Wie kriminelle Erpressung Kapstadts Wirtschaft lähmt
1. September 2025
Schutzgelderpressung sind bei Gesprächen mit Barbesitzern in Kapstadt kein besonders populäres Thema. "Man passt sich eben an", sagt ein Mann aus Ostafrika, der seinen Namen nicht nennen will. "Hier gelten die Gesetze der Straße."
Wie diese Gesetze aussehen, lernte der deutsche Bar-Besitzer Randolf Jorberg im Jahr 2015. Nachdem er erstmals öffentlich über die Erpressungspraxis in der Gastronomie-Branche sprach und sich weigerte zu zahlen, wird sein kongolesischer Türsteher Joe erstochen.
Zuvor hatten gutgekleidete Herren mit breiten Schultern seine Bar "Beerhouse" besucht. "Sie bieten dir Schutz für eine Gefahr an, die sie nicht wirklich beschreiben können", erklärt Jorberg. Ganz nett und offiziell, über eine Firma. Probleme gebe es erst, wenn man das Angebot nicht annehme.
"Wenn ich in Kapstadt wäre, würde ich mich das nicht trauen"
Während der Corona-Pandemie nahmen die Erpressungsfälle rapide zu. Weil Nachtclubs nicht mehr öffneten, wurden nun von Restaurants und Bars im Stadtzentrum Kapstadts Schutzgeldzahlungen gefordert. Jorberg geht erneut an die Öffentlichkeit – und verlässt das Land: "Wenn ich in Kapstadt wäre, würde ich mich das nicht trauen."
Bei Dreharbeiten der DW taucht zur selben Zeit der Mann vor dem Beerhouse auf, den Jorberg hinter der Erpressung vermutet: Nafiz Modack. Seine Sicherheitsleute sperren dafür für kurze Zeit Teile der Long Street mitten im Zentrum ab. Mit mehr als 10 Bodyguards gehen sie in das Lokal. "Ich musste nur kurz mit dem Manager sprechen", sagt Modack danach und verschwindet.
Wenige Monate später wird er verhaftet, sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Schuldig gesprochen wurde er im Juni für Korruption, doch hunderte weitere Anklagepunkte stehen aus, darunter Mord. Im November 2024 wird ein weiterer mutmaßlicher Kopf der Erpressungsbanden aus dem Verkehr gezogen: Mark Lifman stirbt im Kugelhagel vor einem Einkaufszentrum. Immer wieder gibt es im Gangmilieu Zusammenstöße und Kämpfe.
"Aber nur weil der Chef weg ist, heißt das nicht, dass das Geschäft tot ist", sagt Aron Hyman. Der Investigativ-Journalist recherchiert seit Jahren zur Unterwelt in Südafrika, mittlerweile arbeitet er für die Organisation Global Initiative Against Transnational Organized Crime (GI-TOC). "In Teilen Südafrikas kannst du kein Schlagloch mehr reparieren, ohne Schutzgeld zu zahlen. Es wird immer schlimmer – und greift in immer mehr Bereiche."
Schutzgeldforderungen in vielen Branchen
Das zeigen auch DW-Recherchen. Bauunternehmerin Mpho Moloi betritt ihre Baustelle in den Cape Flats in Kapstadt nur mit dutzenden schwer bewaffneten Sicherheitsleuten. "Gestern wollten wir hier Leute aus der Gegend einstellen – und wurden daran gehindert. Es ist nicht sicher." Eine Unternehmerin aus Ostafrika, die mehrere Uber-Taxis in Kapstadt betreibt, erzählt der DW, dass ihre Fahrer mehrfach Schutzgeld zahlen mussten.
Ein Bericht der GI-TOC beschreibt die Erpressungsindustrie in Kapstadt als systemische Bedrohung – eine Schattenwirtschaft, die weite Teile der realen Ökonomie infiltriert hat. Betroffen seien vier Hauptsektoren: das Nachtleben, die Bauwirtschaft, der Transportsektor und die Township-Ökonomie.
Gerade in den informellen Siedlungen sind die Opfer oft nicht südafrikanischer Herkunft: Unternehmende aus Somalia, Äthiopien oder Eritrea, die dort kleine Geschäfte betreiben und doppelt verwundbar sind: Sie werden nicht nur Opfer von Kriminalität, sondern auch Zielscheibe xenophober Hetze.
Anti-Erpressungs-Gipfel als Wendepunkt?
"Ende 2024 standen Infrastrukturprojekte mit einem Wert von mehr als 20 Millionen Euro (400 Millionen Rand) wegen Schutzgelderpressungen still", beklagt Alan Winde, der Premier der Provinz Westkap, beim ersten Anti-Extortion Summit, einem Gipfel gegen Schutzgelderpressung im Juni. "Das können wir nicht tolerieren."
Die Polizei setzt mittlerweile in mehreren Regionen des Landes spezielle Anti-Erpressungs-Teams ein. Zwischen April 2019 und März 2024 wurden der Polizei 6056 Fälle gemeldet, doch diese führten nur zu 178 Verurteilungen. Die Zahl der Verurteilungen und Festnahmen steige kontinuierlich an, sagt Shadrack Sibiya, nationaler Vize-Kommissar für Verbrechensaufklärung bei der Polizei. "Das Problem ist aber auch, dass die Opfer aus Angst oft nicht mit uns kooperieren." Wenige Wochen nach dem Summit wird Sibiya vorübergehend vom Dienst suspendiert, es gibt interne Ermittlungen gegen ihn.
Beim Gipfel bekräftigen die Akteure auch, enger zusammenarbeiten zu wollen. Es seien allerdings mehr Ressourcen zur Bekämpfung nötig, sagt auch Analyst Aron Hyman, und eine entschlossenere Reaktion. "Die kriminellen Netzwerke reichen oft bis ins Zentrum der politischen Macht."
Pandemie der organisierten Kriminalität
Südafrika hat ein massives Gewalt- und Kriminalitätsproblem. Im letzten Jahr gab es 26.232 Morde – im Schnitt 72 jeden Tag. Gangs, organisiertes Verbrechen und Drogenhandel spielen dabei oft eine Rolle. Als US-Präsident Trump bei einem Besuch vom Südafrikas Präsident von einem angeblichen Genozid an weißen Farmern sprach, lenkte der anwesende reichste Mann des Landes Johann Rupert ein: "Es gibt in allen Bevölkerungsteilen viel zu viele Tote" – und forderte Unterstützung im Kampf gegen die Kriminalität.
Ein Problem, das nicht nur Südafrika hat. Die GI-TOC spricht von einer "Pandemie der organisierten Kriminalität" in Afrika. Der ENACT Africa Organised Crime Index 2023 hebt dabei vor allem Menschenhandel, den wachsendenKokain-Markt und Finanz-Kriminalität als Problemfelder hervor. Der Bericht warnt außerdem, dass ausländische Akteure wegen der durchlässigen Grenzen auf dem Kontinent die Entwicklung beschleunigen.
Seit Jahren bekommen die Behörden global agierende kriminelle Netzwerke wie die nigerianische "Schwarze Axt" und die chinesischen Triaden nicht unter Kontrolle. Aber es gibt auch Erfolge: 2024 konnten bei einer global angelegten Operation von Interpol hunderte Mitglieder krimineller Gruppen aus Westafrika wie der "Schwarzen Axt" verhaftet werden, drei Millionen Dollar wurden sichergestellt. Im selbe Jahr lieferten Südafrika ein nigerianisches Mitglied der "Schwarzen Axt" in die USA aus, wo ihm wegen Betrug und Geldwäsche bis zu 20 Jahre Haft drohen.
Vorbild Italien
Was könnte die Lösung im Kampf gegen die Erpressungs-Welle in Kapstadt sein? Hyman spricht über das Vorbild Italien: In Sizilien entstand vor Jahren die erfolgreiche Initiative Addiopizzo ("Lebewohl an die Schutzgeldzahlung"), eine Graswurzelbewegung gegen die Mafia. Ihr Ziel: Sichtbarer, kollektiver Widerstand.
Auch in Kapstadt wächst langsam der Mut zur Gegenwehr, sagt Jorberg, dessen Beerhouse nach der Pandemie in finanzielle Schieflage geriet und mittlerweile geschlossen ist. Doch viele arrangieren sich zum Selbstschutz nach wie vor mit der aktuellen Lage. "Wenn die Polizei einfach ihren Job machen würde, gäbe es keine Probleme", sagt der Barbesitzer aus Ostafrika. Doch auch einzelne Polizisten seien Teil des boomenden Erpressungs-Geschäftes.
Klaus Beyer arbeitet unter einem Pseudonym