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Wie Kenia seine Rechtsstaatlichkeit aufs Spiel setzt

Nikolas Fischer | Andrew Wasike Nairobi
19. Juli 2024

Tödliche Schüsse auf Demonstranten, Einschüchterung von Aktivisten und Medien: Verspielt Kenias Regierung gerade die rechtsstaatlichen Fortschritte, die das Land seit der Verfassungsreform gemacht hat?

Kenia | Proteste gegen den kenianischen Präsidenten William Ruto in Nairobi
Bei Protesten - wie hier am 16.07.2024 - greift die Polizei in Nairobi sehr hart durchBild: SIMON MAINA/AFP/Getty Images

Was seine Rechtsstaatlichkeit angeht, genießt Kenia im Vergleich zu seinen Nachbarn eigentlich einen guten Ruf. Auf dem "Freedom in the World"-Index der Nichtregierungsorganisation Freedom House hat es 52 von 100 Punkten und damit weit mehr als die meisten afrikanischen Länder. Doch die jüngsten Entwicklungen führen dazu, dieses Bild nachhaltig zu verändern. Auf den Straßen fordern Demonstranten lautstark den Rücktritt des Präsidenten. Polizeigewalt und Dutzende Tote schrecken sie nicht ab. Was ist passiert?

Massiver Widerstand gegen geplantes Steuergesetz

Am 13. Juni stellte die Regierung von Präsident William Ruto Pläne für ein neues Steuergesetz vor, das bereits Anfang Juli in Kraft treten sollte. Geplant waren unter anderem Steuererhöhungen auf Brot, Speiseöl, Hygieneprodukte für Frauen, Autos, Bankgebühren und Mobile Money. "Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat", sagt Stefan Schott, Projektleiter Ostafrika bei der Friedrich-Naumann-Stiftung in Nairobi, die der liberalen FDP nahesteht. Eine ganze Reihe neuer Abgaben waren dem bereits vorausgegangen, zudem waren die Lebenshaltungskosten durch hohe Nahrungsmittel- und Energiepreise immer weiter gestiegen.

Heftige Proteste gegen die Regierung in Kenia

02:29

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Am 25. Juni steckten Hunderte Menschen das Parlamentsgebäude in Nairobi in Brand. "Die Polizei hat sehr brutal reagiert und von den Dächern mit scharfer Munition auch auf friedliche Demonstranten geschossen", berichtet Schott im Gespräch mit der DW. 39 Demonstrierende sind dabei gestorben - so die Zahlen von Menschenrechtsaktivisten. Inzwischen richten sich die Proteste gegen die Regierung und den Präsidenten direkt.

"Ruto must go": Protest gegen die Korruption

Die jungen Leute fordern grundlegende Reformen. "Wir sagen Nein zur schlechten Regierungsführung", ruft Claudia Wairigia am 16. Juli in den Straßen Nairobis. Wie viele Demonstrierende gehört sie den Unter-30-Jährigen an - der Gen Z. "Damit unsere Kinder nicht die Last tragen, die wir durch Arbeitslosigkeit und Korruption tragen müssen!" Auch Rechtsanwalt Stephen Mbugua demonstriert: "Wir, die Anwälte, werden dafür sorgen, dass niemand in Gewahrsam genommen wird. Wir werden Sie kostenlos vertreten. Es ist an der Zeit, dass wir uns wehren und die Rechtsstaatlichkeit verteidigen!"

Stefan Schott, Friedrich-Naumann-Stiftung in NairobiBild: privat

Mit einer Doppelstrategie versuche Ruto, seine Macht zu sichern, sagt Stefan Schott. Zum einen gebe es die brutale Polizeigewalt. Diese sei nicht neu, sondern habe in Kenia "durchaus eine gewisse Tradition". Seit Präsident Daniel arap Moi in den 1990-er Jahren habe sie nie wirklich aufgehört.

Zum anderen versucht Ruto, den Protestierenden entgegenzukommen: Er hat das Steuergesetz inzwischen zurückgezogen und am 11. Juli nahezu sein gesamtes Kabinett sowie den Generalstaatsanwalt entlassen. Doch das reicht den Protestierenden nicht. Ruto selbst, sein Vizepräsident und der Außenminister sind weiter im Amt. Der Präsident strebt eine "Regierung der nationalen Einheit" an. Ob das gelingt, ist mehr als unklar.

Zum Teil, aber eben nur zum Teil, könne man die Steuererhöhungen mit den Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF) erklären, sagt Stefan Schott. Kenia ist hoch verschuldet und muss Auflagen erfüllen - heißt: die Staatseinnahmen erhöhen - um neues Geld vom IWF zu bekommen. Das könne aber kaum erklären, warum offenbar mit zweierlei Maß gemessen werde: "Teil dieses Steuerpakets war auch eine Steuerbefreiung für Hubschrauber und Privatflugzeuge - gleichzeitig mit der Erhöhung von Steuern auf Brot", so Schott.

"Wir wollen ihnen sagen, dass es mit ihrer Arroganz bald vorbei ist", ruft eine Frau beim Protest in Nairobi am 16. Juli. Der extravagante Lebensstil der Politiker steht im krassen Kontrast zur Armut großer Teile der Bevölkerung. Dabei hatte Präsident Ruto, bevor er im September 2022 ins Amt kam, Wahlkampf für die "Hustler", also die kleinen Leute, gemacht: Er wolle den Alltag derer verbessern, die täglich ums Überleben kämpfen, hatte er damals verkündet. Das hat er bis jetzt nicht geschafft.

Willkürliche Verhaftungen, Verschleppung von Aktivisten

Polizeigewalt gibt es in Kenia aber nicht nur bei Demos gegen die Regierung. Im Mai ging die Polizei im Dorf Uyombo brutal gegen die Bevölkerung und Umweltaktivisten vor. Phyllis Omido, Preisträgerin des Right Livelihood Awards 2023, und ihre Organisation "Center for Justice Governance and Environmental Action" (CJGEA) wollen dort den Bau eines Atomreaktors verhindern. Die kenianische Atombehörde hatte die örtliche Bevölkerung nicht an der Entscheidung beteiligt. Trotz friedlichen Protests reagierte die Polizei mit exzessiver Gewalt, verletzte mehrere Menschen und schoss in die Luft. Zwei CJGEA-Aktivisten wurden von der Polizei verprügelt und verhaftet.

Alternativer Nobelpreis für Kenianerin

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"Die Polizei drang in die Häuser ein und warf Tränengas auf Frauen und Kinder", sagt Phyllis Omido im Gespräch mit der DW. Sie selbst war zu der Zeit im Ausland und erfuhr, dass sie zur Verhaftung ausgeschrieben ist. Der Vorwurf: Sie habe die Gewalt in der Gemeinde angezettelt. Inzwischen ist die Aktivistin zurück in Kenia.

Ihre Anwälte fordern Beweise. Bis jetzt wurden diese nicht geliefert und auch noch keine Anklage erhoben. "Die kenianische Verfassung gibt den Bürgern das Recht, an der Entscheidungsfindung teilzunehmen", sagt Omido. "Und sie erkennt auch das Recht auf eine saubere und gesunde Umwelt an. Leider haben sich die meisten Verantwortungsträger noch nicht an die neue Verfassung gehalten. Sie stecken noch in den alten Zeiten fest, als Kenia eine Diktatur war."

Medien unter massivem Druck

Die aktuelle Krise geht auch an den Medien nicht vorbei. Kenia habe zwar durchaus noch eine lebendige freie Presse, sagt Stefan Schott von der Naumann-Stiftung. Doch die Medien stünden unter erheblichem Druck. Teilweise sei es wirtschaftlicher Druck, indem das Werbebudget der Regierung - eine wichtige Einnahmequelle - genutzt werde, um die Berichterstattung zu beeinflussen.

Journalisten protestieren in Nakuru gegen die Brutalität der Polizei (17.07.2024)Bild: James Wakibia/SOPA Images/ZUMA Press Wire/picture alliance

Jetzt häufen sich aber auch Fälle unmittelbarer Polizeigewalt: So wurde einer Journalistin des TV-Senders K24 zweimal ins Bein geschossen. "Sie wurde von der Polizei aus nächster Nähe angeschossen, obwohl sie wussten, dass sie eine Journalistin ist", ergänzt Phyllis Omido. Die Journalisten würden vor allem dann unterdrückt und eingeschüchtert, "wenn sie über Geschichten berichten, die sich auf Rechte und bürgerliche Freiheiten beziehen". Viele Medienmitarbeiter werden offenbar ohne triftigen Grund verhaftet. So auch der renommierte Journalist Macharia Gaitho. Er berichtete lokalen Medien, wie er morgens vor seinem Haus verfolgt und von der Polizei für mehrere Stunden festgehalten wurde.

"Wir wollen nicht, dass unser Land zusammenbricht"

Es gebe zwar niemanden, der die Polizei zur Rechenschaft ziehe, bemängelt Phyllis Omido. "Aber die Menschen sind sehr entschlossen, sich davon nicht abschrecken zu lassen - vor allem die Gen Z." Die landesweiten Demonstrationen sollen fortgesetzt werden.

"Ja, wir sind eingeschüchtert, aber wir werden nicht aufhören", sagt Claudia Wairigia. "Wir haben gelernt, dass wir als junge Menschen eine Stimme haben und Veränderungen bewirken können." Omido stimmt zu: "Sie haben etwas erreicht, was wir in unserer Generation nicht erreicht haben: das gesamte Kabinett nach Hause zu schicken. Es war ein Kabinett von Schurken, Dieben, Mördern und Vergewaltigern. Die Schlimmsten der Schlimmen saßen dort."

Die Polizei ist einsatzbereit: Demonstranten auf dem Weg zum Protest in NairobiBild: Thomas Mukoya/REUTERS

"Alle wollen, dass Ruto zurücktritt", so Omido. "Aber wir wollen nicht, dass unser Land zusammenbricht. Wenn das bedeutet, dass wir Ruto bis 2027 behalten müssen und dann zu den Wahlen gehen, dann denke ich, dass die Leute das tun werden." Claudia Wairigia sieht das ähnlich: "Ich glaube nicht, dass die Kenianer die Rechtsstaatlichkeit verlieren. Wir haben eine der friedlichsten Demonstrationen der Welt abgehalten. Die einzige Waffe, die wir haben, ist zur Wahl zu gehen und all diesen Schmarotzern, die uns unser Geld und unser Leben ausgesaugt haben, ein Ende zu setzen."

Aktuell sei das zwar "eine ziemlich traurige Situation", findet Phyllis Omido. "Aber wir glauben, dass dies eine Wiedergeburt Kenias ist. Und wir hoffen, dass wir, wenn Kenia wieder zusammengesetzt ist, die Fehler der Vergangenheit korrigieren werden."

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