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Opfer-Entschädigung

18. Mai 2009

Kann Versöhnung durch Entschädigung der Opfer gelingen? Geld allein ist kein Ausgleich für das erlebte Leid. Für einen wirksamen Täter-Opfer-Ausgleich braucht es mehr, meint der Menschenrechtsexperte Rainer Huhle.

Der Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern ging ein langer Streit vorausBild: AP

Der uruguayische Jesuit Luis Pérez Aguirre, der während der Militärdiktatur in seinem Land schwer gefoltert worden war, erzählte gelegentlich von einer seltsamen Begegnung. Nach dem Ende der Diktatur begegnete er in Montevideo auf der Straße einem seiner Folterer. Er ging auf ihn zu, um mit ihm zu sprechen, in der Hoffnung auf eine Aussöhnung. Doch der Folterer wich erschrocken auf die andere Straßenseite aus und suchte das Weite.

Zur gleichen Zeit aber forderten auch in Uruguay die Regierenden dazu auf, sich für die "nationale Versöhnung" einzusetzen. Und Uruguay war kein Einzelfall.

Wenn Diktaturen am Ende sind, ertönt mit schöner Regelmäßigkeit der Ruf nach Versöhnung – gewöhnlich von denen, die die meisten Untaten begangen haben, gerichtet an ihre Opfer. Wenn die nicht sofort die Hand ausstrecken, gelten sie als rachsüchtig und unversöhnlich. Und obendrein als rückwärtsgewandt, weil sie statt in die blühende Zukunft zu schauen, auf das Unrecht der Vergangenheit fixiert sind.

Schweigen statt Versöhnen

Versöhnung ist aber, das Beispiel von Pater Aguirre zeigt es, zu allererst ein persönlicher Akt zwischen Menschen. Wenn sie glücken soll, müssen alle Beteiligten, Täter und Opfer, sich erklären und gegebenenfalls Schuld anerkennen. Vor allem aber müssen sie sich als autonome Personen "auf Augenhöhe" gegenüberstehen. Versöhnung setzt die Anerkennung der Menschenwürde des Anderen voraus. Aus einer Machtposition kann sie weder gefordert noch gewährt werden.

Die Hand soll an die vielen Opfer erinnern, die während der Militärdiktatur in Uruguay (1973-1985) verschwandenBild: AP

Genau darin liegt die große Schwierigkeit, die schöne Idee der Versöhnung vom zwischenmenschlichen Bereich auf die gesellschaftliche und politische Ebene zu übertragen. Wo Diktaturen abtreten, bleiben die von ihnen geschaffenen Machtverhältnisse oft bestehen. Die Forderung nach Versöhnung wird unter solchen Umständen schnell zur Zumutung, die Unterwerfung unter diese Machtverhältnisse anzuerkennen. Nicht Versöhnung, sondern "das darüber Schweigen" wird angeboten, ein Pakt beiderseitigen Stillhaltens: Die Opfer sollen auf Klagen verzichten, die Machthaber auf weitere Verfolgung.

Entschädigung mit Ruch der Bestechung

Auch die Frage nach Entschädigungen für Opfer von massivem staatlichem Unrecht wird oft in den Kontext solcher Versöhnungsstrategien gestellt. Nur selten gelingt es Opfern, auf dem Weg des Rechts Entschädigungen zu erstreiten, die selbst dann keinen wirklich "gerechten" Ausgleich für ihr Leid darstellen können. Doch immerhin wird Entschädigung dann von Gerichten im Rahmen eines Urteils zugesprochen, bei dem auch das erlittene Unrecht festgestellt wird. Entschädigung steht so im Kontext eines Bemühens um die Wiederherstellung von Recht und damit auch der Würde der Opfer.

Anhörung eines Paramilitärs in Kolumbien. Paramilitärs können Straferleichterungen bekommen, wenn sie ihre Taten gestehenBild: Steffen Leidel

Wenn aber Entschädigung lediglich Teil einer Regierungspolitik "nationaler Versöhnung" ist, gerät sie leicht in den Geruch versuchter Bestechung. Manche Opferorganisationen haben deshalb auch Entschädigungen abgelehnt, die nicht Teil einer umfassenden politischen und juristischen Aufarbeitung der Vergangenheit waren. Doch die meisten Opfer können sich eine solche konsequente Haltung gar nicht leisten, eben weil sie auch weiterhin unter den Folgen ihrer "Entrechtung" leiden. Sie müssen das Angebot von Entschädigung annehmen, auch wenn sie es materiell als unzureichend und vor allem als keinen Ersatz für Gerechtigkeit empfinden.

Wahrheit und Gerechtigkeit haben Priorität

Nur selten enthalten Entschädigungskonzepte auch Elemente eines Täter-Opfer-Ausgleichs. Ansätze dazu in Kolumbien im Rahmen des "Friedens- und Gerechtigkeitsgesetzes" sind bisher kläglich gescheitert. Ob der Entschädigungsfonds für Opfer beim Internationalen Strafgerichtshof besser funktioniert, bleibt abzuwarten. In diesen Fonds sollen immerhin Zahlungen einfließen, zu denen das Gericht die überführten Täter verurteilen kann. Dazu kommen Leistungen der Mitgliedstaaten des Gerichts.

Entscheidend aber bleibt, dass Entschädigungen die Opfer nicht aus ihrer Opferrolle befreien. Nirgendwo stehen Entschädigungen an erster Stelle dessen was die Opfer von Unrechtsregimen fordern. Ihnen geht es immer zuerst um Wahrheit und Gerechtigkeit. Gerechtigkeit, die durch Bestrafung der Täter einen klaren Willen der Gesellschaft ausdrückt, Unrecht beim Namen zu nennen und es zu sanktionieren. Die wahre Entschädigung ist dann erreicht, wenn die Opfer umfassend rehabilitiert sind und ohne Furcht und gleichberechtigt an einer neuen demokratischen Ordnung teilhaben können. Erst dann kann und sollte auch von Versöhnung gesprochen werden.

Autor:

Dr. Rainer Huhle ist Politikwissenschaftler mit den Arbeitsschwerpunkten Menschenrechte, Erinnerungspolitik und Lateinamerika. Er ist Vorstandsmitglied des "Nürnberger Menschenrechtszentrum e.V." und stellvertretender Vorsitzender des Kuratoriums des Deutschen Instituts für Menschenrechte in Berlin.

Redaktion: Ulrike Mast-Kirschning (stl)

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