetriebe erhalten mehr Autonomie, eine Sonderwirtschaftszone wurde eingerichtet und ein Investitionsgesetz soll ausländisches Kapital anlocken. Der Inkubator spiegelt in gewisser Weise diese Veränderungen im Kleinen wider: Das Herantasten an den Markt und unternehmerischen Denkens, eine gewisse Aufbruchstimmung, aber auch viel Ungewissheit, wohin es gehen soll. "Hat in dieser Umbruchsituation die Hochschule neben der Vermittlung von akademischen Lehrinhalten und Forschung nicht auch den Auftrag, die Bevölkerung darauf vorzubereiten, mit marktwirtschaftlichen Prinzipien umzugehen?", stellt Ehlers in den Raum.

Mögliches Modell für Kuba

"An den Universitäten [im Ausland, Anm.], die ich besucht habe, haben fast alle Professoren gemeinsame Projekte mit der Industrie und erzielen Einnahmen, die sie in die Wissenschaft und in die Verbesserung der Arbeitsbedingungen investieren können", sagt Baguer. Das könne vielleicht auch ein Modell für Kuba sein, glaubt die Hochschullehrerin, denn die Universität benötige eigene Einnahmen.

"Es gibt ein fundamentales Problem: Viele unserer besten Studenten, in deren Ausbildung wir viele Jahre investieren, aber auch erfahrene Professoren und Forscher verlassen das Land oder gehen in die Privatwirtschaft." Mechanismen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Einkommen zu schaffen, sei daher eine der großen Herausforderungen.

Hohes Bildungsniveau, geringe Lohnkosten

Das hohe Bildungsniveau, die Fähigkeit zu improvisieren, aber auch die geringen Lohnkosten machen Kuba vielleicht zu einem idealen zukünftigen Standort für Startups im Technologiesektor. Andererseits dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis Inkubatoren aus den USA oder Europa in Kuba nach Talenten scouten und diese weglocken.

Deshalb müsse den Kubanern die Möglichkeit gegeben werden, selbst Unternehmen aufzubauen, sagt Ehlers. "Ich erlebe, dass die Leute Kuba lieben und ihre Heimat nicht verlassen wollen und auch breit sind, einen Preis dafür zu zahlen. Dadurch ist der Druck hoch für die Regierung, die Bürokratie, die Unileitung, schnell mögliche Wege zu suchen, wie die Professoren und Studenten ihre Familie ernähren können - ohne nebenbei Taxi zu fahren, Eis zu verkaufen oder mit Zigarren zu handeln." Ziel des Inkubators sei es, die Uni Havanna dabei zu unterstützen, eine tragende Rolle in dem Wandel zu übernehmen.

 

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