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Politik

Wie mächtig ist der britische Premierminister?

Helena Kaschel
24. Juli 2019

Vom Brexit bis zum Irankonflikt: Die Wahl Boris Johnsons zum Nachfolger von Theresa May hat weitreichende Folgen für Großbritannien, die EU und die Welt. Doch welche konkreten Befugnisse hat er als Regierungschef?

Duell um die Downing Street - Boris Johnson
Bild: picture-alliance/dpa/AP/F. Augstein

Vor allem außenpolitisch steht Johnson mit dem Brexit und den Spannungen in der Golfregion vor immensen Herausforderungen. Keine Frage: Als britischer Regierungschef gehört er demnächst zu den mächtigsten Menschen der Welt. Wir nehmen das Amt genauer unter die Lupe.

Der "top job" und seine Grenzen

Wie die deutsche Bundeskanzlerin bestimmt auch der britische Premierminister im Rahmen seiner Richtlinienkompetenz die Ausrichtung der Regierungspolitik - oder, wie es auf der Webseite der britischen Regierung heißt: Er oder sie ist "letztendlich verantwortlich für die Politik und Entscheidungen der Regierung".

Der Mann oder die Frau in der 10 Downing Street ernennt die Minister des Kabinetts, ernennt oder bestätigt die Ernennung von Botschaftern und Geheimdienstchefs und beaufsichtigt die Arbeit der Ministerien und Regierungsbehörden.

Bis vor einigen Jahren hatte der Premierminister oder die Premierministerin außerdem die Befugnis, dem Staatsoberhaupt - also Queen Elizabeth II - die Auflösung des Parlaments und im Zuge dessen Neuwahlen vorzuschlagen. Diese Möglichkeit wurde durch ein 2011 eingeführtes Gesetz abgeschafft.

Sie geht, er kommt: Theresa May verlässt die 10 Downing Street, ihre Noch-Amtswohnung (Archivbild)Bild: Getty Images/L. Neal

Dass die politische Macht des britischen Regierungschefs alles andere als unbegrenzt ist, hat zuletzt das Chaos um den geplanten Austritt Großbritanniens aus der EU gezeigt. In der Regel kann sich der Premierminister als Vorsitzender der führenden Partei im britischen Unterhaus einer weitreichenden Entscheidungsgewalt sicher sein. Der erbitterte Streit um das von Theresa May mit Brüssel ausgehandelten Brexit-Abkommen, mit dem sie in einem zur Mehrheitsfindung unfähigen Parlament dreimal scheiterte, hat neue Fragen zur politischen Macht des Regierungschefs gerade in Krisenzeiten aufgeworfen. "Sie ist noch im Amt, aber nicht wirklich an der Macht", schrieb die BBC zwei Tage vor Mays Rücktrittsankündigung im Mai.

Die Queen ernennt - und kann entlassen (theoretisch)

Fans der Netflix-Serie "The Crown" wissen es - und auch der Spielfilm "The Queen" von 2006 zeigt die Tradition: Ist ein neuer Premierminister oder eine neue Premierministerin bestimmt worden, steht eine Audienz im Buckingham Palace an, wo die Queen offiziell den Auftrag erteilt, eine Regierung zu bilden. Da die Ernennung "at Her Majesty's pleasure" - nach dem Belieben ihrer Majestät - erfolgt, kann die Queen sie theoretisch jederzeit wieder rückgängig machen. In der Praxis entlässt sie den Regierungschef oder die Regierungschefin aber nur bei einem Rücktrittsgesuch.

Mit Knicks ins höchste politische Amt: Queen Elizabeth empfängt Theresa May im Juli 2016 im Buckingham PalaceBild: Reuters/D. Lipinski

Auch nach der Ernennung bleiben Premierminister/in und Monarch/in in regem Kontakt: Einmal die Woche treffen sich Regierungschef und Staatsoberhaupt und besprechen aktuelle politische Entwicklungen. Ist ein persönliches Treffen nicht möglich, wird telefoniert. Obwohl die Queen zu politischer Neutralität verpflichtet ist, hat sie während der streng vertraulichen Sitzungen laut der Webseite der königlichen Familie "das Recht und die Pflicht, sich zu Regierungsangelegenheiten zu äußern".

Geheime Briefe an die Royal Navy

Formell steht die Queen den Streitkräften des Vereinigten Königreichs vor, de facto übernimmt aber der Regierungschef die Aufgaben des Oberbefehlshabers. Als solcher darf nur er oder sie die Nutzung von Atomwaffen autorisieren.

Für den Fall, dass er bei einem feindlichen Atomangriff getötet wird, schreibt jeder Premierminister zu Beginn seiner Amtszeit streng geheime Briefe an die Kommandanten der vier U-Boote der Royal Navy, in denen sich die ballistischen Interkontinentalraketen des britischen Nuklearprogramms Trident befinden.

Das Atom-U-Boot HMS Vengeance nahe der schottischen Küste (Archivbild)Bild: Getty Images/Mod Crown/A. Linnet

Die Anzahl der möglichen Anweisungen in den sogenannten "letters of last resort" sei stark begrenzt, erklärte der Marinehistoriker Matthew Selig 2016 gegenüber der BBC. "Tun Sie nichts, leiten Sie einen Vergeltungsschlag ein, bieten Sie sich einem Verbündeten wie den USA an oder verwenden Sie Ihr eigenes Urteilsvermögen."

Bei einem Wechsel an der Spitze der Regierung werden die Briefe des ehemaligen Amtsinhabers ungelesen vernichtet.