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Musik

Wie man Rammstein lieben lernt

Rick Fulker
28. Mai 2019

Grandioser Auftakt von Rammsteins Europa-Tour in der Veltins-Arena in Gelsenkirchen. Wie ergeht es einem, der zum ersten Mal ein Rammstein-Konzert erlebt? DW-Musikredakteur Rick Fulker erzählt von seiner Feuertaufe.

Rammstein Konzert Gelsenkirchen Veltins-Arena
Bild: DW/R. Fulker

Ich bin seit Jahrzehnten Moderator und Produzent einer Radiosendung der Deutschen Welle mit klassischer Musik. So habe ich mich immer wieder mit dem Begriff "Kulturexport aus Deutschland" befasst. Beethoven und Bach sind hier wichtige Protagonisten. Die Band Rammstein gehört zu den erfolgreichsten Kulturexporten Deutschlands. Bis Anfang 2018 gingen 20 Millionen Tonträger der Band über die Ladentheke.

Was hat es mit der Band auf sich? Anlass genug, zu einem ihrer Konzerte zu pilgern. Aber nicht irgendein Konzert: Es war der Auftakt ihrer Europa Stadion Tournee in der Gelsenkirchener Veltins-Arena am 27. Mai.

Auffallend viel schwarz im PublikumBild: DW/R. Fulker

Zehn Tage zuvor erschien das neue Album mit dem Titel "Rammstein" und wurde innerhalb einer Woche 260.000 Mal in Deutschland verkauft: Es war der erfolgreichste Start des Jahrtausends. Schon Wochen zuvor wurde die Show dazu gehypt.

Was hat man aber bei einem Rammstein-Konzert zu erwarten? Spektakel, Skandal, Ulk, Feuer und vor allem Krach: So viel war schon bekannt. Einen Vorab-Hinweis erhielt ich beim Abholen der Pressekarte: Ohrenstöpsel wurden ihr beigelegt.

Schwarze Menschen und Tabubruch

Vor dem Konzert fiel mir auf, dass an diesem kühlen, bewölkten Abend fast alle Besucher schwarz bekleidet waren. Eine Frau trug eine blutüberströmte Baby-Puppe auf dem Rücken. Da wurde es mir etwas mulmig. Rammstein sind bekannt für ihre Tabubrüche: Nekrophilie, Kannibalismus und Inzest sind Themen, die in ihren Songs vorkommen. Wollen auch die Fans jedes Tabu brechen?

Rick Fulker freut sich mit ernster Miene auf die ShowBild: DW/R. Fulker

Ganz so schrecklich war es in der Arena mit ihren 62.000 Plätzen nicht - zumindest von oben gesehen, wo die Pressevertreter untergebracht waren. Nach einer kurzen Einspielung von Georg Friedrich Händels "Feuerwerksmusik" ging es im Vorprogramm verhältnismäßig manierlich mit dem Duo Jatekok aus Frankreich weiter: Die klassischen Pianistinnen Adélaïde Panaget & Naïri Badal spielten Stücke aus dem Album "Rammstein – XXI – Klavier". Bei zigfacher Verstärkung nahm der Klavierklang den dröhnenden, bedrohlichen Effekt eines typischen Rammstein-Songs an. Gleichzeitig zeigte das Duo, wie schön die oft melancholischen Melodien der Band sind.

Dann der Beginn

Die Show begann - und endete - mit einem KnallBild: DW/R. Fulker

Da sind sie: Frontmann Till Lindemann  in einem Silber-Outfit, Keyboarder Christian Lorenz in glitzerndem Gold, Schlagzeuger Christoph Schneider mit nacktem Oberkörper, dazu noch die Gitarristen Paul Landers, Oliver Riedel und Richard Kruspe. "Was ich liebe", ein Lied vom neuen Album, erklingt.

"Klang" ist aber ein unzureichender Begriff. Was die Band produziert, durchdringt Mark und Bein. Meine klassisch geschulten Ohren sind zwar nicht besonders empfindlich, ich setze aber die Ohrstöpsel ein, um zu hören, ob es einen Unterschied macht. Keinen. Tisch und Stuhl vibrieren mit, aber auch mein Körper: Ich nehme sogar meine inneren Organe wahr, auch sie vibrieren zum Beat.

Der Tisch, an der die Presse sitzt, vibriert mit - und alles andere auchBild: DW/R. Fulker

Dazu Nebel, Lichtstrahler und immer wieder Feuer auf der Bühne und in der Arena verteilt: Feuersäulen, die perfekt zum Rhythmus hochsprühen, so präzise gestaltet, dass sie wie wunderschöne Skulpturen wirken, die in weniger als einer Sekunde schon wieder verschwunden sind.

Dazu singt oder spricht Till Lindemann perfekt verständliche Liedertexte: Kein Wunder, dass Rammstein im Ausland auch wichtige Vermittler der deutschen Sprache sind.

Ekel und Humor

Neue und alte Songs werden gespielt. "Deutschland", das in der Videoversion 2000 Jahre deutscher (Kriegs-)Geschichte aufwendig abbildet, wird hier auf der abgedunkelten Bühne eher schlicht inszeniert: Die Bandmitglieder tragen beleuchtete Kostüme, die sie wie Strichmännchen erscheinen lassen. Beim Song "Puppe", wo es heißt: "Dann reiß' ich der Puppe den Kopf ab", schießt Lindemann mit einem Feuerwerfer auf einen riesigen Kinderwagen und setzt ihn in Flammen. Bei "Mein Teil", wo es heißt: "Man ist, was man isst", sitzt Christian Lorenz in einem Suppentopf und wird dort buchstäblich gekocht. Dafür wird das Lied "Diamant" ganz ohne Licht, Knaller, Feuer oder andere Effekte gesungen. Bei "Ohne dich" leuchten Zehntausende Feuerzeuge in der Arena: Sie wurden jedem Besucher beim Einlass mitgegeben.

Kinderwagen in FlammenBild: DW/R. Fulker

Irgendwann verbeugen sich die Bandmitglieder vorm Publikum. Das kann aber doch nicht das Ende sein! Ist es auch nicht. Nach ein paar Minuten tauchen die sechs Rammsteins zusammen mit dem Duo Jatekok auf einer gehobenen Plattform mitten in der Arena auf und spielen zusammen "Engel", dieses wunderschöne, traurige Lied - es war der erste kommerzielle Hit der Band im Jahr 1997. Dann steigen die Musiker einzeln in Schlauchboote, eins für jeden und werden vom Publikum auf Händen zurück zur Bühne befördert.

Die Zugaben machen einen erheblichen Teil der Show aus, bevor Lindemann mit einer Kanone Seifenblasen auf das Publikum schießt und die Bandmitglieder in einem Aufzug nach oben fahren. Dann ein weiterer Knall. Nach zweieinhalb Stunden ist die Show eindeutig vorbei.

Rammstein und Jatekok scheinen in der Arena zu schweben - wie "Engel"Bild: DW/R. Fulker

Die Show muss sein

Rammsteins Werke, obwohl stilistisch nicht sehr unterschiedlich, enthalten bezirzende Melodien und Harmonien, die ins Herz gehen. Ich habe immer behauptet: Diese Jungs könnten nur aus der Kultur gekommen sein, die auch Bach, Beethoven und Mozart hervorbrachten. Oft haben ihre Werke epische Größe.

Die Themen, die sie setzen, bilden das Leben ab, so wie es ist - auch wenn hier das Dunkle und Verstörende weitaus deutlicher als bei anderen Bands der so genannten "Neuen Deutschen Härte" zum Vorschein kommt. Rammstein muss immer wieder heftige Kritik einstecken. Dennoch, so finde ich, geht es bei der Band nicht um den Tabubruch als solchen. Die Jungs spielen mit Klischees, führen sie dem Publikum vor, werden manchmal missverstanden, regen Debatten an - und gefallen oder missfallen auf verschiedenen Ebenen. Kunst halt.

Große Bühne - große Show Bild: DW/R. Fulker

Man kann, wie ich, über die Musik den Zugang zu Rammstein finden. Aber um das Phänomen wirklich zu begreifen, muss man in die Show. Allerdings wohl erst bei der nächsten Tournee, denn diese, die bis zum 22. August andauert, ist größtenteils ausverkauft. Es gibt noch Karten für die Konzerte im britischen Milton Keynes, in Riga, St. Petersburg und für die beiden Konzerte in Wien.

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