Wärme satt aus Industriebetrieben
13. September 2022Die Luft flimmert vor Hitze. In einem dicken Rohr verbrennt Öl bei Temperaturen von knapp unter 2000 Grad. An einer Engstelle wird Wasser in den Reaktor eingespritzt, um ihn jäh herunterzukühlen. So kann das Öl nicht mehr vollständig verbrennen und es entsteht Ruß. Die Deutschen Gasrußwerke (DGW) in Dortmund produzieren das schwarze Pulver, das bei der Herstellung von Reifen, Tinten und Lacke benötigt wird.
Bei dem Prozess fällt soviel Dampf und brennbares Restgas ab, dass die DGW zwei eigene Kraftwerke betreiben. Damit versorgt sich der Mittelständler selbst mit Strom und Wärme. Den übrigen Rest an Wärme liefert das Unternehmen an den Dortmunder Energieanbieter DEW21. Rund 600 Großkunden der DEW21 - Firmen sowie Wohnanlagen - heizen derzeit mit der Energie, die bei der Rußherstellung abfällt. Und es werden bis 2023 noch mehr, denn DEW21 baut aktuell sein Fernwärmeleitungsnetz in der Innenstadt aus.
"Wir liefern ganzjährig etwa 300 GWh Energie und verdrängen damit ein gasbetriebenes Kraftwerk", sagt Siegfried Moritz von den DGW. "Das ermöglicht uns eine Energieeffizienz, die weltweit ganz selten ist". Die Abwärme spare rund 45000 Tonnen CO2-Ausstoss ein. Und auch die Verbraucher profitieren, denn die Preise bewegen sich nach Auskunft der DEW21 "auf dem alten Gasniveau".
"Im Winter werden wir 80 Prozent des Bedarfs mit Hilfe der DGW decken", meint Ole Lünnemann von DEW21. Das restliche Fünftel sollen die drei Energiezentralen liefern, die DEW21 zur Absicherung von Verbrauchsspitzen gebaut hat. Sie arbeiten noch mit Gas, später sollen sie etwa Holz oder Müll nutzen können.
Großes Potenzial, viele Stolpersteine
Das Potential der Wärme, die durch industrielle Prozesse entsteht, ist groß. Über 70 TWh industrieller Abwärme pro Jahr ließen sich technisch erschließen, schätzt die Deutsche Energieagentur dena. Das macht, rein rechnerisch, rund 13 Prozent des deutschen Gasverbrauchs aus. "Die Nutzung ist sehr umweltfreundlich, aber es gibt viele Stolpersteine", wissen Olaf Geyer und Heinrich Tissen. Sie sind Experten für Energiewirtschaft der Technologieberatung A.D. Little.
Kurzfristig und am einfachsten möglich wäre, die Abwärme gleich dort zu verbrauchen, wo sie anfällt, erklärt Tissen. Damit ließen sich beispielsweise Öfen oder Rohstoffe vorwärmen oder günstig Räume und Wasser heizen. "Dieses Potenzial ist meistens jedoch schon erschlossen", so Tissen. "Wenn die Abwärme nicht selbst genutzt wird, braucht es aber Netzbetreiber."
Langfristige Zusagen nötig
Leitungen seien jedoch teuer und es gebe Wärmeverluste beim Transport. Deswegen hatten die Stadtwerke für ihre Fernwärmenetze bisher eher auf Heizkraftwerke und Müllverbrennungsanlagen gesetzt. "Gas gab es günstig und die Kessel waren hocheffizient. Über die Abwärme hat man sich keine Gedanken gemacht", erklärt Tissen. Zudem könnten Abwärmeströme in der Industrie enorm in der Temperatur oder im Volumen schwanken. Das mache die Nutzung technisch und wirtschaftlich herausfordernd.
Außerdem würden sich viele Unternehmen auch nicht trauen in einen gut eingespielten Produktionsprozess einzugreifen und die Abwärme zu nutzen. Zudem passe manchmal zwar alles zusammen, trotzdem scheitere aber ein Projekt, weil beide Seiten keine langfristige Zusage machen wollten, sagt Geyer. Etwa wenn sich ein Unternehmen die Option offen hält, einen Standort aufzugeben oder der Wärmeabnehmer flexibel bleiben möchte.
Werk versorgt mehrere Tausend Haushalte
"Das Interesse wächst jedoch", merken die Berater. Wie es funktionieren kann, lässt sich in Hamburg beobachten. Dort hatte Kupferproduzent Aurubis nach eigenen Angaben enorme Mengen Abwärme auf einem niedrigen Temperaturniveau übrig, für die ihm die Abnehmer fehlten. Das änderte sich erst, als die HafenCity in direkter Nachbarschaft zum Werk entstand. Energieversorger enercity legte eine 3,7 km lange Leitung zwischen dem Werksgelände und dem neuen Stadtviertel und richtete eine Energiezentrale mit einem Pufferspeicher ein, weil die industrielle Abwärme Schwankungen unterworfen ist und sogar ganz ausfallen kann.
"Wir versorgen damit rund 5000 Wohneinheiten und Unternehmen in der östlichen HafenCity", sagt Carlo Kallen von der Pressestelle des Ökoenergieanbieters, künftig sollen es bis zu 8000 werden. Darüber hinaus erschließe enercity weitere Gebiete für die "grüne Wärme" von Aurubis. Eine Kooperation mit "Wärme Hamburg", die an die Leitungen von enercity andockt, soll ab der Heizungsperiode 2024/25 noch rund 20 000 Haushalte ans Werk anbinden.
"Um so etwas zu realisieren, braucht es Standortsicherheit und Verlässlichkeit wie auch Subventionen und einen politischen Willen", so die Berater von A.D. Little. Eine Nummer kleiner geht es auch, wenn sich etwa Nachbarn zu einer maßgeschneiderten Insellösung zusammenschließen. So werden in Freiburg das neue Fußballstadion, die Messehallen, ein Forschungsinstitut und ein Autohändler bald Abwärme eines benachbarten Chemieunternehmens Cerdia beziehen. Das Unternehmen speist das Wasser ins lokale Netz, mit dem es seine Anlagen kühlt.
Günstiger Strom aus Abwärme
Dass man aus der Abwärme auch Strom gewinnen kann, haben bislang wenige im Sinn. Orcan Energy, eine Ausgründung der TU München, hat dafür Mini-Kraftwerke auf Grundlage eines bereits länger bekannten Verfahrens, des Organic Rankine Cycle (ORC), entwickelt. "Mit der Abwärme wird eine organische Flüssigkeit schon bei geringer Temperatur verdampft. Der Dampf ist unter Druck und treibt eine Expansionsmaschine an, die über einen Generator Strom erzeugt", erläutert Firmenchef Andreas Sichert. Das Kleinstkraftwerk, "Efficiency PACK" genannt, dockt direkt an die Quelle an: ob an die Abgasleitung eines Motors oder an den Drehrohrofen einer Keramikfabrik.
"Wichtig ist, dass der Kunde bei sich selbst Strom produziert, der günstiger als der eingekaufte ist", sagt Sichert. Den kann man dann entweder selber nutzen oder ins Netz einspeisen. Der selbst gemachte Strom aus Abwärme koste zurzeit drei Cent pro Kilowattstunde. Dagegen ist der Mix aus der Steckdose zehnmal so teurer. Allein die ungenutzte, derzeit aufwändig heruntergekühlte Abwärme von etwa zehn Raffinerien könne so viel sauberen Strom erzeugen wie ein großer Windpark und zwar ohne mehrjährige Genehmigungsverfahren, rechnet die Firma vor. Schon 2021 schoss die Nachfrage seitens der Metall,- Zement- und Glashersteller und anderer energieintensiven Industrien steil nach oben.
Ende 2021 wurde das Bundesförderprogramm für Energie- und Ressourceneffizienz in der Wirtschaft novelliert und erweitert. Die technologieoffene Förderung schließt die Nutzung industrieller Abwärme ein: Dafür gibt es zinsgünstige Darlehen oder bis zu 40 Prozent der nötigen Investitionen als Zuschuss. Nach dena-Angaben macht sich die Umrüstung schon nach wenigen Jahren bezahlt.