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Politik

Wie rassistisch ist die deutsche Polizei?

Ben Knight ch
6. Juni 2020

Nach dem Tod von George Floyd werden nicht nur in den USA Rassismusvorwürfe gegen Polizisten erhoben. Aktivisten auch in Deutschland fordern, die Polizei müsse auf strukturellen Rassismus hin durchleuchtet werden.

Demonstranten in Deutschland gegen rechte Gewalt nach dem Mord an dem Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke
Bild: picture-alliance/dpa/B. Marks

Der Vorwurf rassistischer Gewalt ist nicht neu. Während der vergangenen zwanzig Jahre sind eine ganze Reihe von Menschen nichtweißer Hautfarbe durch Polizisten oder in Polizeigewahrsam in Deutschland ums Leben gekommen. Der bekannteste Fall war der Tod von Oury Jalloh; die verkohlte Leiche des Asylbewerbers aus Sierra Leone wurde 2005 in einer Gewahrsamszelle einer Polizeiwache in Dessau gefunden.

Es gibt viele andere: von dem kamerunischen Asylbewerber Achidi John, der 2001 in Hamburg nach einer erzwungenen Einnahme von Brechmitteln starb, bis zu dem irakischen Flüchtling Hussam Hussein, der 2016 vor einer Flüchtlingsunterkunft erschossen wurde.

Alltagserfahrung

Dies mögen Skandalfälle gewesen sein, die in der Öffentlichkeit hohe Wellen geschlagen haben. Für Menschen mit dunkler Hautfarbe sind sie aber nur besonders krasse Beispiele ihrer Alltagserfahrung, dass sie allein aufgrund ihres Aussehens verdächtigt werden. "Die afrikanische Community hat noch nicht die Erfahrung gemacht, dass die Polizei da ist, um sie zu schützen, sondern sie hat eher den Eindruck, dass die Polizei da ist, um sie zu verdächtigen", sagt Sylvie Nantcha, Initiatorin und Bundesvorsitzende von TANG (The African Network of Germany).

CDU-Mitglied Sylvie NantchaBild: TANG

Nantcha ist CDU-Politikerin und in Freiburg im Breisgau erste afrodeutsche Stadträtin Deutschlands. Von den Mitgliedern ihrer Organisation hat sie zahllose Berichte über sogenanntes racial profilinggehört, das heißt, dass Menschen allein wegen ihres Aussehens verdächtigt werden. "Wir wissen, dass unsere Leute öfter von der Polizei kontrolliert werden, als es eigentlich sein sollte. Ich kann von einem Fall erzählen von einem Kollegen, der in einem Zug war, in einem Waggon mit mehr als hundert Leuten. Die Polizei läuft vorbei und sie halten direkt vor dem Kollegen und fragen nach seinem Ausweis. Das sind Sachen, die tagtäglich passieren."

Die Polizei erfasst solche Vorfälle nicht. Und das bedeutet, sagt Nantcha, dass sie auch nicht wirklich diskutiert werden. Das bestätigt auch Sebastian Bickerich, Sprecher der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, in einer E-Mail: "Leider gibt es in Deutschland weder eine systematische Erfassung von Racial-Profiling-Fällen noch klar umrissene Zuständigkeiten und Beschwerdestrukturen."

Einzelfälle oder Teil des Systems?

Für die Polizei in Deutschland sind die Bundesländer zuständig. Diese haben jeweils eigene Polizeigesetze und eine jeweils eigene Einstellungs- und Ausbildungspraxis. In einigen Bundesländern, vor allem im Westen Deutschlands, bemüht man sich bereits, verstärkt Polizisten mit Migrationshintergrund einzustellen.

Wer wird kontrolliert? Sogenanntes racial profiling sorgt immer wieder für DiskussionenBild: picture-alliance/picturedesk.com/F. Neumayr

Das Berliner Abgeordnetenhaus hat an diesem Donnerstag sogar ein Antidiskriminierungsgesetz beschlossen. Das Gesetz soll die Menschen in Berlin vor Diskriminierung durch Behörden und Polizei schützen und auch Ansprüche auf Schadenersatz gegen das Land Berlin ermöglichen. Dagegen laufen konservative Politiker und auch Vertreter der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Sturm.

Die GdP Nordrhein-Westfalen legt das Gesetz so aus, dass Polizisten bei Einsätzen, von denen Menschen mit Migrationshintergrund betroffen sind, nachweisen müssten, dass ihr Einschreiten in keinem Zusammenhang mit der Herkunft der Betroffenen stehe. Und der baden-württembergische CDU-Innenpolitiker Thomas Blenke sagt, das neue Gesetz stelle die Polizei und den gesamtenöffentlichen Dienst "unter Generalverdacht, grundsätzlich und strukturell zu diskriminieren". Blenke betont: "Deutschland ist nicht USA. Wir haben hier kein Rassismus-Problem in der Polizei."

Auch die Bundesregierung sieht kein systematisches Versagen. Bei einer Pressekonferenz diese Woche räumte Steve Alter, Sprecher des Innenministeriums, zwar ein, es gebe keine Zahlen, doch racial profiling sei kein Problem der Polizei insgesamt. "Das sind, nach meinem Kenntnisstand Einzelfälle, gemessen an der Größe der Organisation. Nichtsdestotrotz wird jeder Einzelfall ernstgenommen und auch in die strukturelle Aufarbeitung mit aufgenommen."

Oury Jalloh starb am 7. Januar 2005 in einer Zelle des Polizeireviers DessauBild: Imago/S. Schellhorn

Die Polizeigewerkschaften bestreiten ebenfalls, dass es in den Reihen der Sicherheitskräfte einen weitverbreiteten Rassismus gibt. Jörg Radek, stellvertretender Bundesvorsitzender der GdP, sagte dem Berliner "Tagesspiegel": "Wer der Polizei latenten oder strukturellen Rassismus unterstellt, offenbart entweder gravierende Wissenslücken über die Arbeitsweise der deutschen Polizei oder versucht, das aus Sicht der GdP verhältnismäßige Vorgehen der Einsatzkräfte parteipolitisch zu instrumentalisieren."

Doch Rafael Behr, früher Polizist und heute Professor an der Akademie der Polizei in Hamburg, meint, das Argument von den Einzelfällen verliere selbst bei der Polizei an Kraft: "Weil die Einzelfälle sich tatsächlich so häufen, dass man sich immer mehr darum kümmert: Wo gibt es vielleicht strukturelle oder institutionelle Bedingungen, die das fördern? Ich würde nicht von einem institutionellen Rassismus in der Polizei sprechen, aber es gibt Strukturen und institutionelle Bedingungen, die Rassismus nicht verhindern. Und die Nichtthematisierung dieses Themas war bisher das große Defizit der deutschen Polizeiführung."

Beschwerden gegen die Polizei - bei der Polizei

Das Innenministerium verweist auf die offiziellen Beschwerdemöglichkeiten. Diese sind aber ebenfalls nicht neutral, meint Tahir Della, Sprecher der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland: "Die Staatsanwaltschaft glaubt von der Tendenz her eher der Polizei als Privatpersonen. Wir brauchen eine rechtliche Handhabe, unabhängige Beschwerdestrukturen, wo wir auch intervenieren können, wo Leute auch zur Verantwortung gezogen werden. Erstmal brauchen wir Schutz vor rassistischen Menschrechtsverbrechen gegenüber Betroffenen. Jetzt muss ich mich ja über die Polizei bei der Polizei beschweren."

Genau diese Lücke will das Berliner Antidiskriminierungsgesetz schließen. Für Della wäre es aber nur ein erster Schritt zur Lösung eines größeren Problems: der Polizeiausbildung.

Der Kriminoolge Rafael Behr lehrt an der Hochschule der Polizei in HamburgBild: picture-alliance/dpa/U. Perrey

Das ist die Aufgabe von Rafael Behr an der Hamburger Polizeiakademie. Er glaubt nicht, dass die Polizei eine überdurchschnittlich hohe Zahl von Rassisten anzieht. Er findet aber, bei der dreijährigen Ausbildung solle mehr auf politische Schulung und Antidiskriminierungstraining geachtet werden.

Und dies solle auch nach der Ausbildung weitergehen: "Wir lassen sie nach der Ausbildung eben los und überlassen sie einer Praxis, die wir nicht mehr kontrollieren können. Das ist die große Lücke, die im Moment noch besteht. Es müsste eine praxisbegleitende Fortbildung geben, zum Beispiel im Sinne von Feedback-Gruppen oder Supervisionsgruppen."

Für Sylvie Nantcha ist Rassismus in der Polizei aber nur Teil eines gesamtgesellschaftlichen Themas: "Wir haben natürlich schon eine zweite Generation von Menschen hier. Sie sind Deutsche. Sie haben keine andere Heimat. Sie wollen anerkannt werden. Das ist die einfache Forderung, die wir haben."

Wie schwarze Menschen ihre deutsche Heimat erleben

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