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Kunst

Wie Niki de Saint Phalle Feminismus in die Kunstwelt trug

Brenda Haas
7. Februar 2023

Niki de Saint Phalle ist bekannt für ihre knallbunten Frauenskulpturen mit üppigen Rundungen. Doch sie sind nur ein Teil des bahnbrechenden Werks einer Künstlerin, die ihrer Zeit voraus war.

Künstlerin Niki de Saint Phalle vor einer grünen Skulptur in grün gekleidet mit grünem Hut
Feminismus in der Kunst: Niki de Saint Phalle ist eine der bedeutendsten Künstlerinnen des 20. JahrhundertsBild: Wiebke Langefeld/dpa/picture-alliance

"Niki... ? Nanas... ? Wer?", fragte ich meine Redakteurin ratlos, als ich für diese Geschichte  beauftragt wurde. "Niki de Saint Phalles Name kommt dir jetzt vielleicht nicht bekannt vor, aber ich bin sicher, du kennst sie", sagte sie. "Sie ist diejenige, die diese farbenfrohen Skulpturen von großen, kurvigen Frauen geschaffen hat".

Und tatsächlich, ich kannte diese Figuren, die seit Jahrzehnten in Zeitschriften abgedruckt und in Museumsshops verkauft werden: Die bunten, fröhlichen, oft schwanger anmutenden Frauenfiguren mit prallen Brüsten, großen Pobacken und kleinen Köpfen.

Eine typische Nana: Groß, rund, weiblich und freiheitsliebendBild: 2023 Niki Charitable Art Foundation/Adagp, Paris

Sie stehen für mich vor allem für eines: Der Körper einer Frau ist ein Kunstwerk, insbesondere wenn er nicht den gängigen, oft patriarchalischen Vorstellungen von Form und Funktion entspricht.

Die als "Nanas" bekannten Figuren sind das Markenzeichen der verstorbenen französisch-amerikanischen Künstlerin, Bildhauerin und Visionärin Niki de Saint Phalle (1930-2002). Der Name ist kein Zufall. Im Französischen werden freche junge Frauen als Nanas bezeichnet.

Ich hatte kürzlich die Gelegenheit, einige Skulpturen in der Schirn in Frankfurt aus nächster Nähe zu sehen. Dort werden derzeit Highlights aus ihrem umfangreichen Werk ausgestellt. Ein großes Poster mit einer Nana, die ihre Hände begeistert in die Luft wirft, hängt am Eingang des Museums. Diese fröhliche Darstellung ist ein angenehmer Ausgleich zu dem trüben und regnerischen Februarmorgen.

Beim Betreten der Ausstellungshalle werden die Besucherinnen und Besucher von einer Fülle an Farben empfangen. Die Wände sind in einem auffälligen Farbverlauf aus leuchtendem Fuchsia, königlichem Purpur und intensivem Kobalt gestaltet und bieten die perfekte Kulisse für die Werke von de Saint Phalle.

Als Autodidaktin in die Kunst

Die 1930 in Frankreich als Tochter einer US-amerikanischen Mutter und eines französischen Vaters geborene Catherine Marie-Agnès Comtesse Fal de Saint Phalle war ein Multitalent, das sich gleichermaßen in der Malerei, der Bildhauerei, dem Film und der Performancekunst austobte.

Als Autodidaktin, die zuvor Theaterwissenschaften studiert hatte, wandte sich de Saint Phalle der Malerei zu, nachdem sie 1953 wegen eines Nervenzusammenbruchs ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Nach ihrer Entlassung beschloss sie, sich ausgiebiger mit Kunst zu beschäftigen. Sie sagte einmal: "Die Malerei beruhigte das Chaos, das meine Seele erregte, und gab meinem Leben eine organische Struktur."

Niki de Saint Phalle in ihrem AtelierBild: Brigitte Hellgoth/akg-images/picture-alliance

In ihren Memoiren "Mon Secret" von 1993 enthüllte de Saint Phalle, dass sie als Kind von ihrem Vater sexuell missbraucht worden war. Dies warf ein neues Licht auf ihre Werke, insbesondere auf ihren Spielfilm "Daddy" aus dem Jahr 1973, in dem eine Vaterfigur getötet wird, und auch auf ihre Nanas, die als Symbol für den freien Geist und den Bruch mit gesellschaftlichen Konventionen gelten.

"Männer scheinen in ihren Rollen viel mehr Freiheit zu genießen, und ich war bestrebt, diese Freiheit auch für mich zu erlangen", schrieb sie einmal.

Die Frau, die auf Bilder schoss

Niki de Saint Phalle war auch eine Wegbereiterin der Performance-Kunst. In den 1960er-Jahren provozierte sie mit ihren so genannten "Schießbildern". Um es mit den heutigen Worten auszudrücken: Sie ging damals viral - ganz ohne soziale Medien.

Vor Publikum schoss sie mit Gewehren oder Pistolen auf Farbbeutel, die in weiße Gipsreliefs eingebettet waren, und löste damit Farbexplosionen aus, die ihre Werke vervollständigten. Oft lud sie ihr Publikum, zu dem auch Künstlerkollegen gehörten, ein, den ersten Schuss abzugeben.

De Saint Phalle, die auch Modell stand und die Titelseiten der Magazine "Life", "Elle" und "Vogue" zierte, trug oft einen weißen Overall bei ihrem Performances. Einer dieser Overalls ist zusammen mit ihren "blutenden" Kunstwerken in der Frankfurter Ausstellung zu sehen.

Niki de Saint Phalle erregte mit ihren "Schießbildern" große AufmerksamkeitBild: 2023 Niki Charitable Art Foundation/Adagp, Paris

Mit ihren "Schießbildern" sprengte de Saint Phalle die Grenzen in einer von Männern dominierten Kunstszene und wurde selbst zu einer der bedeutendsten Künstlerinnen ihrer Generation.

"Kompromisslos setzte sie sich über die starren gesellschaftlichen Konventionen ihrer Zeit und die vorherrschenden Regeln des Kunstbetriebs hinweg. Ihr künstlerischer Schaffensdrang speiste sich aus der Wut gegen eine von patriarchalen Strukturen durchdrungene Gesellschaft, der sie mit ihrem offenherzigen, provokanten Schaffen den Kampf ansagte", erklärte Katharina Dohm, Kuratorin der Frankfurter Ausstellung, in einer Pressekonferenz.

Kunst mit ausrangierten Gegenständen

Niki de Saint Phalle erstellte auch Assemblagen und Landschaften aus gebrauchten Alltagsgegenständen. Sie schuf Kunstwerke aus zerbrochenem Geschirr, Rasierklingen, Handschuhen oder Plastikobjekten. Inspiriert von zeitgenössischer Kunst experimentierte sie mit verschiedenen Techniken, wie etwa in ihrem Werk "Nightscape" (1959). Dafür benutzte sie eine vom US-amerikanischen Expressionisten Jackson Pollock erfundene Tropf-Technik und verband sie mit der alten maurischen Mosaiktechnik des berühmten katalanischen Architekten Antoni Gaudì.

Außerdem setzte sie sich in ihren Werken zunehmend mit der weiblichen Identität auseinander. Obwohl sie sich nicht aktiv an der Frauenbewegung der 1960er- und 1970er-Jahre beteiligte, hinterfragen ihre Kunstwerke dennoch häufig die gesellschaftliche  Rolle der Frau als Ehefrau, Mutter und Sexualobjekt.

Niki de Saint Phalle schuf feministische KunstBild: ©Nachlass Leonardo Bezzola/2023 Niki Charitable ArtFoundation/Adagp, Paris

Niki de Saint Phalles Beitrag zur Frauenbewegung

Inspiriert von ihrer engen Freundin Clarice Rivers, die damals schwanger war, stellte sie 1965 in Paris ihre erste Nana-Serie vor und beschrieb ihre überlebensgroßen Figuren als eine "jubelnde Feier der Frauen".

Die Nanas von Niki de Saint Phalle zeigen weibliche Stärke und stehen für ein befreites Matriarchat. Ursprünglich aus Stoff, Garn und Pappmaché gefertigt, wurde später Polyester als Material verwendet, welches robust genug war, um die überlebensgroßen Figuren auf öffentlichen Plätzen in der ganzen Welt aufzustellen. 

Allerdings tat sie sich selbst damit keinen Gefallen, denn das Einatmen von Polyesterstaub und anderen giftigen Dämpfen, die bei der Arbeit an den Skulpturen freigesetzt wurden, führte bei de Saint Phalle zu langwierigen Lungenproblemen und schließlich zum Tod durch Atemversagen im Jahr 2002.

Unter ihren vielen unterschiedlichen Nanas könnte man "Hon/Elle" als die "Mutter aller Nanas" bezeichnen. De Saint Phalle schuf sie 1966 in Zusammenarbeit mit dem finnischen Maler Per Olof Ultvedt und ihrem langjährigen Partner und Künstlerkollegen Jean Tinguely für das Moderna Museet in Stockholm. Ein kleineres Modell der liegenden, schwangeren Nana - durch deren Vagina die Besucher unter anderem eine Milchbar und ein Kino betreten konnten - ist in der Ausstellung in Frankfurt zu sehen. 

Das Künstlerpaar Niki de Saint Phalle und Jean TinguelyBild: KEYSTONE/picture alliance

"Die Nanas sagen den Frauen: 'Mein weiblicher Körper ist stark... Es gibt keinen Grund, sich dafür zu schämen, keinen Grund, sich zu verstecken'", erläutert die Kuratorin.

Alle sollen frei leben können

Niki de Saint Phalle setzte sich in ihrer Kunst auch mit gesellschaftspolitischen Themen auseinander: Ihre Werke "AIDS, You Can't Catch it Holding Hands (1986)", "Guns (2001)" und "Global Warming" (2001) beschäftigen sich mit Stigmatisierung, Waffengewalt und dem Klimawandel.

Mit der Lithographie "Global Warming" kritisierte die Künstlerin den ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush für seine UmweltpolitikBild: 2023 Niki Charitable Art Foundation/Adagp, Paris

"Sie eröffnete mit ihrer Kunst einen öffentlichen Dialog über gesellschaftlich relevante Fragen, die uns bis heute beschäftigen", so die Kuratorin Kathrina Dohm. "Wir befassen uns immer noch mit der Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen. Wir beschäftigen uns in der Gesellschaft mit Themen wie Body-Positivity oder Body-Shaming. Bestimmte Gruppen in unserer Gesellschaft werden immer noch stigmatisiert. Ihr Ziel war es, dass jeder frei leben kann."


Die Ausstellung "Niki de Saint Phalle" läuft bis zum 21. Mai 2023 in der Schirn in Frankfurt.

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.