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PolitikEuropa

Wie kann sich die NATO gegen hybride Kriegführung wehren?

Anchal Vohra
7. Dezember 2024

Das westliche Verteidigungsbündnis NATO sucht nach neuen Wegen, sich gegen Sabotage durch Russland und China zu wehren. Könnten hybride Angriffe den Bündnisfall auslösen?

Verlegung eines Unterseekabels in der Ostsee
Unterseekabel, wie das hier bei der Verlegung in der Ostsee gezeigte C-Lion1-Kabel, werden immer häufiger Ziel von SabotageaktenBild: Heikki Saukkomaa/Lehtikuva/AFP/Getty Images

Als sich die Außenminister der NATO in der ersten Dezemberwoche in Brüssel versammelten, stand ein Thema ganz weit oben auf der Tagesordnung: die Bekämpfung der hybriden Kriegführung. So wird der Einsatz konventioneller und nicht-konventioneller Mittel bezeichnet, der noch nicht das Stadium einer offenen Kriegführung erreicht, die Zielländer jedoch destabilisiert.

Immer häufiger kommt es zu Fällen mutmaßlicher Sabotage auf dem Gebiet der NATO-Mitgliedsstaaten. Die Verbündeten beschlossen daher, den Informationsaustausch zu intensivieren, die Zusammenarbeit mit Privatunternehmen zu verbessern und kritische Infrastruktur resistenter gegen hybride Kriegführung zu machen.

"In den vergangenen Jahren haben Russland und China versucht, unsere Nationen durch Sabotageakte, Cyberangriffe, Desinformation und Erpressung im Bereich der Energieversorgung zu destabilisieren und uns einzuschüchtern", sagte NATO-Generalsekretär Mark Rutte. "Die NATO-Verbündeten werden weiterhin Seite an Seite stehen, um diesen Bedrohungen durch eine Reihe von Maßnahmen entgegenzutreten. Dazu zählen auch ein verstärkter Austausch von Informationen und ein besserer Schutz kritischer Infrastruktur."

Als im November zwei Glasfaserkabel in der Ostsee durchtrennt wurden, von denen eines Finnland mit Deutschland und das andere Schweden mit Litauen verband, befand sich jeweils das selbe chinesische Schiff in der Nähe. Dies ist nur das jüngste Beispiel in einer immer längeren Reihe von Vorfällen, bei denen es sich nach Einschätzung der NATO um geplante und koordinierte Akte hybrider Kriegführung handelt, die von Moskau oder im Auftrag Moskaus ausgeführt wurden.

Durchtrennte Seekabel: Deutschland warnt vor Sabotage

01:33

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Ein hochrangiger NATO-Beamter erklärte unter der Voraussetzung der Anonymität, das Bündnis überarbeite angesichts der "zunehmenden Risikobereitschaft" Russlands seine Strategie zur Bekämpfung hybrider Kriegführung aus dem Jahr 2015 und werde dieses um weitere Maßnahmen ergänzen.

Maßnahmen gegen hybride Kriegführung

Laut einem in der "New York Times" veröffentlichten Bericht unternahm Russland mehrere hybride Angriffsversuche auf NATO-Mitgliedsstaaten, darunter Brandanschläge auf eine Lagerhalle in Großbritannien, eine Farbenfabrik in Polen und eine Ikea-Filiale in Litauen.

Russlands Arsenal für die hybride Kriegführung ist außerordentlich gut bestückt und umfasst unter anderem Mittel für Cyberattacken und Desinformationskampagnen. Als besonders verwundbar für Sabotageakte haben sich jedoch die unterseeischen Anlagen der NATO erwiesen. Unter der Wasseroberfläche verlaufen Millionen von Kilometern an Unterseekabeln und -pipelines für die Kommunikation und die Energieversorgung der Mitgliedsstaaten.

So wird in der NATO unter anderem diskutiert, wie die Unterwasserinfrastruktur besser geschützt werden kann, zum Beispiel durch die Verlegung der Kabel unter dem Meeresboden oder aber die Ummantelung von Öl- und Gaspipelines mit Beton oder anderen härteren Materialien. Dies könnte nach Ansicht von Experten auch einen zusätzlichen Schutz vor der Beschädigung durch Trawler oder Anker bieten. Ein weiterer Vorschlag ist die Verlegung von Kabelattrappen, um den Feind in die Irre zu führen.

Die Verbündeten überlegen außerdem, die unterseeische Infrastruktur konsequent zu überwachen, nicht nur, um die Täter zu identifizieren, sondern auch, um Schiffe vor Ort entsenden und die Täter festsetzen zu können. Solche Maßnahmen könnten Experten zufolge dabei helfen, künftige Sabotageakte zu verhindern.

Die NATO diskutiere über eine konsequente Überwachung der kritischen Unterwasserinfrastruktur zum Beispiel durch unter oder über Wasser einsetzbare, mit Kameras ausgestattete Drohnen, die Videos oder anderen Daten aufzeichnen, mit deren Hilfe Täter identifiziert werden könnten, berichtet Rafael Loss vom European Council on Foreign Relations (ECFR) in Berlin und Experte für Sicherheit und Verteidigung im euro-atlantischen Raum der DW.

Eigentümer der Infrastruktur, die Ziel von Angriffen wird, sind häufig private Unternehmen. Die NATO möchte daher mit den entsprechenden Unternehmen besser zusammenarbeiten, damit Informationen schnell weitergeleitet werden. Nachdem im vergangenen Jahr die Nord-Stream-Pipeline beschädigt wurde, richtete die NATO eine Koordinierungszelle zum Schutz kritischer Unterwasserinfrastruktur ein, um die Zusammenarbeit mit dem Privatsektor zu verbessern.

Keine Nennung von Verdächtigen

Obwohl Indizienbeweise in mehreren Fällen auf die üblichen Verdächtigen hinweisen, sind sich die NATO-Mitgliedsstaaten uneinig darüber, ob diese ohne stichhaltige Beweise öffentlich benannt werden sollten. Nach Ansicht von Experten ist eine Befehlskette in Fällen hybrider Kriegführung ohnehin schwer zu belegen. Dabei spielen auch politische und wirtschaftliche Überlegungen eine Rolle.

"Will man wirklich die chinesische Staatsführung eines möglichen feindseligen Aktes beschuldigen, wenn die Beziehungen außerordentlich komplex sind?", fragt Loss mit Verweis auf die wirtschaftlichen Verbindungen zwischen Peking und der EU. "Bei einigen Mitgliedern besteht zudem die Hoffnung, dass China eine Rolle bei der Beilegung des Krieges in der Ukraine und in der globalen Klimapolitik spielen könnte."

Könnten hybride Angriffe den Bündnisfall auslösen? 

Einige Mitgliedsstaaten vertreten die Meinung, dass die NATO sich auf Artikel 5 des Bündnisvertrags berufen kann, wenn ein hybrider Angriff eine bestimmte Grenze überschreitet. Dieser Artikel löst den Bündnisfall aus, in dem alle Mitgliedsstaaten aufgefordert sind, ein angegriffenes Mitglied zu verteidigen.

NATO sucht neue Strategie gegen hybride Angriffe

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"Der umfangreiche Einsatz hybrider Maßnahmen durch Russland erhöht das Risiko, dass die NATO irgendwann erwägt, ihre Klausel zur gegenseitigen Verteidigung nach Artikel 5 in Anspruch zu nehmen", sagte der deutsche Geheimdienstchef Bruno Kahl bei der Veranstaltung einer Denkfabrik vergangene Woche in Berlin.

Im Falle einer Eskalation hybrider Operationen gegen Mitgliedstaaten, die das Ausmaß eines bewaffneten Angriffs annehmen, könnte die Anwendung von Artikel 5 tatsächlich in Betracht gezogen werden, betont Eitvydas Bajarunas gegenüber der DW. Das hätten die Staats- und Regierungschefs der Verbündeten auf dem letzten NATO-Gipfel im Juli 2024 bestätigt, so der ehemalige stellvertretende Botschafter Litauens bei der NATO, der zurzeit als Gastdozent am Center for European Policy Analysis (CEPA) lehrt.

Experten zufolge weiß Russland jedoch von diesen Überlegungen und wird die Schwere seiner Angriffe derart begrenzen, dass sie sich direkt unterhalb der Schwelle eines offenen Krieges bewegen. Laut der NATO-eigenen Definition umfasst hybride Kriegführung "ein Zusammenspiel oder eine Verschmelzung konventioneller und nicht-konventioneller Instrumente der Macht und Zerstörung". Diese Definition ist jedoch nicht eindeutig und macht so die Zuordnung und damit die Reaktion auf solche Akte schwierig.

Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine haben europäische Regierungen mehr als 700 russische Spione, die sich als Diplomaten tarnten, ausgewiesen. Doch die hybriden Angriffe gehen weiter.

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.

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