1001 CDU-Delegierte wollen am Samstag einen neuen Vorsitzenden wählen - bei ihrem ersten digitalen Parteitag. Es geht um viel. Denn die wichtigste Regierungspartei bereitet sich auf die Zeit nach Merkel vor.
Anzeige
Wenn im Herbst die Deutschen den nächsten Bundestag wählen, wird Angela Merkel 16 Jahre im Amt hinter sich haben. Sie hat drei US-Präsidenten kommen und gehen sehen, es mit fünf britischen Premierministern und sieben italienischen Ministerpräsidenten zu tun gehabt. In den vielen Krisen dieser Zeit galt sie als Fels in der Brandung, von der europäischen Staatsschuldenkrise bis zur Corona-Pandemie. Es sind also große Fußstapfen, in die ihr Nachfolger treten wird.
Zwar geht es beim virtuellen Parteitag offiziell gar nicht um Merkels Nachfolge. Gekämpft wird da "nur" um den CDU-Vorsitz. Aber da die Union in den Umfragen seit Monaten mit Abstand stärkste Partei ist, wird die Frage der Kanzlerschaft automatisch mitgedacht: Wer CDU-Chef wird, muss grundsätzlich kanzlertauglich sein.
Katholische Männer aus NRW
Drei Kandidaten stehen für den CDU-Vorsitz zur Wahl und wollen die glücklose Annegret Kramp-Karrenbauer beerben: der frühere Unionsfraktionschef Friedrich Merz, der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet und der Außenpolitiker Norbert Röttgen.
Auch teilen sie die Sorge um die Zukunft ihrer Partei, die sozialen Veränderungen oft hinterherhinkt. "Sind wir repräsentativ für die Gesellschaft? Antwort: nein", sprach es Laschet kürzlich vor CDU-Mitgliedern offen aus. Alle drei wollen als Konsequenz mehr junge Leute, mehr Frauen und mehr Menschen mit Migrations-Hintergrund gewinnen, als Funktionsträger und als Wähler. Über Migranten sagte Laschet: "Wenn wir die dazugewinnen, haben wir eine Chance, auf Dauer Volkspartei zu bleiben."
16 Kanzlerinnenjahre
Seit 2005 ist Angela Merkel Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Vier Regierungen hat sie seitdem geführt. Und sie ist heute beliebter denn je. Stationen einer Kanzlerschaft, die bald zu Ende geht.
Nicht mehr Kohls "Mädchen"
Bundeskanzler Helmut Kohl hatte Merkel einst paternalistisch das "Mädchen" genannt und sie zwei Mal zur Ministerin gemacht. Aus seinem Schatten war sie hier, 2001, schon längst herausgetreten, als die CDU in der Opposition und Merkel Parteichefin war. Aber ihre große Stunde sollte erst 2005 kommen.
Bild: picture-alliance/dpa/M. Jung
Knapper Wahlsieg
Bundestagswahl 2005: Der Wahlsieg der Union aus CDU und CSU gegenüber der SPD unter Bundeskanzler Gerhard Schröder war äußerst knapp. Die CDU mit Kanzlerkandidatin Angela Merkel hatte außerdem das schlechteste Ergebnis seit 1949 eingefahren. Keine guten Bedingungen für den Start der neuen Kanzlerin. Aber sie fasst schnell Tritt.
Bild: Stefan Sauer/dpa/picture alliance
Die neue Kanzlerin
Schließlich tun sich Union und SPD zu einer großen Koalition zusammen. Schröder gratuliert der frischgebackenen Kanzlerin Angela Merkel, die am 22. November 2005 im Bundestag zur ersten Frau, zur jüngsten Amtsinhaberin, zur ersten Ostdeutschen und zur ersten Naturwissenschaftlerin in dieses Amt gewählt wird.
Bild: picture-alliance/AP Photo/F. Reiss
Entspannte Gastgeberin
Merkel gewinnt schnell Souveränität. Beim G8-Gipfel 2007 empfängt sie die Staats- und Regierungschefs der sieben wichtigsten Industriestaaten und Russlands im Ostseebad Heiligendamm und scherzt mit US-Präsident George Bush (l.) und Russlands Präsident Wladimir Putin. Geopolitisch ist es eine weitaus heilere Welt als heute.
Bild: Toshifumi Kitamura/AFP/Getty Images
Farbenspiele
Auf die Blazerfarbe kommt es an. Die Farbe ihrer Hosen bleibt meist dunkel. Was sich ändert, ist der Blazer. Kenner meinen aufgrund dieser Farbe sagen zu können, in welcher Stimmung die Kanzlerin gerade ist oder welche Botschaft sie gerade vermitteln will.
Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Schreiber
Ach, diese großen Jungs!
Europapolitik im Herbst 2008: Angela Merkel hat für zwei Machos der europäischen Bühne, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy (vorn) und Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi, nur ein mildes Lächeln übrig. Dabei ist sie es, die hier beim Beginn der Finanzkrise sehr schnell zur unangefochtenen Nummer eins in der EU aufsteigt.
Bild: Getty Images/AFP/G. Cerles
Helfer oder Zuchtmeister?
Die Schulden vieler europäischer Staaten steigen immer mehr, der Euro gerät in Gefahr. Merkel stimmt umfangreichen Hilfen zu, verlangt aber im Gegenzug Sparmaßnahmen in den betroffenen Ländern. Das weckt vor allem in Griechenland bittere Erinnerungen. Griechische Zeitungen ziehen Parallelen zur deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg.
Bild: picture-alliance/dpa/O. Panagiotou
Keine Volkstribunin
Sie ist eine nur mäßig begabte Rednerin. Das Bad in der Menge liegt ihr nicht besonders. Sie wirkt oft spröde, erklärt ihre Politik zu wenig. Doch ihre nüchtern-pragmatische und bescheidene Art kommt bei vielen an. Sonst würde sie heute nicht die vierte Regierung führen.
Bild: picture-alliance/dpa/F. Gentsch
Mutti
Irgendwann wird sie Mutti genannt. Nicht die Mutter, sondern die Mutti der Nation. Das ist ein wenig spöttisch, oder auch liebevoll - und altmodisch: Mutti sagt heute kein Kind mehr. Die Mutti kümmert sich, bei ihr braucht man keine Angst zu haben. Die Kehrseite: Unter Mutti bleiben die Kinder immer Kinder. Nicht jedem gefällt das.
Bild: picture-alliance/dpa/U. Anspach
"Wir schaffen das"
Vielleicht kein anderer Satz von ihr hat so polarisiert wie "Wir schaffen das". Als sie 2015/16 die Grenzen für Flüchtlinge und Migranten offenhält, wird sie von den einen fast wie eine Heilige verehrt, von anderen heftig kritisiert. Die Spaltung in der Bewertung ihrer Flüchtlingspolitik hält bis heute an.
Bild: Getty Images/S. Gallup
"Person des Jahres" 2015
Das Magazin "Time" kürt Merkel 2015 zur "Person des Jahres", gar zur "Kanzlerin der freien Welt" für ihre Führungsstärke in schwierigen Situationen - von der Staatsschulden- bis zur Flüchtlingskrise.
Bild: picture-alliance/AP Photo/Time Magazine
Frauen unter sich
Sie ist die erste Frau im Kanzleramt. Zwar hat sie daraus nie ein großes Thema ihrer Politik gemacht. Trotzdem haben einige Frauen auch dank Merkels Förderung eine steile Karriere hingelegt, seien es (v. l.) Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU-Vorsitzende und dann Verteidigungsministerin), Ursula von der Leyen (EU-Kommissionspräsidentin) oder Julia Klöckner (Landwirtschaftsministerin).
Bild: picture-alliance/M. Schreiber
Staatsräson
Merkel ist diskret. Was sie politisch oder persönlich von schwierigen Staats- und Regierungschefs hält, darüber schweigt sie, gibt höchstens sehr verklausuliert Meinungen von sich. Der Umgang mit ihnen folgt der Staatsräson.
Bild: picture-alliance/C. Hartmann
Eitelkeit ist ihr fremd
Sie weiß, was ein Liter Milch kostet. Abgehoben ist Angela Merkel auch nach Jahren als Regierungschefin nicht. Zwar besucht sie hier 2014 zusammen mit ihrem chinesischen Staatsgast Li Keqiang einen Berliner Supermarkt. Sie wurde aber auch schon allein, sozusagen als Hausfrau, beim Einkaufen gesehen.
Bild: picture alliance/dpa/L.Schulze
Die Raute des Vertrauens
Nicht ganz klar ist, woher Merkel ihre berühmte Handhaltung hat. Sie selbst sagt, die Raute helfe ihr, den Oberkörper gerade zu halten. Eine weitergehende Botschaft liege nicht darin. CDU-Parteistrategen haben jedenfalls die Raute im Bundestagswahlkampf 2013 auf diesem übergroßen Plakat eingesetzt, um Vertrauen und Ruhe zu vermitteln.
Bild: picture-alliance/dpa/S. Simon
Merkel privat
Kaum etwas ist von Merkels Privatleben bekannt. Sie gibt wenig davon preis, vielleicht interessiert es die Leute auch nicht besonders. Man weiß zum Beispiel, dass Merkel und ihr Mann Joachim Sauer, Physiker wie sie, über Jahre Ostern auf der italienischen Insel Ischia verbringen. Während der Hochzeit der Pandemie ging das allerdings nicht.
Bild: picture-alliance/ANSA/R. Olimpio
Und dann kam Corona
Corona hat vieles verändert in Deutschland, nicht nur die Urlaubsrituale der Kanzlerin. Merkels ernste, teilweise ungewohnt emotionale Art dabei wurde teilweise kritisiert. Doch ihr Umgang mit der Pandemie hat ihr auch neue Beliebtheitsrekorde eingebracht.
Bild: Johanna Geron/Reuters
Nahender Abschied
Sie hatte schon Jahre vor der Bundestagswahl 2021 bekanntgegeben, dass sie nicht wieder kandidieren werde. Jetzt ist sie nur noch geschäftsführend im Amt, bis eine neue Regierung steht und ein neuer Bundeskanzler gewählt ist. Ist sie Mitte Dezember noch kommissarisch im Amt, hätte sie den bisherigen Rekordhalter Helmut Kohl knapp überholt.
Bild: picture-alliance/dpa
18 Bilder1 | 18
Alle drei Kandidaten wollen auch mehr Digitalisierung und mehr Klimaschutz, diesen aber mit einer starken Wirtschaft verbinden.
"Erkennbarkeit, Wählbarkeit, Erneuerung"
Bei allen Gemeinsamkeiten hat jeder seine besonderen Schwerpunkte: Laschet legt großes Gewicht auf soziale Gerechtigkeit und innere Sicherheit. Röttgen, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, fordert mehr Verantwortung Deutschlands in Europa und der Welt. "Wir sind die internationale Partei, die europäische Partei, die transatlantische Partei. Das müssen wir neu füllen", erklärte Röttgen vergangene Woche vor CDU-Funktionären. Merz gilt als Vertreter der Wirtschaft und steht für eine Stärkung des konservativen Profils; von ihm erwarten sich seine Unterstützer, dass er Wähler von der AfD zurückholt.
Der Trierer Politikwissenschaftler Uwe Jun bringt die Unterschiede auf die Formel: "Merz steht eher für mehr Erkennbarkeit der Partei, Laschet für Wählbarkeit in der politischen Mitte, Röttgen für Erneuerung."
Kein ewiger Merkel-Bonus
Eine weitgehend nahtlose Fortsetzung der Politik Merkels bekäme man vermutlich von Laschet. So hat der NRW-Landeschef die Kanzlerin in ihrer umstrittenen Flüchtlingspolitik ebenso vorbehaltlos unterstützt wie in ihrer Öffnung der Partei nach links. Vielleicht deshalb hat Merkel erkennen lassen, dass sie Laschet favorisiert.
Merz, der Kramp-Karrenbauer bei deren Wahl zur Parteichefin vor gut zwei Jahren nur knapp unterlegen war, würde die CDU vermutlich am meisten verändern. Er hat die Partei aufgefordert, aus dem Schatten Merkels herauszutreten. Sie habe der CDU durch ihr gutes Corona-Management hohe Umfrageergebnisse beschert. Aber, so Merz in einer CDU-Digitalkonferenz vor wenigen Tagen: "Wir werden am 26. September nicht aus Dank für die Vergangenheit gewählt, sondern mit Erwartungen und Hoffnungen für die Zukunft."
Anzeige
Knappes Rennen
Doch was will und was braucht die Partei - eher Erneuerung oder Fortsetzung der Merkel-Politik ohne Merkel? Uwe Jun glaubt, die Frage lasse sich nicht pauschal beantworten, das hänge von der Perspektive ab. Jedenfalls: "Die CDU hat sich in ihrem Selbstverständnis immer als wählerwirksame Regierungspartei verstanden. Nimmt man dies zum Maßstab, stellt Laschet das geringste Risiko dar."
Laschet ist der einzige, der im Moment ein Regierungsamt innehat. Merz hatte nie eins. Und Röttgen wurde 2012 von Merkel als Umweltminister spektakulär entlassen: Er war bei der nordrhein-westfälischen Landtagswahl als Kandidat krachend gescheitert, wollte sich aber seinen Berliner Ministerposten warmhalten, statt Oppositionsführer in Düsseldorf zu werden.
Die Frage der Regierungserfahrung scheint aber weder Laschet zu nützen noch den anderen zu schaden. Denn Merz liegt in den Umfragen mit knapp 30 Prozent vorn; Röttgen unter CDU-Wählern gleichauf mit Laschet bei rund 25 Prozent. Bei den Deutschen insgesamt ist Röttgen sogar an Laschet vorbeigezogen.
Die Deutschen wollen einen anderen
Das Entscheidende aber ist: In der Frage der Kanzlerkandidatur erreicht keiner von ihnen Spitzenwerte. Gesundheitsminister Jens Spahn, der offiziell Laschet unterstützt, steht auf der Beliebtheitsskala sehr viel weiter oben. Der erst 40-jährige schwule Politiker würde schon allein durch seine Person etwas Neues in die CDU bringen. Eine Kanzlerkandidatur schließt Spahn aus, aber nur für den Moment.
Und noch besser sieht es für einen Politiker aus, der gar nicht zur CDU gehört, sondern Chef der bayerischen Schwesterpartei CSU ist: 55 Prozent der Deutschen insgesamt und zuletzt sogar 80 Prozent der Unionsanhänger sehen den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder als guten Unions-Kanzlerkandidaten. Der sagt zwar immer wieder "Mein Platz ist in Bayern." Ob er sich aber verweigern würde, falls die CDU ihm die Kanzlerkandidatur anträgt, ist eine offene Frage.