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PolitikAfrika

Wie NGOs in afrikanischen Konflikten unter Druck geraten

Martina Schwikowski
27. August 2021

Kamerun und Äthiopien haben die Aktivitäten internationaler Hilfsorganisationen in den letzten Monaten eingeschränkt. Für die Zivilbevölkerung könnte das fatale Folgen haben – doch was steckt dahinter?

Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen in Afrika
Ärzte ohne Grenzen ist in vielen afrikanischen Ländern aktiv (Archivbild)Bild: Mohamed Dayfour/MSF

Hilfsorganisationen geraten in afrikanischen Krisenregionen zunehmend unter Druck. Zum Beispiel in Kamerun: Im August zog Ärzte ohne Grenzen (MSF) seine Teams aus dem Nordwesten des Landes zurück. 

Beobachter fürchten, dass sich die humanitäre Lage dadurch weiter verschlimmern wird. Seit Jahren tobt im Nordwesten Kameruns ein blutiger Konflikt zwischen Regierungstruppen und Separatisten, die für die Unabhängigkeit der Region eintreten. 

Viele Krankenhäuser in zerstört

Die Folge: Krankenhäuser wurden niedergebrannt, das medizinische Personal zur Flucht gezwungen. Nur wenige staatliche Gesundheitszentren und Missionskrankenhäuser seien in den ländlichen Gebieten noch in Betrieb, sagte DW-Korrespondent Jean Marie Ngong Song.

Kamerunische Sicherheitskräfte und Separatisten sind in einen blutigen Konflikt verwickeltBild: Marco Longari/AFP/Getty Images

Viele Menschen sind wegen des Konflikts nicht in der Lage, ihre Krankenhausrechnungen zu bezahlen. "Der Weggang von MSF wird die Belastung für unser Krankenhaus verdoppeln", sagt Denis Nsame, Leiter des Krankenhauses der Stadt Bamenda zur DW. Nach seinen Angaben leidet die Klinik seit 2018 unter unbezahlten Rechnungen in Höhe von 72 Millionen CFA-Francs (umgerechnet rund 110.000 Euro). Vor allem Binnenvertriebene können die Behandlung nicht zahlen. 

Für Menschen wie Joseph Nfor ist der Weggang von MSF ein herber Rückschlag. Sein Sohn wurde von einem Militärfahrzeug überfahren. Nfor hoffte, dass die Organisation ihm bei den Rechnungen helfen würde. "Ich mache im Krankenhaus viel durch und habe kein Geld mehr. Jetzt weiß ich nicht, was ich tun soll", sagt er zur DW. 

Der Rettungsdienst kommt nicht mehr

Marceline Tsimi profitierte vom Rettungsdienst, den MSF bis Dezember in der Region anbot. Sie lag in den Wehen, doch die Sicherheitslage sei zu unsicher gewesen, um ins Krankenhaus zu fahren. "Ärzte ohne Grenzen kam innerhalb kürzester Zeit und brachten mich ins St. Mary Krankenhaus, wo sie mein Baby zur Welt brachten", erzählt sie der DW. 

Rettungsdienst in Kamerun (Archivbild)Bild: Joel Kouam/AP Photo/picture alliance

Seit Dezember 2020 hatte MSF seine Aktivitäten in der Region auf Anweisung der Regierung einstellen müssen. Als Grund sei die Notwendigkeit genannt worden, die Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium zu klären, teilt MSF auf DW-Anfrage schriftlich mit. Inoffiziell gehe es aber um den Verdacht, dass "wir den nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen im Nordwesten zu nahe stehen und sogar mit ihnen konspirieren", schreibt MSF. Die Hilfsorganisation habe versucht, den Vorwurf transparent aufzuklären - ohne Erfolg. 

Ähnlich in Burundi: 2019 musste die Hilfsorganisation "Handicap International" (HI) auf Anweisung der Regierung ihre Arbeit nach 26 Jahren einstellen. Die Regierung verlangte von allen ausländischen Hilfsorganisationen, 60 Prozent ihrer einheimischen Mitarbeiter aus der Volksgruppe der Hutu und 40 Prozent aus Tutsis zu rekrutieren. HI, aber auch andere Hilfsorganisationen, zogen ab.

Falschinformationen veröffentlicht?

Ein anderer Fall: Im Juli suspendierte die äthiopische Regierung suspendierte alle Aktivitäten der Nichtregierungsorganisationen Norwegischer Flüchtlingsrat (NRC), MSF Holland und Al Maktoume Foundation zunächst für drei Monate. Hauptvorwurf: Sie hätten ausländische Mitarbeiter ohne Arbeitsgenehmigung beschäftigt und Falschinformationen in Sozialen Medien veröffentlicht. 

Laut UN brauchen über fünf Millionen Menschen in Tigray HilfeBild: Ben Curtis/AP Photo/picture alliance

Schon lange tobt in den sozialen Netzwerken ein Kampf zwischen beiden Konfliktparteien um die Deutungshoheit über den Konflikt in Tigray. "Die Regierung hat Angst, den Propaganda-Krieg zu verlieren. Sie denkt, die internationale Gemeinschaft hilft der TPLF-Propaganda [Volksbefreiungsfront von Tigray]", sagt der äthiopische DW-Kolumnist und Analyst Befekadu Hailu.

Jeder aggressive Versuch der internationalen Gemeinschaft auf mehr Hilfsaktionen zu drängen, könnte als Unterstützung der TPLF gesehen werden, sagt Hailu. Er befürchtet, dass der Rausschmiss der NGOs eine größere Fluchtbewegung in der Region auslösen könnte.

Über fünf Millionen Menschen könne sich nach UN-Angaben dort nicht selbst ernähren. Schon Ende Juli forderten die UN deshalb mehr Unterstützung von der äthiopischen Regierung: "Wir haben eine ganz konkrete Bitte an die äthiopische Regierung: Sie muss den humanitären Organisationen die Einfuhr zusätzlicher Kommunikationsmittel gestatten und den NGO-Mitarbeitern längerfristige Visa ausstellen. Das ist von entscheidender Bedeutung. Wir brauchen diese Dinge, um arbeiten zu können", sagt Jens Laerke, Sprecher des UN-Büros zur Koordinierung humanitärer Hilfe.

Mitarbeit: Jean Marie Ngong Song und Befekadu Hailu