Wie Milei Argentinien jetzt neu aufstellen will
29. Oktober 2025
Drinnen wird fleißig gearbeitet. Ein neuer Anstrich, die Hausnummer wird fein säuberlich neu aufgemalt, das Mobiliar neu ausgerichtet. Vor dem Restaurant auf der Avenida Boedo im Herzen von Buenos Aires steht ein handgemaltes Plakat mit der Botschaft: "Wir wissen nicht, wann sie öffnen".
Irgendwie steht das auch sinnbildlich für die argentinische Volkswirtschaft nach den Parlamentswahlen am Wochenende. In den Maschinenräumen der Ökonomie wird gearbeitet, vorbereitet und neu sortiert, nur wann der Motor dann tatsächlich zündet, weiß im Moment noch niemand so richtig.
Der überraschend deutliche Wahlsieg der libertären Bewegung "La Libertad Avanza" um Präsident Javier Milei beim Urnengang für die Abgeordnetenkammer und den Senat hat die Karten neu gemischt. Die argentinische Wirtschaft nahm die Ergebnisse euphorisch auf.
Der Börsenindex Merval stieg innerhalb des ersten Tages um rund 21 Prozent, am zweiten Tag nach den Wahlen noch einmal um rund fünf Prozent. Auch der breiter gefasste MSCI Argentinien Index, an dem sich vor allem internationale Investoren orientieren, hat in den vergangenen Jahren ein wahres Kursfeuerwerk gezeigt.
Wirtschaft sieht Mileis Sieg als Wendepunkt
"Der Sieg der Regierungspartei markiert einen Wendepunkt. Von nun an ist es entscheidend, Räume für den Dialog zu schaffen und einen Konsens zu bilden, um die von der Gesellschaft geforderten Strukturreformen voranzutreiben", sagt Franco Marconi vom wirtschaftsliberalen Think Tank "Fundacion Libertad y Progreso" im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Aus der Wirtschaft heraus kommen vor allem zwei Forderungen in Richtung Politik: Reformen und die Suche nach einem politischen Konsens in den beiden Kammern des Kongresses. Das war bislang nicht Mileis Stärke.
"Die ersten Marktreaktionen zeigen, dass das Investitionsrisiko nun deutlich niedriger eingeschätzt wird - wenn auch von einem hohen Niveau aus. Damit es weiter sinkt, müssen jetzt die entscheidenden Reformfelder angegangen werden: Renten, Steuern, Arbeitsrecht und das komplizierte Geflecht der Aufgaben- und Finanzverteilung zwischen Nation und Provinzen", sagt Ökonom und Wirtschaftsberater Carl Moses im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Wie reagiert Europa?
Abgesichert werde der Reformkurs durch die massiven Finanzhilfen der US-Regierung: "Trump will damit nicht nur einem ideologisch nahestehenden Reformpräsidenten helfen, sondern zugleich den amerikanischen Einfluss in Lateinamerika festigen - vor allem, aber nicht nur gegenüber China", sagt Moses.
Für Europa bedeute dies: "Wenn die EU da mithalten will, ist die rasche Inkraftsetzung des EU-Mercosur-Freihandelsabkommens die beste Antwort. Auch für Argentinien wäre das ein wichtiger Katalysator, der eine neue Investitionswelle auslösen könnte."
Drei wichtige Strukturreformen peilt die Regierung an: Eine Arbeitsmarkt-, eine Steuer- und eine Rentenreform. Präsident Javier Milei hat die Provinzgouverneure zu Gesprächen eingeladen, um die Reformprojekte voranzutreiben. "Ab dem 10. Dezember werden wir den reformwilligsten Kongress in der Geschichte haben", hofft Milei zudem auf die neuen Kräfteverhältnisse. Seine Aufgabe wird es jetzt sein, innerhalb des Kongresses neue Bündnisse zu schmieden, die in politische Mehrheiten münden.
Die Arbeitsmarktreform hat vor allem das Ziel, Jobs des informellen Sektors in formelle Beschäftigungsverhältnisse umzuwandeln und hat dabei direkte Verhandlungen zwischen Arbeitnehmern und Unternehmen im Blick. Dadurch sollen Arbeitskosten und Rechtsstreitigkeiten reduziert werden. "Ziel ist es, Millionen von Arbeitnehmern, die derzeit ausgeschlossen sind, wieder in den formellen Arbeitsmarkt zu integrieren", heißt es in einem Strategiepapier des wirtschaftsliberalen Think Tanks "Fundacion Libertad y Progreso".
Die Steuerreform sehe eine Vereinfachung des Steuersystems und eine Neudefinition der Steueraufteilung vor, um Steuerbefugnisse zurückzugeben und die Autonomie der Provinzen zu stärken. So entstehe ein Steuerwettbewerb und eine stärkere Ausgabenverantwortung. Die Rentenreform ziele darauf ab, die Nachhaltigkeit des Systems durch die Korrektur von Privilegien und Transparenz bei der Verwendung der Beiträge zu gewährleisten.
Milei muss das Gespräch suchen
Mit der Stärkung durch den klaren Wahlsieg dürfte es Präsident Milei nun deutlich leichter fallen, Mehrheiten für die großen Reformen zu finden, sagt Ökonom Carl Moses, der seit Jahren die volkswirtschaftliche Entwicklung des Landes aus Buenos Aires beobachtet. Milei habe angekündigt, mit den Gouverneuren zu sprechen. Diese sind nach ihrem gescheiterten Versuch, sich als eine dritte Kraft im politischen Spektrum zu etablieren, selbst geschwächt." Wenn Milei sie einbinde, statt sie aus dem Spiel zu drängen, könnte er tatsächlich die strukturellen Reformen auf den Weg bringen, die Argentinien brauche, sagt Moses.