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Politik

Wie lebt es sich ohne Strom?

Gabriel González Zorrilla
12. März 2019

Wie ist das, wenn man im Dunkeln sitzt, wenn das Telefon still steht und die Küche kalt bleibt? In Venezuela hat sich der Stromausfall zu einem schier endlosen Horror entwickelt. Wäre dies auch bei uns möglich?

Venezuela Krise l Stromausfall
Fußgänger während des Stromausfalls in CaracasBild: picture-alliance/Xinhua/M. Salgado

Seit Donnerstagnachmittag legt ein gigantischer Stromausfall große Teile Venezuelas lahm. In Krankenhäusern herrschen chaotische Zustände. Die meisten Kliniken haben keine Generatoren, laut Angaben von Nichtregierungsorganisationen sollen schon 15 Dialyse-Patienten gestorben sein.

Über vier Tage ohne Strom überleben zu müssen, ist für die meisten Europäer absolut unvorstellbar. Kleinere Unterbrechungen der Stromversorgungen kommen auch in Deutschland vor. Am vergangenen Wochenende saßen wegen eines Sturms etwa 2300 Bürger in Mitteldeutschland einige Stunden im Dunkeln, ohne Telefon, Mobilfunk und Internet. Ende Januar mussten in Berlin sogar 30.000 Haushalte und 2000 Betriebe ohne Licht, Heizung und Telefon auskommen - für immerhin 30 Stunden. Aber vier, fünf Tage, wie in Venezuela? Könnte so etwas auch in Europa passieren?

Stromausfall in einem Krankenhaus in CaracasBild: AFP/M. Delacroix

"Ja", antwortet ohne zu zögern Herbert Saurugg. "Ich erwarte sogar, dass dies innerhalb der nächsten fünf Jahre geschieht." Der Österreicher beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der zunehmenden Komplexität der Stromnetze in Europa und ihrer länderübergreifenden Vernetzung. Saurugg warnt davor, dass die zunehmenden gegenseitigen Abhängigkeiten im europäischen Stromnetz einen totalen Blackout in Zukunft wahrscheinlicher machen.

Wachsende Schwankungen großflächige Blackouts wahrscheinlicher

"Der wahrscheinliche Auslöser wird eine Überlastung sein, weil das Gesamtsystem durch viele parallel laufende Schwankungen in der Auslastung immer instabiler wird", erklärt Saurugg. "Dann reicht schon eine Kleinigkeit, um einen Mega-Blackout auszulösen." Die Ursache für die Katastrophe, so Saurugg, liege dann aber nicht in dem Einzelereignis, sondern in einer riesigen Kettenreaktion.

Mit kleineren Stromausfällen, das heißt zeitlich und lokal begrenzten Unterbrechungen der Stromversorgungen, Menschen überall in der Welt leben. Größere Blackouts, also komplette Ausfälle der gesamten Stromversorgung bei denen Millionen von Menschen, vielleicht sogar länderübergreifend, über einen längeren Zeitraum betroffen sind, kommen aber auch vor und haben oft verhängnisvolle Konsequenzen.

Indien 2012: 600 Millionen Menschen ohne Strom. Bild: dapd

Die wachsenden Schwankungen in der Netzspannung erklären Experten unter anderem mit dem rapiden Zuwachs Erneuerbarer Energien: Wind- und Sonnenstrom können je nach Wetter in großen Mengen, aber kaum bedarfsabhängig erzeugt werden. Konventionelle Kraftwerke konnte das bisher aber kompensieren. Die großen Stromausfälle der Vergangenheit jedenfalls haben mit der volatilen Einspeisung neuer Erzeugungsarten wenig zu tun.

Blackouts sind ein weltweites Phänomen

Im März 2015 wurde in der Türkei wegen starker Schwankungen durch den Ausfall mehrerer Kraftwerke die Koppelung mit dem europäischen Stromnetz getrennt. 76 Millionen Menschen in der Türkei blieben für neun Stunden ohne Strom. Wegen eines historischen Blackouts mussten in Indien 2012 600 Millionen Menschen zwei Tage ohne Elektrizität auskommen. Und auch Europa blieb nicht verschont. Im November 2006 wurde in Norddeutschland eine Stromleitung über die Ems planmäßig abgeschaltet, um eine Schiffspassage zu ermöglichen. Durch die Überlastung der Ausweichleitung hatten zehn Millionen Europäer in Deutschland, Frankreich, Belgien, Italien, Österreich und Spanien für teilweise zwei Stunden keinen Strom.

Vorsorge für den Blackout: "Denken Sie einfach daran was sie zu einem Camping-Urlaub mitnehmen würden."Bild: Imago/A. Hettrich

Sind die Regierungen und Behörden nicht ausreichend vorbereitet? "Das Problem ist, das die Gesellschaft nicht ausreichend vorbereitet ist", sagt Herbert Saurugg. "Die breite Masse der Menschen lagert nichts zu Hause. Sie können ja jederzeit in den Supermarkt laufen und etwas kaufen." Keine Regierung oder Einzelorganisation könne eine solche Situation beherrschen, wenn die Bürger sich nicht selbst auch vorbereiten und einen Vorrat schaffen, um sich 14 Tage über Wasser zu halten.

Auch das deutsche Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) empfiehlt auf seiner Webseite eine Vorratshaltung für zehn bis 14 Tage. Die Ratschläge der Behörden wirken auf den ersten Blick beängstigend und wie Notfallmaßnahmen nach einem Atomschlag. "Viele Menschen sind sich beispielsweise nicht bewusst, dass die Wasserversorgung stromabhängig ist", sagt Saurugg.

Aufklärung tut Not

Was tut "der moderne Mensch", wenn Kühlschrank und Heizung ausfallen, wenn Telefon und Internet tot sind, Wasser und Licht fehlen? Saurugg: "Die meisten Menschen sind in einer solchen Situation spätestens nach vier Tagen nicht in der Lage sich selbst zu versorgen."

Vorräte sind wichtig, sagt Saurugg: "Man sollte einlagern, was den eigenen Ernährungsbedürfnissen entspricht"Bild: picture-alliance/Pixsell/D. Spehar

Und wie kann sich ein Bürger bestmöglich vorbereiten? "Das hängt von ihrem Lebensstil ab", sagt der Experte. Ein guter Leitfaden wäre die Antwort auf die Frage, was man auf einen Camping-Urlaub mitnehmen würde.

An oberster Stelle der Empfehlung der deutschen Behörde und des Experten steht Wasser. Drei Liter pro Person und Tag zum Trinken, Kochen und für die Hygiene sollte man einplanen. Nudeln und Reis eignen sich gut für eine lange Vorratshaltung. Da die Küche nicht einsatzfähig ist, wäre die Anschaffung eines Campingkochers ratsam. Kerzen und Taschenlampen mit ausreichend Batterien sind offensichtliche Helfer im Falle eines Stromausfalles. Weniger offensichtlich ist vielleicht ein ausreichender Vorrat an Bargeld, da auch Geldautomaten und Kartenlesegeräte ohne Strom nicht funktionieren.

Laut Herbert Saurugg sollte man sich aber nicht sklavisch an den Empfehlungen der Behörden orientierten und stattdessen die eigenen Bedürfnisse im Blick behalten: "Als Vegetarier würde ich keine Fleischkonserven einlagern."