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Wie Papst Franziskus die Sache Jesu vertritt

7. März 2015

Papst Franziskus erstaunt die Welt und gibt der katholischen Kirche ein neues Gesicht: Pater Eberhard von Gemmingen SJ über den Mann, der den Glauben an Christus als das lebt, was er ist: eine Provokation.

Papst Franziskus besucht Straßburg 25.11.2014 Rede Europarat
Papst Franziskus Rede in Straßburg: "Europa verliert seine Seele, wenn der Kontinent den Blick nach der Transzendenz verliert."Bild: Reuters/V. Kessler

Papst Franziskus sendet Signale in die Welt, die zeigen, wie er der Sache Jesu Christi neue Überzeugungskraft geben will. Er nennt sich Franziskus, wohnt im Gästehaus, ernennt Außenseiter zu Kardinälen und besucht als erstes die Flüchtlingsinsel Lampedusa. Als sein Namenspatron Franz von Assisi lebte, ging es der Kirche nicht besser als heute. In Assisi war die Kirche ein Spießerverein, die Kirchenleitung in Rom war korrupt, die katholische Theologie schwach, einseitig, schief. Franz forderte keine theologische Reform, rief nicht dazu auf, den Vatikan anzuzünden, hielt keine Bußpredigten im Dom von Assisi, sondern begann so zu leben wie Jesus: arm, auf den Straßen, im Gespräch mit Bettlern. Das ist die Botschaft von Papst Franziskus. Er ist eine Enzyklika auf zwei Beinen.

Vor allem: es geht ihm nicht um die Kirche, sondern um die Sache Jesu, das heißt Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Radikalität, Geschwisterlichkeit, Barmherzigkeit. Allzu oft wird über die Kirche gesprochen wie über einen Dienstleister, dessen Dienste nicht mehr gebraucht werden. Aber der „Dienst“, den Christen leisten sollten, ist subtil. Man muss schon hinhören. Auch der Mann aus Nazareth wurde meist missverstanden. Und: Wer heute im Supermarkt seine Plastiktüte schon voll hat, hat keinen Bedarf an diesem subtilen Dienst.

Ein neuer Geist

Es geht Franziskus, wie Franz von Assisi, wie Jesus von Nazareth um einen neuen Geist. Jesus ruft: „Bekehrt Euch“. Und dieser Geist ist völlig unangepasst: Jesus schlägt vor: Die Sünde verabscheuen, aber den Sünder lieben, Ausbeutung verachten, aber den Ausbeuter lieben, Betrug verachten, den Betrüger lieben, Mord verdammen, aber den Mörder lieben, Ehebruch verurteilen, den Ehebrecher lieben. Er predigt Barmherzigkeit, aber provoziert mit Sätzen wie: „Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert“ (Mt 10,37), oder: „Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert“ (Mt 10,34).

Jesus bringt uns in eine unangenehme Spannung. Und er überfordert uns. Wenn wir seinem Anspruch aber nicht genügen und das auch zugeben, nimmt er uns liebend in die Arme. Die Sache Jesu ist keine Erfolgsgeschichte, sondern eine Provokation, ein Drama, ein ständiger Kampf. Wir dürfen uns nicht vormachen, Franziskus führe nur einen Kampf im Vatikan. Er führt zurück zum Kampf Jesu Christi in der Menschheitsgeschichte. Franziskus sagte kurz vor Weihnachten: „Es ist ein schöner Kampf, aber wir sind alle ein wenig faul.“ Den Kampf nennt er auch Krankheit. Es ist kein Kampf gegen die „böse Welt“, sondern ein Kampf im Innern – in jedem Christen, in jedem Menschen.

Christus, der Schatz im Acker

Wir sollten aufmerksam wahrnehmen, dass in der Volksrepublik China sonntags mehr Menschen in einen katholischen oder evangelischen Gottesdienst gehen als in Europa. Es mögen bald 100 Millionen sein. In den letzten 25 Jahren wurden dort 100 Millionen Bibeln gedruckt. Nicht auf Anweisung der Regierung. So berichten Fachleute aus Peking. Chinesen haben Jesus Christus, den Schatz im Acker, entdeckt. Sie mussten jahrzehntelang durch die Wüste des Materialismus, und haben die Nase voll von dem Wüstenstaub. Und Europa verfällt dem Irrtum, christlicher Glaube sei Privatsache. Er muss zwar freiwillig sein, aber dann ist er Quelle von Kultur, von Gemeinschaftsgeist, von Gerechtigkeit und Liebe. Papst Franziskus rief in Straßburg: Europa verliert seine Seele, wenn der Kontinent den Blick nach der Transzendenz verliert. Und Franziskus geht nicht mit erhobenem Finger durch die Welt, sondern lebt vor, worum es geht. Freilich geißelt er auch die Krankheiten von uns Kirchenleuten: Neid, Selbstüberschätzung, „geistlichen Alzheimer“.

Franziskus lebt wie Franz von Assisi: Glaube an Christus ist Provokation, aber für Gesellschaften hilfreich, konstruktiv, kulturschaffend. Und wie der Mann von Assisi geht der Papst auf Anhänger Mohammeds zu. Jede religiöse Überzeugung verdient Achtung. Franz von Assisi war eine Provokation, aber hat Geschichte gemacht, Papst Franziskus geht in seinen Fußstapfen. Beide folgen den Spuren des Provokateurs von Nazareth. Er hat Weltgeschichte gemacht.

Zitat: „Wir sind alle ein wenig faul“, Papst Franziskus, 30.10.2014, Radio Vatikan

Zum Autor: Pater Eberhard von Gemmingen SJ ist 1936 in Bad Rappenau geboren. Nachdem er 1957 in den Jesuitenorden eingetreten ist, studierte er 1959 Philosophie in Pullach bei München und Theologie in Innsbruck und Tübingen. 1968 erfolgte seine Priesterweihe. Pater Eberhard von Gemmingen SJ war Mitglied der ökumenischen Laienbewegung action 365, bischöflicher Beauftragter beim ZDF und Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan. Seit 2010 ist er Fundraiser der deutschen Jesuiten.

Pater Eberhard von Gemmingen SJBild: picture-alliance/dpa

Redaktionelle Verantwortung: Dr. Silvia Becker, Katholische Hörfunkbeauftragte, und Alfred Herrmann

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