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Politik

Wie Menschen in Kiew die russische Invasion erlebten

Alexander Sawizkij
25. Februar 2022

Russland startet einen Krieg mit der Ukraine. Explosionen, Anspannung und überall Menschen- und Autoschlangen - doch die meisten Hauptstädter blieben erstaunlich ruhig. Tag eins des Krieges in Kiew.

Ukraine | Kiew - Einwohner verlassen die Stadt nach Luftangriff
Bild: Chris McGrath/Getty Images

Schon bald nach dem ersten Schock angesichts der Explosionen, die die Kiewer am 24. Februar gegen 5 Uhr morgens hörten, begannen einige Einwohner der Hauptstadt, hastig das Nötigste in ihre Autos zu laden und ihre Familien aus der Stadt zu bringen. Bereits um 6 Uhr bildeten sich im Süden und Westen Kiews Staus auf den Straßen. Die Polizei forderte die Menschen auf, bei Unfällen beschädigte Autos schnell an den Straßenrand zu ziehen und den Weg für die Evakuierung frei zu machen. Vor allem die Ausfallstraßen und die Autobahnen in Richtung Süden und Westen wurden für die Flucht vor der russischen Invasion genutzt.

Nach dem ersten Schock

Die in der Stadt verbliebenen Kiewer hörten den offiziellen Botschaften und Appellen von Präsident Wolodymyr Selenskyj und Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko aufmerksam zu. Der Bürgermeister versicherte, das Leben in der Hauptstadt gehe weiter, öffentliche Verkehrsmittel würden weiter fahren und seien für alle Fahrgäste kostenlos. Nur Schulen und Kindergärten seien geschlossen.

Vor Tankstellen bildeten sich lange SchlangenBild: Genya Savilov/AFP/Getty Images

Klitschko riet den Menschen, die nicht in wichtigen Objekten der Infrastruktur beschäftigt sind, zu Hause zu bleiben, zu schauen, wo der nächste Luftschutzbunker ist, sich auf die ukrainische Armee zu verlassen und Ruhe zu bewahren. Ähnliche Appelle richteten Präsident Selenskyj und die Abgeordneten des Parlaments an die Bevölkerung. Sie alle versicherten, dass sie in Kiew bleiben würden.

Sämtliche Politiker, die regelmäßig vor die Presse traten, erklärten ihre bedingungslose Unterstützung für den Oberbefehlshaber und die Führung der Streitkräfte der Ukraine. Im Büro des Präsidenten fanden fast ununterbrochen Briefings für die Presse statt. Doch am Nachmittag wurden die Journalisten gebeten, in ihre Redaktionen zu fahren. Mychajlo Podoljak, Berater des Präsidialamtsleiters, begründete dies mit Sicherheitserwägungen und sagte, er schließe die Landung russischer Truppen im Regierungsviertel nicht aus, um die ukrainische Regierung zu stürzen.

Angst, aber keine Panik

Am Vormittag waren so viele Menschen in der Metro, in Trolleybussen und Bussen zu sehen wie an einem normalen Arbeitstag. Wie angespannt die Lage war, zeigte sich aber an den langen Schlangen vor Geldautomaten, Apotheken und Supermarktkassen. Lebensmittelknappheit gab es nicht, die Stimmung in den Warteschlangen war ruhig, aber es waren viele ängstliche Gesichter zu sehen. Der Umgang zwischen den Menschen war höflich. Sie gaben gerne Interviews, wollten aber nicht namentlich genannt und auch nicht fotografiert werden - aus Sicherheitsgründen.

Lange Schlangen von Menschen auch vor GeldautomatenBild: Oleksandr Sawytsky/DW

Eine Frau mittleren Alters, die mehr als zwei Stunden an einem Geldautomaten anstand, sagte, sie glaube an die Zusicherungen der Nationalbank, dass der Nachfrage der Bevölkerung nach Bargeld nachgekommen werde, aber sie wolle mehr Geld abheben, um es Soldaten der Territorialverteidigung zu geben. Sie versicherte, keine Angst zu verspüren, weil sie vom Sieg der Ukraine überzeugt sei. "Dies ist unser Land, und wir werden es niemandem überlassen! Der Krieg dauert jetzt schon seit acht Jahren, und dies wird seine letzte Phase sein", sagte die Frau. "Ich habe eine hervorragende Treffsicherheit am Schießstand, und wenn nötig, bin ich bereit Militärwaffen in die Hand zu nehmen und zusammen mit Männern meine Stadt und meine Familie zu verteidigen."

Eine andere ältere Frau in einer Schlange vor einer Apotheke sagte, sie habe sich bereits am Geldautomaten angestellt, ihre Rente abgehoben und wolle sich nun mit Medikamenten und Lebensmitteln eindecken. "Nur für den Fall, dass das alles morgen plötzlich nicht mehr funktioniert oder die Terminals keine Bankkarte akzeptieren können", fügte sie hinzu. Die Frau sagte, sie kenne nicht genügend Schimpfworte, um ihre Haltung gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ausdrücken zu können. Sie bezeichnete ihn als "verrückt". Sie sei sehr verärgert darüber, dass Putin die freundschaftlichen Beziehungen zu den "drei brüderlichen Völkern" zerstört habe - zwischen den Ukrainern, Russen und Belarussen, unter denen sie auch Verwandte habe.

Zuspitzung der Situation

Gegen Mittag hörten die Menschen Explosionen in den westlichen Außenbezirken der ukrainischen Hauptstadt. Später erschienen in sozialen Netzwerken und in der Presse Bilder aus Hostomel, das zehn Kilometer von Kiew entfernt liegt, wo sich der Flugplatz des Flugzeugbau-Unternehmens Antonow befindet. Später wurde offiziell gemeldet, der Flugplatz sei von russischen Spezialeinheiten eingenommen worden. Dann wurde gemeldet, er sei nach Kämpfen von der ukrainischen Armee wieder zurückerobert worden.

Metrostationen in Kiew dienen den Menschen als LuftschutzbunkerBild: Oleksandr Sawytsky/DW

Gegen 15 Uhr begannen kleine Geschäfte, Cafés und Wechselstuben zu schließen. Eine Stunde später begann die Nationalgarde, die Brücken über den Dnjepr zu sperren. Zum gegenüberliegenden Ufer konnte man von da an nur noch mit der Metro gelangen. Mit Einbruch der Dunkelheit wurde der Verkehr auf den Straßen immer weniger. Auch die Zahl der Menschen ging zurück. In der Abenddämmerung zeigte sich, dass in Wohngebäuden deutlich weniger Fenster beleuchtet waren. Kleine Gruppen von Männern versammelten sich in Innenhöfen im Stadtzentrum, um neueste Nachrichten auszutauschen. Interviews gaben sie ungern. "Ich muss überlegen, wie ich meine Familie beschützen kann, und nicht Interviews geben. Sie sehen doch, was passiert", sagte einer von ihnen.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

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