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Pornografie im Internet gefährdet Kinder

4. April 2023

Alkohol? Verboten. Zigaretten? Verboten. Pornografie im Netz? Für Kinder eigentlich auch verboten. Aber viel zu leicht zugänglich. Mit fatalen Folgen.

Symbolfoto Pornografie auf dem Smartphone
Immer häufiger in Kinderhand: Pornografische Bilder auf dem Bildschirm eines SmartphonesBild: Andreas Franke/picture alliance

41,1 Prozent. Vielleicht hat es erst die Veröffentlichung der Polizeilichen Kriminalstatistik gebraucht, damit Deutschland versteht, wie sehr Pornografie mittlerweile zum Alltag von Jugendlichen und sogar Kindern gehört. 41,1 Prozent ist der Anteil der Minderjährigen bei der Verbreitung von kinder- und jugendpornografischen Inhalten. Wobei diese oft noch nicht einmal wissen, dass sie sich mit dem Teilen von unangemessenen Bildern auf WhatsApp, Instagram oder Snapchat strafbar machen.

Wobei hier eines vorab sauber unterschieden werden muss: Sogenannte Kinder- und Jugendpornografie sind Aufnahmen, die sexualisierte Gewalt und Grenzverletzungen gegen Kinder oder Jugendliche zeigen. Fachleute sprechen darum eher von Kindermissbrauchsabbildungen, und sie herzustellen, zu verbreiten oder zugänglich zu machen, ist in jedem Fall strafbar. Legal dagegen ist Pornografie, die sexuelle Handlungen Erwachsener zeigt - strafbar ist allerdings wiederum, solches Material Kindern und Jugendlichen zugänglich zu machen.

Während Innenministerin Nancy Faeser bei der Vorstellung der Statistik in großer Erklärungsnot war, überraschen Tabea Freitag die Zahlen gar nicht. Die Psychologin und Psychotherapeutin ist Leiterin der return Fachstelle Mediensucht in Hannover und nennt es das "Eisbergphänomen". Denn dem Konsum und der Verbreitung sogenannter kinderpornografischer Inhalte gehe eine längere Desensibilisierung durch den massenhaften Konsum von erwachsener Mainstream-Pornografie voraus. Und dass, obwohl es - darauf weist auch Freitag noch einmal hin - nach Paragraf 184 Strafgesetzbuch verboten ist, Nutzern unter 18 Jahren pornografische Inhalte zugänglich zu machen.

"Kinder kommen in einem Alter von durchschnittlich etwa elf Jahren zum ersten Mal mit Pornografie in Kontakt, vielfach weil sie bereits ein eigenes Smartphone haben, und werden mit den Erfahrungen im Netz in der Regel allein gelassen", sagt Freitag und kritisiert: "Wir haben einen riesigen, aber tabuisierten Missbrauchsskandal in der Gesellschaft, denn Kinder mit Pornografie zu konfrontieren, ist eine Form von sexuellem Missbrauch. Es prägt massiv ihre psychosoziale und sexuelle Entwicklung."

Pornos erzeugen verzerrtes Bild von Sex

Freitag kann von empathischen Familien erzählen, bei denen pornografische Inhalte an der Schwester nachgespielt werden. Von Anrufen von Eltern oder Schulsozialarbeitern während der Corona-Zeit, die berichten, dass sich Mädchen nach monatelangem Pornokonsum als Sexobjekt anbieten, indem sie Bilder oder Filme von sich an Männer schicken. Und von Mädchen und jungen Frauen, die zunehmend Gewalt in sexuellen Beziehungen erleben, aber gleichzeitig einen riesigen Erwartungsdruck verspüren.

"Pornos sind ja primär für Männer gemacht. Erfahrungen zeigen, dass sich bei den Jungen der Blick auf Mädchen ändert und Mitschülerinnen zunehmend sexualisiert als Objekt wahrgenommen und taxiert werden", sagt Freitag. "Und die Mädchen meinen, sie müssten Dinge mitmachen, auch wenn sie diese als total schmerzhaft und eklig empfinden. Weil sie denken, dass das von ihnen erwartet wird, und sie Angst haben, sie würden sonst als prüde gelten und vielleicht auch die Beziehung verlieren."

Tabea Freitag: "Vier Prozent der Kinder reden von sich aus mit ihren Eltern, wenn sie mit Pornografie konfrontiert wurden"Bild: Privat

Die Studienlage spricht eine deutliche Sprache: Laut einer Untersuchung des Children's Commissioner for England haben 47 Prozent der 18- bis 21-Jährigen aller Geschlechter schon Gewalt beim Sex erlebt, Mädchen deutlich häufiger als Jungen. 42 Prozent der Befragten glauben sogar, dass die Mädchen das mögen. Und 13 Prozent der sexuell aktiven Mädchen zwischen 14 und 17 Jahren sagten laut einer Befragung in den USA, dass sie beim Sex schon gewürgt wurden - weil in den Pornos häufig das Bild transportiert wird, das gehöre beim Sex dazu.

"Meine jüngeren Kolleginnen und Kollegen unserer Fachstelle return, die zur Prävention von Pornokonsum an den Schulen unterwegs sind, erzählen, dass die Teenager total dankbar sind, dass endlich jemand das Thema anspricht. Es ist für sie eine riesige Herausforderung, für die sie erst einmal nichts können und Respekt verdienen, weil sie die erste Generation sind, die mit solchen frei verfügbaren Inhalten aufwächst und umgehen muss."

Ruf nach Medienkompetenz schiebt Verantwortung auf Kinder ab

Angesichts dieser alarmierenden Situation fordern einige Expertinnen und Experten ein Handyverbot für Kinder unter 14 Jahren. Andere werben für Aufklärungskampagnen, die in sozialen Medien, im Radio und Fernsehen geschaltet werden. Und wieder andere Forschende machen sich für die Stärkung der Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen stark, um sie so besser auf Pornografie im Netz vorzubereiten. Tabea Freitag kann darüber nur den Kopf schütteln, für sie wird der Begriff Medienkompetenz inflationär gebraucht.

"Der muss dann oft auch herhalten, wenn Erwachsene ihre Verantwortung nicht übernehmen wollen, Kinder vor grenzverletzenden, missbräuchlichen und traumatisierenden Inhalten zu schützen. Damit legt man die ganze Verantwortung auf die schmalen Schultern von Kindern und sagt, die müssen lernen, das selbst zu reflektieren, sich selbst schützen und Dinge vollbringen, die selbst Erwachsene ja nicht hinbekommen", kritisiert sie. "Das ist ungefähr so, als ob man Zehnjährigen beibringt, wie ein Auto funktioniert, und dann setzt man sie ins Auto und lässt sie auf der Autobahn fahren."

Präventionsarbeit in Schulen von der return Fachstelle Mediensucht in HannoverBild: Fachstelle Mediensucht in Hannover

Die Psychotherapeutin ist skeptisch, dass Kinder und Jugendliche in Zukunft besser vor pornografischen Inhalten geschützt werden. Schon die Corona-Pandemie habe gezeigt, dass das Wohl von Kindern eine sehr geringe Priorität habe. Vor allem sei das Thema tabuisiert. Und schließlich hätten Studien gezeigt, dass Erwachsene, die häufiger Pornos konsumierten, weniger an Kinderschutz interessiert seien. Ein Anfang wäre für Tabea Freitag bereits damit gemacht, in den Bildungseinrichtungen etwas genauer hinzuschauen.

"In der Schulpolitik gilt derzeit: Digitalisierung first. Das bedeutet aber in der Realität meist: Kinderschutz last. Es wäre eine Möglichkeit und politische Entscheidung, die Ausstatter und Firmen, welche die Tablets an die Schulen liefern, zu einer Voreinstellung von Filtern zu verpflichten. Das Mindeste wäre, dass man Paragraf 184 (Strafgesetzbuch) ernst nimmt und sagt, wir werden keine Tablets einführen, solange nicht gewährleistet ist, dass effektive Schutzfilter installiert und konfiguriert werden."

Porno-Anbieter sollen zur Altersprüfung verpflichtet werden

Und so setzt die Psychotherapeutin viele ihrer Hoffnungen auf Tobias Schmid. Einer, sagt Freitag, der seit Jahren fast allein auf weiter Flur darum kämpfe, dass Porno-Anbieter nicht mehr Kinder und Jugendliche mit gewalttätigen pornografischen Inhalten konfrontieren können. Schmid ist Direktor der Landesanstalt für Medien NRW in Düsseldorf und setzt sich für eine Altersverifikation der Nutzer ein.

"Wir sind da vielleicht noch etwas einsam, aber wir haben einen Trend gesetzt. Einer muss eben anfangen" - Tobias SchmidBild: Landesanstalt für Medien NRW

Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat bestätigt, dass die frei zugänglichen Inhalte der größten Anbieter nicht den gesetzlichen Anforderungen des Kinder- und Jugendmedienschutzes in Deutschland genügen. Mit anderen Worten: Es soll zukünftig nicht mehr ausreichen - wie derzeit praktiziert -, dass die Nutzer durch einen einzigen Klick ihre Volljährigkeit bestätigen.

Tobias Schmid sagt: "Pornografie an sich ist ja nicht verboten. Aber es muss eine Altersverifikation geben. Derzeit gibt es nur einen Button, auf dem draufsteht: 'Ja, ich bin 18.' Das ist kein Altersverifikationssystem, sondern ein Witz, und reicht natürlich nicht aus. Wir wissen, dass sie diese Verfahren längst haben, sie müssen sie nur noch scharf schalten."

Doch jetzt sieht es so aus, als könne sich der juristische Streit noch länger hinziehen, denn die Porno-Anbieter bestreiten, dass von Unternehmen aus dem EU-Ausland, deren Programm weltweit abrufbar ist, verlangt werden kann, deutsches Jugendschutzrecht einzuhalten. Ebenso wird in Frage gestellt, ob deutsche Behörden überhaupt befugt sind - oder ob nicht stattdessen die Behörden am Sitz des jeweiligen Betreibers zuständig sind.

Gemeinsam in Europa gegen Plattformen vorgehen

Noch spielen die Porno-Plattformen also auf Zeit, aus Furcht, mit der Altersverifikation auch viele erwachsene Kunden abzuschrecken. Eine Unverfrorenheit und ungewöhnlich dreist, nennt Schmid das mit deutlichen Worten. Er hofft, dass von der gerichtlichen Entscheidung eine Signalwirkung ausgeht, hin zu mehr Kinder- und Jugendschutz im Netz. Und das nicht nur in Deutschland, sondern ganz Europa.

"Wir haben gemeinsam mit den Regulierungsbehörden aus Luxemburg, Österreich, Italien und Frankreich die Europäische Kommission aufgefordert, bei den reichweitenstärksten Plattformen tätig zu werden, die den Status der sogenannten Very-large-Online-Plattform haben. Das sind alle Angebote mit mehr als 45 Millionen Nutzern. Am Anfang dauert es ein bisschen, bis so ein Prozess Fahrt aufnimmt, aber jetzt ist er nicht mehr aufzuhalten."

Was tun gegen Rachepornos?

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Ein überfälliger Schritt, so Schmid, weil Kinder nicht mehr über den heimischen PC und unter Kontrolle der Eltern ins Netz kämen, denn annähernd 90 Prozent der Zehn- bis Zwölfjährigen in Deutschland hätten bereits ein eigenes Smartphone. Immerhin: In ganz Europa sei die Erkenntnis gereift, dass auch im Internet Regeln aufgestellt werden können. Und gleichzeitig das Bewusstsein gewachsen, dass das Internet neben einer Fülle von Möglichkeiten auch ein Schauplatz für Hass, Hetze, Straftaten und eben Kinderpornografie sei.

Für die Zukunft wünscht sich der Direktor der Landesanstalt für Medien NRW deshalb zwei Dinge: "Zum einen, Kreditkartenanbieter anweisen zu können, ihre Dienstleistungen für solche Plattformen einzustellen, wie das zum Beispiel schon beim Glücksspiel geschieht. Und zweitens die Möglichkeit von ernstzunehmenden Sanktionen wie Ordnungs- und Bußgelder oder Gewinnabschöpfung. Denn die Netzsperren, die wir jetzt verhängen können, greifen schon tief in das grundsätzliche Recht auf Medienfreiheit ein, was sicherlich eine extreme Maßnahme für den absoluten Notfall sein sollte."

Der Artikel wurde am 03.04.2023 erstmals veröffentlicht und am 04.04.2023 aktualisiert.

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