Wie KI Japans Animationsindustrie verändert
20. Mai 2025
Als das japanische Zeichentrickstudio Ghibli unlängst Einblicke in die Funktionsweise seines KI-Filters gab, der jedes Foto oder Video in den Stil des beliebten Zeichners und Regisseurs Hayao Miyazaki verwandelt, brach im Internet eine hitzige Debatte los: Wo bleibt das Urheberrecht der Kunstschaffenden?
Das Studio Ghibli reagierte nicht direkt. Stattdessen machte ein Zeitungsinterview mit Miyazaki, dem Mitbegründer des Unternehmens und wohl berühmtesten Anime-Regisseur der Welt, die Runde. Darin sagte Miyazaki, er sei "zutiefst angewidert" von KI-generierten Inhalten. Sie seien eine "Beleidigung des Lebens". Gleichwohl hat die KI-Entwicklung in Japan seither große Sprünge gemacht.
Das 2019 novellierte japanische Autorenrechte-Gesetz wird weitgehend so ausgelegt, dass urheberrechtlich geschützte Materialien zur Schulung von KI-Tools verwendet werden können, ohne dass die Rechteinhaber zustimmen. Das KI-freundliche Gesetz ist damit deutlich liberaler ist als ähnliche Rechtsvorschriften in der EU oder den USA. Es zielt offenkundig darauf ab, KI-Investoren für das asiatische Land zu gewinnen.
Streit um Urheberrechte
Japans Künstlerinnen und Künstler sind aufgeschreckt. Einer Umfrage der Künstler- und Mediengewerkschaft "Arts Workers Japan"von 2023 zufolge sorgen sich 94 Prozent der Kunstschaffenden um die Verletzung ihrer Urheberrechte durch KI. Mehr als 25.000 Mitglieder nahmen an der Befragung teil. Japans staatliche Kulturbehörde stellte inzwischen klar, dass die gesetzliche Regelung nicht gelte, wenn "die Interessen des Urheberrechtsinhabers in unzumutbarer Weise beeinträchtigt" seien.
Ein globaler Anime-Boom hat den japanischen Markt auf ein Rekordhoch im Jahr 2023 getrieben. Bis zu 300 TV-Titel wurden produtiert, berichtet die Association of Japanese Animations.
Und die künstliche Intelligenz ist bereits Teil dieser Entwicklung. Der erste KI-gesteuerte Anime, "Twins Hinahima", wurde im März dieses Jahres veröffentlicht. Ein kurzer Anime-Clip mit dem Titel "The Dog & The Boy", der 2023 von Netflix veröffentlicht wurde, nutzte ebenfalls KI-generierte Grafiken.
Anime-Branche fehlen Leute
In der Anime-Industrie herrscht derzeit aufgrund der unattraktiven Arbeitsbedingungen ein Arbeitskräftemangel. Aus einem 2024 erschienenen Bericht der Nippon Anime and Film Culture Association geht hervor, dass die Beschäftigten überarbeitet und unterbezahlt sind; die Stundenlöhne liegen zum Teil unter dem japanischen Mindestlohn.
Der Einsatz von KI in Anime könne daher eine Lösung sein, um diese Lücke zu schließen, sagt der Anime-Experte Roland Kelts, Gastprofessor an der Waseda University School of Culture, Media and Society in Japan. "Die Bevölkerung schrumpft, und es gibt nicht viele junge Künstler. Außerdem werden sie schlecht bezahlt, und die Arbeit ist hart", so Kells zur Deutschen Welle.
K&K Design ist ein Anime-Produktionsstudio, das KI in seine Arbeit einbezieht und eine angepasste Version des Text-zu-Bild-Generators "Stable Diffusion" verwendet. Das Tool hilft bei der Farbgebung, beim Erstellen von Hintergründen und beim Umwandeln von Fotos und Videos in Anime - was viel Zeit und Mühe spare, sagt Hiroshi Kawakami, Vizepräsident von K&K Design.
Ein fünfsekündiger Anime-Clip, der normalerweise eine Woche Handarbeit erfordert, kann mit Hilfe von KI innerhalb eines Tages produziert werden, indem nur zwei Zeichnungen in das KI-Modell eingespeist werden, sagte er der DW. Etwa 60 Prozent der Künstlerinnen und Künstler in Japan haben einer Umfrage der Arts Workers Japan zufolge Angst, ihre Jobs durch KI zu verlieren. Dennoch meint Hiroshi Kawakami, dass KI eine "unterstützende" Rolle spielen könne und müsse, sie aber den Menschen nie ersetzen könne – etwa in den Bereichen "visuelles Urteil" oder bei der kreativen Ideenfindung.
Eine technologiefreundliche Kultur
"Studios produzieren Anime-Projekte für das Late-Night-TV, und KI kann bei der Produktion solcher Inhalte helfen", sagt Kelts. Er sieht darin keine Bedrohung für die Kreativität in Japan.
Die Aussicht, dass KI innerhalb weniger Jahre eine eigene Version von "One Piece" oder einer anderen erfolgreichen Manga-Serie erschaffen könnte, wird von den Japanern nicht unbedingt als Bedrohung angesehen, erklärt Kelts. "Im Shintoismus (der Staatsreligion Japans, Anm.d.Red.) haben alle Dinge einen 'Kami', also einen Geist … Daher haben die Japaner weniger Angst vor Robotik, KI und Technologie, da diese untrennbar mit der Natur verbunden sind."
KI ist ein globales Phänomen. Schon jetzt arbeiten die Filmindustrien vieler Länder mit der Technologie. Der kanadische Independent-Filmemacher Taylor Nixon-Smith etwa, der zu den Auswirkungen von KI auf die Filmindustrie forscht, sagt, er nutze Chat GPT, um Aufgabenlisten für die Vorbereitungen zu erstellen, Recherchen zu konsolidieren und Arbeitsverträge zu entwerfen. Die meisten Aufgaben im Filmgeschäft könnten jedoch nach wie vor nur von Menschen erledigt werden. "Man braucht immer noch einen Kostümdesigner, um Entwürfe zu erstellen, man braucht immer noch Einkäufer, die richtige Sachen für den Set besorgen, und man braucht immer noch Schneider, die die Kostüme so anpassen, dass sie den Schauspielern richtig passen", so Nixon-Smith im DW-Gespräch.
Was Hollywood-Insider erwarten
Anders sieht das Charlie Fink, ehemals Disney-Produzent und jetzt außerordentlicher Professor für filmische KI an der Chapman University in Orange, Kalifornien. Fink ist sich sicher, dass der Einsatz von KI zu einem "neuen goldenen Zeitalter für Hollywood" führen wird. Ein Zeitalter zudem, das "in hohem Maße demokratisiert" sein werde, "da jeder Einzelne für ein paar tausend Dollar einen Film drehen kann", so Fink im DW-Gespräch. Die Beteiligung von Hunderten von Menschen an der Produktion eines Live-Action-Films werde dann der Vergangenheit angehören. Derzeit stünden noch Schauspieler im Mittelpunkt der Produktion. Das werde sich ändern.
Die sich abzeichnende Bedrohung hat bereits 2023 zu Streiks von Hollywood-Schauspielern geführt, die sich gegen den mangelnden Schutz vor KI aussprachen.
Der "NO FAKES Act", der sich gegen nicht autorisierte KI-Nachbildungen richtet, wurde letzten Monat erneut in den US-Kongress eingebracht. Der Gesetzentwurf fand Beifall bei Unterhaltungsriesen wie Walt Disney, YouTube, der US-amerikanischen Gewerkschaft SAG-AFTRA, die Schauspieler, Journalisten, Sänger und Tänzer vertritt, und auch beim Softwareunternehmen OpenAI.
Für Fink ist der Aufstieg der KI unausweichlich. Er sagt voraus, dass sie langsam Schauspieler und Produzenten ersetzen wird, und schlägt vor, dem Spiel voraus zu sein, indem man lernt, KI zu nutzen: "Disruption bedeutet auch eine Chance."
Adaption aus dem Englischen: Anastassia Boutsko