Russen in der Ukraine: Plötzlich illegal
28. September 2022"Ich kann nicht einfach herumsitzen und warten, nach Russland abgeschoben zu werden", klagt Maxim Paschtschenko. Der Russe ist mit einer Ukrainerin verheiratet und hat in den letzten Jahren hauptsächlich in der Ukraine gelebt. Seit dem 24. Februar, als Russlands Angriff auf die Ukraine begann, nimmt der ukrainische Migrationsdienst von Russen keine Dokumente mehr entgegen. "Ich kann meine Aufenthaltserlaubnis nicht verlängern", sagt der Mann.
Paschtschenko ist einer von 175.000 russischen Staatsbürgern, die bereits eine Aufenthaltserlaubnis hatten und sich weiterhin in der Ukraine befinden. Ihr Status wird eigentlich durch das Ausländergesetz und Vorschriften geregelt. Doch seit Beginn des russischen Angriffskriegs erteilt der Migrationsdienst keine Verlängerungen mehr. In einigen Fällen droht die Behörde sogar mit Abschiebung. Paschtschenko bestätigt, er wisse von Bekannten, dass sie einen entsprechenden Stempel in ihren Pass bekommen hätten. Davor hat er Angst, denn in Russland nahm er an oppositionellen Protesten teil und in der Ukraine sammelt er heute als Freiwilliger Spenden für die ukrainische Armee.
Auch Maxim Goschkowski hat keine Aufenthaltserlaubnis mehr, ihm droht die Abschiebung. Er lebt seit über zehn Jahren in der Ukraine, wo er sich seit der Revolution der Würde (Euromaidan) im Jahr 2014 ehrenamtlich engagiert. Seit acht Jahren läuft sein Einbürgerungsverfahren, doch um endlich die ukrainische Staatsbürgerschaft zu erhalten, muss er erst aus der russischen Staatsbürgerschaft entlassen werden. Dies konnte er aber nicht regeln: "Ich hätte nach Russland fahren müssen, aber dort wäre ich im Gefängnis gelandet. Ich war an den Protesten auf dem Kiewer Maidan beteiligt, als Freiwilliger im Donbass aktiv und habe Tote aus Ilowajsk herausgeholt. In Russland liegen garantiert irgendwelche Strafsachen gegen mich vor."
In den ersten Tagen des Krieges machte eine Nachricht der ukrainischen Behörden sowohl Paschtschenko als auch Goschkowski Hoffnung. Darin hieß es, Ausländer in der Ukraine dürften vorerst auch "ein abgelaufenes Dokument vorzeigen". Erleichtert begann sich Goschkowski wieder als Freiwilliger zu engagieren und half mit, Schutzwesten für ukrainische Soldaten zu beschaffen. Doch im Mai wurde er unerwartet an einem Kontrollpunkt in der Region Poltawa gestoppt und für eine Kontrolle zum Migrationsdienst gebracht. Nur wenige Stunden später hatte er in seinem Pass jenen Stempel, demzufolge er in sein Herkunftsland oder in ein Drittland ausreisen müsse. Doch er blieb in der Ukraine und reichte Klage gegen die Entscheidung der Behörde ein.
"Fehlende Rechtssicherheit"
Nach Angaben des Migrationsdienstes bekamen in den letzten sechs Monaten 635 russische Staatsbürger einen solchen Stempel in ihren Pass. Xenia Prokonowa, eine auf Migrationsrecht spezialisierte Rechtsanwältin, sagt, das Vorgehen der Behörde sei eine Art Abwehrreaktion auf den unerwarteten Krieg. Doch nun fehle es an Rechtssicherheit im Verhältnis zwischen der Behörde und den Ausländern. "Seit dem Kriegsbeginn können russische und belarussische Staatsangehörige mit keinen Entscheidungen rechnen oder die Umstände, die bei der Kommunikation mit dem Migrationsdienst auftauchen, vorhersehen", so die Anwältin.
Prokonowa liegen Dutzende Rechtshilfeersuchen von Bürgern aus Russland und Belarus vor. Bei jedem sei die Situation anders, aber die Anwältin stellt fest, dass es für Menschen mit russischem Pass jetzt so gut wie unmöglich ist, ihre Aufenthaltserlaubnis zu verlängern oder einen ukrainischen Pass zu bekommen. Sie meint, der Migrationsdienst sollte sein Verhältnis zu den russischen Staatsbürgern besser regeln, statt sie zu ignorieren.
"Risiken für das Land"
Auf Anfrage der DW erklärte die Behörde, sie warte ab, "bis das Parlament ein Gesetz verabschiedet, das den Umgang mit Bürgern des Aggressorstaates regelt''. Bis dahin sei die Annahme von Anträgen von Bürgern der Russischen Föderation vorerst eingestellt. Nach eigenen Angaben hat die Behörde aber gleichzeitig der Regierung selbst eine rechtliche Regelung zum Umgang mit russischen Staatsbürgern zur Prüfung vorgelegt.
Rechtsanwalt Wolodymyr Schbankow meint, solange es keine offiziellen Regelungen gebe, mache der Staat die Menschen zu "illegalen Einwanderern''. Dies berge Risiken für das Land. "Es ist logisch, solche Personen aus Sicherheitsgründen zu registrieren. Sie kommen ja selbst zur Behörde, weil sie etwas brauchen, und sie werden alle notwendigen Kontrollen durchlaufen und alles vorlegen, was verlangt wird", sagt Schbankow im Gespräch mit der DW. Der Anwalt fügt hinzu, das jetzige Verhalten des Migrationsdienstes zwinge die Menschen dazu, sich zu verstecken, was der Sicherheit des Landes schade.
Das Büro des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) betont gegenüber der DW, dass es in der Ukraine kein Asylverbot für russische Staatsbürger gebe. Für die Beobachtung anderer Legalisierungsverfahren, darunter Verlängerungen von Aufenthaltsgenehmigungen, sei das Büro nicht zuständig. Es weist aber darauf hin, dass es "gewisse Probleme beim Zugang zum Asylverfahren gibt, da es unterschiedliche Praktiken der territorialen Stellen des Migrationsdienstes gibt und einige von ihnen aufgrund der Sicherheitslage in den Regionen nicht mit voller Kapazität arbeiten können".
Maxim Paschtschenko betont, dass er gerne die ukrainische Staatsbürgerschaft hätte. Sollte sein Problem nicht gelöst werden, dann würden er und seine Frau sich in einem anderen europäischen Land niederlassen. "Statt einen Ukrainer dazu zu gewinnen, wird die Ukraine dann eine Bürgerin verlieren", so der Mann.
Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk