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Wie Moskau den Sieg im Zweiten Weltkrieg instrumentalisiert

9. Mai 2025

Mehr als 25 Millionen Sowjetbürger starben im Zweiten Weltkrieg. Bis heute wird der Sieg über Nazi-Deutschland in Russland als Familienfest gefeiert. Aber auch der Staat nutzt ihn, um seine Ideologie zu festigen.

Putin inmitten von teils uniformierten Zuschauern der Parade
Putin beim Tag des Sieges im Jahr 2023 auf dem Roten PlatzBild: The Kremlin Moscow/Handout/picture alliance

Babys in Militäruniform, Kleinkinder in Papppanzern, Grundschüler im Gleichschritt. Während die große Militärparade auf dem Roten Platz in Moskau an diesem 9. Mai noch bevorsteht, feiern vor allem die kleinen Russen in anderen Städten schon vorab den 80. Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland. Der Fantasie ihrer Eltern und der staatlichen Veranstalter sind dabei offenbar keine Grenzen gesetzt. 

Im sibirischen Kemerowo werden Neugeborene in einem Entbindungsheim als Infanteristen verkleidet: mit einer Feldmütze auf dem Kopf, eingewickelt in olivgrünen Schlafsack. "Macht mit!" - ruft die Heimleitung im Netz auf. Die "rührende" Verkleidung soll die "Verbindung von Generationen" symbolisieren. "Denkt daran, dass selbst der kleinste Bürger Russlands ein Teil der großen Geschichte ist." 

Zur gleichen Zeit ziehen hunderte Kindergartenkinder mit selbstgebastelten Militärfahrzeugen und Flugzeugen durch ein Wohnviertel im zentralrussischen Woronesch. Minderjährige Trommlerinnen mit weißen Haarschleifen begleiten die Zeremonie mit militärischen Klängen.

Identitätsstiftende Ideologie

Im fernöstlichen Wladiwostok marschieren mehr als anderthalbtausend Jungen und Mädchen der Unterstufe durch die Innenstadt als "Urenkel des Sieges". Gouverneur Oleg Koshemjako nimmt die "erste Kinderparade der Region" persönlich ab und verkündet, dass an der Spitze der Kinderkolonnen Teilnehmer der Kämpfe in der Ukraine stünden: "Heute marschieren Kinder, deren Väter an der Front kämpfen, in Paradekolonnen. Wir sind zu Recht stolz auf den Mut und die Tapferkeit unserer Kämpfer und wissen genau, dass der Feind wie im fernen Jahr 1945 besiegt wird." 

Der 9. Mai, der in Russland als "Tag des Sieges" seit achtzig Jahren in russischen Familien aufrichtig und mit persönlichen Erinnerungen gefeiert wird, dieser "Tag des Sieges" sei vom Staat immer mehr für seine identitätsstiftende Ideologie benutzt worden, stellt der aus Russland stammende Politikwissenschaftler Alex Yusupov von der Friedrich-Ebert-Stiftung im DW-Gespräch fest. 

Soldaten bereiten sich am Wochenende auf die große Militärparade in Moskau vorBild: Pavel Bednyakov/AP Photo/picture alliance/dpa

Der Kreml habe es in den vergangenen zwei Jahrzehnten gelernt, diesen Tag "zu militarisieren oder besser gesagt, zu aktivieren, denn er hat sich in das kollektive Gedächtnis vieler Russen als etwas eingeprägt, das das Land tatsächlich geeint hat. Er ist zu einem Mobilisierungsinstrument für das Regime geworden." 

"Fest mit Tränen in den Augen"

Der Kreml nutze vor allem runde Daten, wie das diesjährige 80. Jubiläum, um historische Parallelen zwischen der Sowjetunion als Sieger im Zweiten Weltkrieg und dem heutigen Russland und der heutigen russischen Regierung zu ziehen und ihre Stärke und Legitimität zu demonstrieren.

Auch der in Moskau lebende Politikwissenschaftler Ilja Graschenkow vom "Zentrum für Entwicklung der regionalen Politik" unterstreicht gegenüber der DW, wie wichtig der "Tag des Sieges" nicht nur für russische Familien, sondern vor allem für den russischen Staat sei: "Der Staat hat in den vergangenen zwanzig Jahren alles dafür getan, fester Bestandteil dieses Festes zu sein. Für Putin ist der Sieg im Zweiten Weltkrieg eine Konstante, auf die sich die ganze russische Staatlichkeit stützt und deren Teil er selbst als Präsident ist." 

Dabei bleibe der 9. Mai für Millionen einfache Menschen "ein Fest mit Tränen in den Augen", ergänzt Graschenkow und erinnert daran, dass das heutige Fest nach dem Krieg jahrelang ein Tag der Trauer ganz ohne Militärparade war. 

Probe Ende April für die Militärparade zum Tag des SiegesBild: Alexander Zemlianichenko/AP Photo/picture alliance/dpa

Die Parade ist für den in Israel lebenden unabhängigen Politikexperten Abbas Galjamow in Zeiten des Krieges mit der Ukraine eigentlich "überflüssig". "Die Parade ist ein Kriegsersatz. Die braucht man in Friedenszeiten, wenn die Armee nicht gerade kämpft, sich aber trotzdem zeigen will", sagt er gegenüber der DW. Da aber Russlands Armee seit drei Jahren ihre großen Kriegsziele noch immer nicht erreicht habe, sehe die Parade in Moskau "unseriös" aus: "Vor 2022 haben alle gedacht, Russland sei deutlich stärker als die Ukraine. Auf einmal stellt sich heraus, dass das nicht stimmt. Von einer qualitativ hochwertigen Kriegskunst kann keine Rede sei."

"So international wie möglich aussehen"

Parallelen zum Krieg in der Ukraine, die etwa bei der "ersten Kinderparade der Region" in Wladiwostok gezogen wurden, erwartet Ilja Graschenkow auch bei der bevorstehenden Militärparade in Moskau, aber sie würden keine herausragende Rolle spielen. Für Präsident Putin sei es wichtig, die Feier "so international wie möglich aussehen zu lassen."

Ehrengast: Chinas Präsident Xi Jinping nimmt an den Feierlichkeiten in Moskau teilBild: Yuri Kochetkov/Pool Photo/Pool EPA/AP/picture alliance

Die zu erwartenden ausländischen Staatsgäste würden aber vor allem kommen, um den historischen Sieg von 1945 zu feiern: "Botschaft des 'Tages des Sieges' ist, dass Russland einen sehr hohen Preis für den Frieden in Europa gezahlt habe. Putin wird sicherlich jenen Sieg von 1945 auf die heutigen Kampfhandlungen in der Ukraine projizieren. Er wird aber keinen großen Akzent darauf legen."

Abbas Galjamow nennt die Parade "ein universelles Instrument" sowohl für die Außenwelt als auch für die russische Gesellschaft selbst: "Die Propagandisten werden erzählen, dass sie die ruhmreichen Traditionen der Helden des Sieges von 1945 fortsetzen. Die russische Gesellschaft wird sich von diesen Erzählungen aber kaum beeinflussen lassen."

Eine Panzerattrappe in MoskauBild: picture alliance/dpa

Zu gewollt seien die Parallelen zwischen damals und heute, findet Galjamow, zu offensichtlich sei der Vergleich zwischen dem Zweiten Weltkrieg und dem heutigen Krieg in der Ukraine nicht zugunsten des Kremls: "In den letzten drei Jahren haben die Russen nicht einmal in den Regionen volle Kontrolle, auf die sie Anspruch erheben, ganz zu schweigen von der Einnahme Kyjiws." 

Dennoch werde die Moskauer Elite am 9. Mai 2025 in bester Siegeslaune sein, erwartet Abbas Galjamow. Und Alex Yusupov ergänzt: "Wir werden eine Menge Show sehen. Wir werden eine Menge Statements hören. Wir werden eine Menge Fernsehsendungen erleben." Und der Kreml werde sich bemühen zu zeigen, dass Russland heute die gleiche gute Macht auf dem Planeten sei wie vor achtzig Jahren.

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