Moskau setzt im Krieg gegen die Ukraine zunehmend Lenkbomben ein. Bedroht sind die Regionen an Grenzen und Frontlinien zu Russland. Die Waffen sind präzise und schwer zu stoppen. Der Westen könnte helfen, sagen Experten.
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Nach Informationen der ukrainischen Luftstreitkräfte attackiert Russland die Ukraine zunehmend mit gelenkten Fliegerbomben. Zuvor hatte die russische Luftwaffe solche Waffen eher vereinzelt eingesetzt, doch in den letzten Wochen seien entlang der gesamten Frontlinie täglich bis zu 20 gelenkte Fliegerbomben eingeschlagen.
Besonders betroffen sind laut ukrainischen Behörden die Stadt Cherson im Süden und die an Russland und Belarus grenzenden Regionen des Landes. "Die Russen werfen immer mehr dieser Bomben ab, weil ihre Vorräte an Raketen aufgebraucht sind. Es sind nur noch sehr wenige übrig, also sind sie auf billige Fliegerbomben umgestiegen", sagte Jurij Ihnat, Sprecher der ukrainischen Luftstreitkräfte, der DW.
Mit dem Einsatz von Lenkbomben "ändern die russischen Streitkräfte möglicherweise ihre Taktik, um das Risiko weiterer Verluste von Flugzeugen zu verringern, indem sie außerhalb der Reichweite der meisten ukrainischen Luftverteidigungssysteme operieren", schreibt das amerikanische Institute for the Study of War in einem Bericht vom 7. April 2023.
Was sind gelenkte Fliegerbomben?
Im Unterschied zu einfachen Bomben verfügen Lenkbomben über kleine Tragflächen und Leitwerke. Dadurch können sie in Gleitflug versetzt werden, der zum einen eine präzise Zielansteuerung erlaubt. Zum anderen können die Bomben Ziele in großer Entfernung zum Abwurfort treffen. Solche Bomben können von Kampfflugzeugen oder -hubschraubern abgeworfen werden.
Ukrainische Militärexperten gehen davon aus, dass Russland aktuell über zwei Typen von Lenkbomben verfügt. Die modernere, satellitengesteuerte UPAB-1500B wurde erst vor wenigen Jahren in Dienst gestellt. Aufgrund der extrem hohen Produktionskosten werde sie aber bislang eher selten eingesetzt, sagten Experten der DW.
Stattdessen setze die russische Armee in der Ukraine größtenteils ursprünglich ungelenkte Bomben mit einem Gewicht von 500, 1000 oder 1500 Kilogramm ein, die noch aus Sowjetzeiten stammen. Die hochexplosiven Bomben des Typs FAB würden mit Tragflächen und einer Satellitensteuerung ausgestattet und auf diese Weise zu einer hochpräzisen Waffe aufgerüstet. Oleh Katkow, Chefredakteur der ukrainischen Fachzeitschrift Defense Express, meint, der Umbau sei sehr kostengünstig und dauere nicht lange.
Oleksandr Kowalenko, Militärexperte des ukrainischen Think-Tanks "Zentrum für Sicherheitsstudien", bestätigt das: "Man kann solche Module für diese Bomben, von denen noch viele auf Lager sind, schnell produzieren." Diese Lenkbomben seien zwar qualitativ weitaus schlechter als moderne Systeme, dafür könne Russland die Ukraine damit noch lange angreifen.
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Abschuss von Lenkbomben ist aussichtslos
Laut Jurij Ihnat hat Russland Bereits einen Monat nach Beginn der großflächigen Invasion aufgehört, ukrainisch kontrollierte Gebiete zu überfliegen. Allerdings erlaubt es die Reichweite der Gleitbomben, ukrainische Gebiete vom eigenen Luftraum beziehungsweise dem Luftraum russisch besetzter Gebiete aus zu bombardieren: "Russische Flugzeuge können diese Lenkbomben 50 bis 70 Kilometer tief ins ukrainisch kontrollierte Gebiet abwerfen", erklärt der Sprecher der ukrainischen Luftstreitkräfte. Die Reichweite hänge von Flughöhe und Geschwindigkeit des Flugzeugs ab. "Aber sie fliegen nicht an die Grenze selbst heran, weil sie wissen, dass sie abgeschossen werden können. Je höher ein Flugzeug steigt, desto besser wird es von unseren Radarstationen erkannt."
Zur Verteidigung setzt die Ukraine derzeit sowjetische Flugabwehr-Raketensysteme ein. Fliegerbomben seien damit allerdings kaum zu stoppen: "Die Flugabwehrrakete trifft nicht das Objekt selbst, sondern explodiert neben ihm und durchschlägt es mit Splittern. Das klappt bei einer Bombe meist nicht", erläutert Ihnat. Deshalb, betont er, brauche die Ukraine die modernen Luftverteidigungssysteme, etwa vom Typ Patriot, die vor kurzem aus der USA, den Niederlanden und Deutschland angekommen sind, um Lenkbomben zerstören zu können.
Doch die Zahl der Systeme reicht nicht aus, um die gesamte Frontlinie und die Grenzen zu Russland und Belarus zu verteidigen, sagen die Experten. Zudem sei es riskant, sie nahe der Frontlinie aufzustellen. Die russischen Truppen würden mit allen Mitteln versuchen, die Patriot-Systeme zu zerstören - und sei es nur zu Propagandazwecken, betont Oleh Katkow. Der Fachjournalist glaubt, dass die Russen sogar bereit wären, Kampfflugzeuge zu opfern nur, um der Ukraine einen bedeutenden Verlust zuzufügen.
Ukraine will moderne Kampfflugzeuge
Am besten könnte sich die Ukraine wohl mit modernen westliche Kampfflugzeugen gegen die Lenkbomben schützen, sagt Sicherheitsexperte Kowalenko. "Bomben sind sehr schwer zu treffen, einfacher ist es, den Träger selbst zu zerstören, also russische Flugzeuge."
Doch die Ukraine verfügt über keine Luft-Luft-Raketen mit ausreichender Reichweite, um Kampfflugzeuge über russisch kontrollierten Gebieten anzugreifen. Und westliche Luft-Luft-Raketen sind mit den Flugzeugen sowjetischer Bauart, wie sie jüngst von der Slowakei an die Ukraine übergeben wurden und von Polen noch übergeben werden sollen, nicht kompatibel, betont Kowalenko. Deshalb benötige die Ukraine dringend westliche Kampfjets. Doch die wollen westliche Staats- und Regierungschefs, einschließlich US-Präsident Joe Biden, Kiew bisher nicht liefern.
Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk
Bachmut: Die "Festung des Donbass" an der Frontlinie
Vor der russischen Invasion lebten in Bachmut über 70.000 Menschen. Derzeit toben dort heftige Kämpfe und noch nicht alle Zivilisten haben die Stadt im Donbass verlassen. Über das Leben in Bachmut seit Kriegsbeginn.
Bild: LIBKOS/AP Photo/picture alliance
Die Stadt vor der Katastrophe
Dieses Foto, aufgenommen im Frühjahr 2022, zeigt Wandmalereien zum Thema "Familie und Kinder" in Bachmut. Im Mai näherte sich die Frontlinie direkt der Stadt und es begannen Artillerie- und Luftangriffe. Viele Häuser wurden schwer beschädigt.
Bild: JORGE SILVA/REUTERS
"Man fühlt sich obdachlos"
Wohnblöcke im östlichen Bachmut waren die ersten, die im Frühjahr 2022 von russischen Angriffen getroffen wurden. Heute unterscheiden sich die Viertel kaum von der zerstörten Hafenstadt Mariupol. "Man fühlt sich obdachlos, man hat alles verloren. Es gibt keinen Ort, an den man zurückkehren kann", sagt Halyna, eine Evakuierte aus Bachmut, deren Haus zerstört worden war, gegenüber Journalisten.
Bild: Aris Messinis/AFP/Getty Images
Vor den Ruinen einer Schule
Zwei Lehrerinnen in Bachmut umarmen sich vor den Ruinen ihrer Schule. Sie wurde am 24. Juli 2022 von der russischen Armee bombardiert. Das Gebäude wurde stark beschädigt. Tote oder Verletzte waren bei dem Angriff nicht zu beklagen.
Bild: Diego Herrera Carcedo/AA/picture alliance
Zerstörte Baudenkmäler
Im Laufe des Krieges wurden durch russischen Beschuss in Bachmut viele bedeutende historische Gebäude zerstört und beschädigt, darunter der Kulturpalast, das einstige Privathaus des Kaufmanns Poljakow aus den 1880er Jahren oder das ehemalige Mädchengymnasium. Zerstört wurden aber auch modernere Gebäude, die einst die "Visitenkarte" von Bachmut waren.
Bild: Dimitar Dilkoff/AFP/Getty Images
Letzte Vorbereitungen für die Evakuierung
Oleksandr Hawrys trifft letzte Vorbereitungen, um seine Frau und zwei Kinder aus Bachmut nach Kiew zu evakuieren. Am 7. März 2023 waren noch weniger als 4000 Menschen in der Stadt, die vor dem Krieg 73.000 Einwohner hatte.
Bild: Metin Aktas/AA/picture alliance
Geblieben sind Alleinstehende und Schwache
Mehr als 90 Prozent der Einwohner haben Bachmut und die Umgebung verlassen. Monatelang hatten nur wenige Geschäfte und eine Apotheke während der Feuerpausen geöffnet. Wohltätigkeitsorganisationen und Freiwillige brachten den Einwohnern der Stadt humanitäre Hilfe.
Bild: ANATOLII STEPANOV/AFP/Getty Images
Sie bleiben trotz allem
Die schwangere Olha und ihr Ehemann Wlad am 28. Januar 2023 vor einem Luftschutzkeller in Bachmut. Das Paar zählt zu den wenigen Zivilisten, die trotz der heftigen Kämpfe in der Stadt geblieben sind. Um nach Bachmut zu gelangen, braucht man heute einen speziellen Passierschein.
Bild: Raphael Lafargue/abaca/picture alliance
Ein Leben in ständiger Angst
Die 79-jährige Rentnerin Walentyna Bondarenko schaut im August 2022 aus dem Fenster ihrer Wohnung in Bachmut. Wegen des endlosen Beschusses und der ständigen Lebensgefahr haben viele Einwohner von Bachmut monatelang in Kellern und Notunterkünften ausgeharrt.
Bild: Daniel Carde/Zumapress/picture alliance
Der Alltag im Keller
"Wir sind schon diverse Pfeiftöne und Explosionen gewohnt", sagt Nina aus Bachmut (rechts im Bild) der DW. Ihre Töchter sind "nach Europa" gegangen, aber sie und ihr Mann wollten so lange bleiben, solange die ukrainische Armee in der Stadt ist. Sollte sich die Lage verschlimmern, würden sie Bachmut verlassen, "um das Militär nicht zu stören, wenn sich der Feind hinter den Häusern versteckt".
Bild: Oleksandra Indukhova/DW
Anstehen für humanitäre Hilfe
Die humanitäre Lage in der Stadt verschlechterte sich vor allem im Herbst, nachdem die russischen Truppen am 1. August 2022 eine Offensive begonnen hatten. Durch die Angriffe und Bombardierungen wurde das Stromnetz beschädigt. Die Versorgung mit Lebensmitteln war schwierig und der Mobilfunk brach zusammen. Auch freiwillige Helfer gerieten unter Beschuss.
Bild: Diego Herrera Carcedo/AA/picture alliance
Heftige Artilleriegefechte
Die wichtigsten Kämpfe um Bachmut werden zwischen Artillerieeinheiten ausgetragen. Nach Einschätzungen von Militärs ist in diesem Gebiet fast die gesamte Bandbreite an Artillerie und Mörsern im Einsatz. Bachmut wird heftig von Einheiten der russischen Privatarmee "Wagner-Gruppe" angegriffen. Das ukrainische Militär leistet nach wie vor Widerstand gegen alle Angriffe.
Bild: Bulent Kilic/AFP/Getty Images
Ukrainische Flagge aus Bachmut im US-Kongress
Am 20. Dezember besuchte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die ukrainischen Soldaten bei Bachmut. Von dort nahm er eine ukrainische Flagge mit, die er zwei Tage später bei seinem Besuch im US-Kongress der Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi überreichte. Auf der Flagge sind Unterschriften von Soldaten, die die Souveränität der Ukraine an der Front verteidigen.
Bild: Carolyn Kaster/AP Photo/picture alliance
Behandlung Verwundeter in Bachmut
Zu den Hauptaufgaben der Militärsanitäter im Fronteinsatz zählen: Verwundete zu stabilisieren, Todesfälle durch Blutverlust und Schock zu verhindern sowie in schweren Fällen den Abtransport in Lazarette im sicheren Hinterland zu gewährleisten.
Bild: Evgeniy Maloletka/AP Photo/picture alliance
80 Prozent der Stadt liegen in Trümmern
Ein Bild aus den letzten Dezembertagen 2022. Rauch steigt über den Ruinen von Privathäusern am Stadtrand von Bachmut auf. Nach Angaben der Behörden vor Ort wurden durch die heftigen Kämpfe mehr als 80 Prozent des Bestands an Wohnraum der Stadt zerstört (Stand März 2023).
Bild: Libkos/AP/picture alliance
Blick auf die Zerstörung vom Satelliten aus
Ein von Maxar veröffentlichtes Satellitenbild vom 4. Januar 2023 zeigt das Ausmaß der Zerstörung bei Bachmut. "Die Stadt war in den letzten Monaten das Zentrum intensiver Kämpfe zwischen russischen und ukrainischen Truppen, und Bilder zeigen erhebliche Schäden an Gebäuden und Infrastruktur", so das Luft- und Raumfahrtunternehmen.
Bild: Maxar Technologies/picture alliance/AP
Eine Geisterstadt
Dieses Foto vom 13. Februar, aufgenommen von einer Drohne der Nachrichtenagentur AP, zeigt das Ausmaß der Zerstörung durch die Kämpfe. Ganze Reihen von Wohnhäusern sind zerstört, nur die Außenmauern und die beschädigten Fassaden stehen noch. Dächer sowie Decken und Böden im Innern sind eingestürzt und Schnee fällt ins Innere der Ruinen.
Bild: AP Photo/picture alliance
"Festung Bachmut"
Ein ukrainischer Soldat läuft im Stadtzentrum an einer Wand mit der Aufschrift "Bachmut liebt die Ukraine" vorbei. Die politische und militärische Führung der Ukraine hat beschlossen, die Verteidigung der Stadt fortzusetzen. Die NATO schließt jedoch nicht aus, dass Bachmut fallen könnte, was aber nicht unbedingt einen Wendepunkt im Krieg bedeuten würde.