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Politik

Wie man US-Wahlumfragen richtig liest

Michael Knigge
13. September 2016

Die Flut von täglich neuen Meinungsumfragen zur US-Präsidentschaftswahl ist häufig eher verwirrend als informativ. Deshalb bat die DW zwei Experten um Hilfe - beide haben einen einfachen Tipp.

USA Wahlkampf Hillary Clinton und Donald Trump
Bild: Reuters/D. Becker/N. Wiechec

DW: Täglich neue Umfragen zur US-Präsidentschaftswahl können dazu führen, dass sich Bürger überfordert statt informiert fühlen. Wie kann man schnell entscheiden, ob eine Umfrage relevant ist oder nicht?

Ken Goldstein: Die Antwort lautet, dies erst gar nicht zu versuchen. Sogar für einen "Nerd" wie mich ist es manchmal schwierig, eine einzelne Umfrage zu bewerten. Deshalb ist die Lehre daraus, sich auf die Durchschnittswerte von Umfragen zu konzentrieren und wegen einer einzelnen Umfrage nicht zu froh, zu traurig, zu aufgeregt oder beruhigt zu sein. Es gibt hier drei große Anbieter, die Durchschnittswerte bei Wahlumfragen veröffentlichen, nämlich Pollster, Real Clear Politics und Five Thirty Eight. Sie verwenden alle eine ähnliche, aber doch leicht unterschiedliche Methodologie, und sie fassen sämtliche Umfragen, in den Bundesstaaten wie landesweite Umfragen, zusammen.

Sam Wang: Der einfachste Weg besteht darin, Einzelumfragen zu meiden. Stattdessen sollte man sich auf drei Umfragen mit derselben Frage, die ungefähr im gleichen Zeitraum erhoben worden sind, konzentrieren. Dann bildet man den Mittelwert daraus, den sogenannten Median. Wenn beispielsweise die drei Umfragen ergeben, dass Trump mit zwei Prozentpunkten führt, Clinton mit drei Prozent führt und Clinton mit sieben Prozent führt, dann ist die genauste Schätzung, dass Hillary Clinton mit drei Prozentpunkten in Führung liegt.

Es gibt unterschiedliche Arten von Umfragen: zum Beispiel Umfragen auf nationaler oder einzelstaatlicher Ebene, Telefon- und Internetumfragen sowie solche unter wahrscheinlichen oder registrierten Wählern. Welche wichtigen Kategorien gilt es bei Umfragen zu beachten?

Ken Goldstein: Ich habe ganz bestimmte Vorlieben für bestimmte Methoden und Umfrageinstitute. Aber ich glaube, es ist unrealistisch zu erwarten, dass jemand, der dies einfach nur interessehalber verfolgt, sich damit befassen wird. Deshalb sollte man sich auf die Durchschnittswerte und das Gesamtbild konzentrieren. Während die Republikaner generell Trump und die Demokraten generell Clinton unterstützen, ist es wichtig zu wissen, dass die gesamte Volatilität, die man in den Umfragen sieht, von der Gruppe in der Mitte kommt: den unentschlossenen Wählern. Deshalb achte ich besonders - und dies sollten auch alle tun, die amerikanische Politik verfolgen wollen - auf das Verhalten dieser Wähler in der Mitte, denen beide Kandidaten sehr missfallen.

Sam Wang: Landesweite Umfragen, sofern man genug hat, um einen Mittelwert zu bilden, können die zurückliegenden Momente des Rennens widerspiegeln. Noch besser sind allerdings zusammengefasste Umfragen aus den Einzelstaaten. Beim Princeton Election Consortium zeigen wir einen einfachen Überblick über die letzten Einzelstaatenumfragen und was dies für das entscheidende Electoral College (Wahlmännergremium) bedeutet. Wir messen also ganz einfach die aktuelle Temperatur des Rennens. Es ist der transparenteste Schnappschuss, den es gibt.

Wenige Menschen (und Umfragen) haben das Ergebnis der britischen Brexit-Abstimmung und Trump als republikanischen Präsidentschaftskandidaten vorhergesagt. Wie verlässlich sind Umfragen zur amerikanischen Präsidentschaftswahl? Oder anders gefragt, sollten wir für eine Überraschung im November gewappnet sein?

Ken Goldstein: Es gab tatsächlich einige Umfragedesaster. Das schottische Referendum, die Wahl in Israel, das griechische Referendum, all dies waren Fälle, in denen die Durchschnittswerte der Umfragen daneben lagen. Aber die Umfragen zu Trump in der Vorwahl lagen nicht falsch. Das Problem waren nicht die Umfragen, das Problem war, dass die Leute den Umfragen nicht geglaubt haben.

Die Ironie ist: In einer Zeit, in der es so schwierig ist, Umfragen zu machen wie noch nie, gibt es so viele Umfragen wie noch nie. Wo die Umfragen falsch liegen können, ist, wenn sie falsch einschätzen, wer zur Wahl geht. Wenn Umfragen falsch sind, liegt dies also gewöhnlich daran, dass sie die Wählerschaft insgesamt falsch einschätzen. Die große Frage ist, ob die jungen Leute und die schwarzen Amerikaner zur Wahl gehen, um gegen Donald Trump zu stimmen, denn sie gehen nicht wählen, um Hillary Clinton zu unterstützen.

Sam Wang: Ihre Frage ist völlig falsch. Umfragen vor der Brexit-Abstimmung zeigten ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Leute, die glauben, die Umfragen hätten etwas anderes vorhergesagt, liegen falsch. Die Umfragen waren nicht schuld. Die Umfragen haben auch die Nominierung von Donald Trump vorhergesagt. Aufgrund der vorliegenden Beweise gehe ich davon aus, dass die Umfragen im November genauso richtig sein werden.

Ken Goldstein ist Professor für Politikwissenschaft an der University of San Francisco. Er ist außerdem als Wahlberater für ABC News tätig und hat jede nationale US-Wahl seit 1988 begleitet.

Sam Wang ist Professor für Molekularbiologie und Neurowissenschaft an der Princeton University. Er betreibt zudem das Princeton Election Consortium, ein auf die Meta-Analyse von Wahlumfragen spezialisiertes Blog.

Die Interviews führte Michael Knigge.

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