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Politik

Wie läuft die Kolonialismus-Aufarbeitung?

Daniel Pelz
23. April 2021

Völkermord, geraubte Kunstschätze, gestohlene Schädel: Die Debatte um die deutsche Kolonialvergangenheit in Afrika wird lauter. Vor vier Jahren hat die Bundesregierung Aufarbeitung versprochen. Wie weit ist sie gekommen?

Deutsch-Südwestafrika Holzstich Hererokrieg Hereroaufstand
Eine zeitgenössische Darstellung verherrlicht den Völkermord an den Herero Bild: picture-alliance/akg-images

Die Folgen des deutschen Kolonialismus kann Naita Hishoono jeden Tag sehen. Dazu muss sie nur einen Spaziergang durch Windhuk machen. Die deutsche Kolonial-Ära ist in Namibias Hauptstadt noch überall sichtbar: deutsche Straßennamen, deutsche Geschäfte, die in der Kolonialzeit erbaute Christuskirche. Und unter der Oberfläche, unsichtbar und doch präsent: der Völkermord an den Herero und Nama, von Deutschen begangen. In Namibia kennt dieses dunkle Kapitel der Geschichte jeder.

Ganz anders ist es, wenn Hishoono, Direktorin der NGO Namibia Institute of Democracy, in Deutschland ist. "Die Menschen in Namibia wissen über den Kolonialismus sehr gut Bescheid, weil wir ihn jeden Tag sehen und damit leben. In Deutschland kann man vergessen, dass das Land Kolonien hatte, weil man im Alltag davon nichts spürt", sagte sie unlängst auf einer Konferenz des Hamburger GIGA-Instituts für Afrika-Studien.

Bundesregierung ist sich der Problematik bewusst

Das weiß auch die Bundesregierung. "Lange haben wir uns in Deutschland der Illusion hingegeben, wir seien aus der Kolonialzeit mit einem blauen Auge davongekommen, die deutsche Kolonialzeit sei zu kurz gewesen, um wirklich großes Unheil anzurichten", räumte die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Michelle Müntefering, im November im Bundestag ein. Denn das deutsche Kaiserreich wurde erst relativ spät Kolonialmacht: Erst in den 1880er Jahren besetzte Deutschland die ersten Gebiete in Afrika, musste sie aber nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg abtreten.

Es dauerte gut 100 Jahre, bis sich eine deutsche Regierung dieser Ära stellen wollte. 2018 vereinbarten CDU/CSU und SPD im Koalitionsvertrag, die Kolonialvergangenheit aufzuarbeiten. Denn die Spuren sind noch immer sichtbar, auch wenn sie im Alltag kaum jemand wahrnimmt: Straßen und Denkmäler erinnern an deutsche Kolonialverbrecher. Ehemalige Kolonien erheben Ansprüche auf Kunstgegenstände in deutschen Museen, die während der Kolonialzeit geraubt wurden.

Einige Fortschritte

"Wir sind in dieser Legislaturperiode gut vorangekommen", so Staatsministerin Müntefering im November. Eine ganze Reihe Maßnahmen hat die Regierung tatsächlich umgesetzt: Die deutschen Museen haben sich Richtlinien gegeben, wie sie mit kolonialem Raubgut umgehen wollen. Eine zentrale Kontaktstelle dient als Anlaufpunkt für ehemalige Kolonien, die Gegenstände zurückfordern wollen. Auch die Politik verhält sich nicht länger passiv: Ende des Monats lädt Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) zu einem Treffen, um den Umgang mit den Benin-Bronzen zu klären. Die berühmten Kunstschätze gelten als koloniales Raubgut, Nigeria fordert die Rückgabe.

Die gestohlene Seele - Raubkunst aus Afrika

42:36

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Museen und Archive haben einige menschliche Gebeine zurückgegeben, die in der Kolonial-Ära nach Deutschland gebracht wurden - unter anderem für fragwürdige medizinische Experimente. Städte haben begonnen Straßen umzubenennen, die ehemalige Kolonialisten ehren. An diesem Freitag (23.04.) ist etwa die Wissmann-Straße in Berlin an der Reihe. Sie erinnerte bisher an Herrmann von Wissmann, der in Deutsch-Ostafrika einen Aufstand gegen die deutsche Kolonialherrschaft blutig niederschlug.

Trotzdem: "Kolonialismus ist in Deutschland noch immer ein Nischenthema und spielt auch in der Politik nur eine geringe Rolle", klagte die Namibierin Hishoono. Das zeigt sich zum Beispiel beim Umgang mit vielen Kolonialverbrechen. Seit 2015 verhandeln Deutschland und Namibia über eine deutsche Entschuldigung für den Völkermord an den Herero und Nama. Bisher ohne Ergebnis. Eine Resolution des Bundestages gibt es dazu nicht.

2018 gab Deutschland menschliche Gebeine an Namibia zurückBild: AFP/J. McDougall

Das ist auch in einem anderen Fall so. Im Februar forderte der tansanische Botschafter in Deutschland, Abdallah Possi, die Bundesregierung zu Verhandlungen über Wiedergutmachungen auf. Damit könne Berlin zeigen, "dass die Deutschen endlich Verantwortung für die Menschenrechtsverletzungen aus der Kolonialzeit übernehmen und das, was in der Vergangenheit in unserem Land passiert ist, wirklich ernst nehmen", sagte er dem Berliner "Tagesspiegel". Damit meinte Possi den sogenannten "Maji-Maji-Krieg" - einen Aufstand gegen die deutsche Kolonialherrschaft von 1905 bis 1907. Bis zu 250.000 Menschen sollen damals ums Leben gekommen sein.

Nach der Veröffentlichung im "Tagesspiegel" teilte das Auswärtige Amt mit, bisher sei die Regierung Tansanias nicht offiziell mit Forderungen an Deutschland herangetreten. Damit verschwand das Thema aus der Öffentlichkeit. Aus dem Parlament: Schweigen.

Kein Schwerpunkt im Unterricht

Experten sehen auch auf einem anderen Feld dringenden Handlungsbedarf: "Viele meiner Studenten wissen am Anfang ihres Studiums nichts über Afrika und den Kolonialismus. Andere sind sehr gut informiert, weil sie gute Lehrer hatten. In den Lehrplänen wird das Thema dagegen in ein bis zwei Stunden abgehandelt", sagte der Hamburger Kolonialhistoriker Jürgen Zimmerer auf der Konferenz des GIGA-Instituts. Auch die Namibierin Hishoono fordert, der Kolonialismus müsse endlich breiten Raum im Unterricht einnehmen. Das lässt sich aber nicht so einfach umsetzen: Für die Schulpolitik sind die einzelnen Bundesländer zuständig.

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