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Wie sich Putin und Selenskyj inszenieren

Rayna Breuer | Christine Lehnen
5. März 2022

Im Krieg Russlands gegen die Ukraine steht die Selbstdarstellung der beiden Staatschefs in scharfem Kontrast zueinander. Was verbindet, was unterscheidet Putin und Selenskyj?

Insignien und die Macht der Bildsprache
Die Präsidenten Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj und die Macht der Bilder

Der eine sitzt in einem klassischen Polstersessel an einem massiven Tisch in einem imposanten Saal, mit maßgeschneidertem Anzug, perfekt ausgeleuchtet und in bester Tonqualität. Der andere zeigt sich mit olivfarbenem T-Shirt auf den Straßen von Kiew oder steht vor einer blauen Wand. Es wird deutlich: Die Art der Kommunikation und die mediale Inszenierung der beiden Staatschefs Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj unterscheidet sich. Und während der Mann im T-Shirt dafür Bewunderung und Sympathien erntet, gerät der andere zunehmend in Isolation.

Fern und distanziert: Putin trifft sich mit seinen MilitärsBild: Alexei Nikolsky/imago images/ITAR-TASS

Sprache und Rhetorik bei Putin und Selenskyj

Der von Putin entfesselte Krieg wird auch mit rhetorischen Mitteln und der Kraft von Bildern geführt - auf beiden Seiten. Worin sich beide Staatschefs ähneln, ist die Entschlossenheit und Härte, mit der sie ihre Botschaften kommunizieren. Doch das ist auch das einzige was die beiden verbindet. Die Unterschiede sind eklatant.

"Ich brauche Munition, keine Mitfahrgelegenheit." Mit diesen Worten soll der ukrainische Präsident Selenskyj das Angebot der USA abgelehnt haben, sich aus Kiew in Sicherheit zu bringen. Selenskyj gibt sich in seinen Reden oft volksnah. Seine Ansprachen sind direkt, leicht verständlich und kurz. Er verzichtet auf komplizierte Erklärungen und historische Deutungsversuche. "Er agiert auf Augenhöhe", sagt die vielfach ausgezeichnete Übersetzerin und Redakteurin der Zeitschrift "OSTEUROPA" Olga Radetzkaja: "In seiner Rede unmittelbar vor dem Kriegsbeginn wandte sich Selenskyj - wie er selber gesagt hat - als Bürger der Ukraine an das russische Volk, nicht als Präsident." Zudem gebe er viel Persönliches von sich preis, so auch, als ihm vorgeworfen wurde, die Ukraine würde im Donbass angreifen wollen. "Dann erzählte er, wie oft er dort gewesen war, wie er dort im Fußballstadion saß, er erwähnte das Haus, in dem die Mutter seines besten Freundes lebt. Das wird man von Putin nie hören."

Der volksnahe Präsident: Selenskyj mit Soldaten in Donezk eine Woche vor dem russischen ÜberfallBild: Ukrainian Presidency/AA/picture alliance

Stattdessen wirkt Putin distanziert und unnahbar: "In seinen Reden spricht er über die Ukrainer als eine Seuche, von einem Virus, von Schmarotzern und einer Junta drogenabhängiger Nazis. Sie seien alle von der westlichen Propaganda verblödet, seien von Außen gesteuert. Putin sprach davon, dass der Gegner frecher und dreister werde. Das Wort 'dreist' kommt oft vor", sagt Radetzkaja.

Während Putin diffamiert, versuche Selenskyj zu erklären: "Er wendet sich an die russische Bevölkerung und sagt: 'Ihnen wird im Fernsehen dies und jenes erzählt, aber in Wirklichkeit ist es so'. Selenskyj versucht zu argumentieren. Er nennt die Russen nicht verblödet. Er spricht auf Augenhöhe", fasst Radetzkaja zusammen.

Leben in verschiedenen Zeitrechnungen

"Der Kalte Krieg ist vorbei", hatte Putin vor mehr als zwei Jahrzehnten im Deutschen Bundestag mit Nachdruck verkündet. Dafür erhielt er tosenden Beifall. Diese Aussage erscheint nach seinen Ansprachen und seinem Handeln in den vergangenen Tagen überholt. Er drohte mit atomaren Waffen, forderte eine Demilitarisierung, ließ die russische Armee in einen souveränen Staat einmarschieren. Putin lebe in der Vergangenheit, erklärte jüngst der russische Schriftsteller Wladimir Kaminer in einem DW-Interview

2001 beschwor Putin in deutschen Bundestag das Ende des Kalten Krieges Bild: Peer Grimm/dpa/picture alliance

"Der Zweite Weltkrieg ist ein ganz wichtiges Element und Putin benutzt bewusst Vokabeln aus diesem Kontext", sagt Radetzkaja. "Das Motiv: Wir haben den Faschismus und den Nationalsozialismus besiegt und wir werden es wieder tun. Das ist ein ideologisches Motiv, das schon länger durch die Öffentlichkeit geistert."

Selenskyj hingegen bezieht sich in seinen Reden auf das Hier und Jetzt, wagt gar einen Blick in die Zukunft, wie etwa auf eine mögliche EU-Mitgliedschaft. Doch auch er muss sich mit Putins historischem Narrativ auseinandersetzen. "Er hat einmal in einer Rede an die acht Millionen Ukrainer erinnert, die sich im Kampf gegen den Nationalsozialismus geopfert haben", sagt Radetzkaja.

Kommunikation nach Innen

In einem Video, das er auf seinem Facebook-Account geteilt hat, zeigt sich der ukrainische Präsident vor dem Präsidialamt gemeinsam mit führenden Regierungsvertretern und versichert, dass er sein Land verteidigen wolle. Selenskyj versucht zu motivieren, zu vereinen, nicht zu spalten. Er spricht die Menschen in der Ukraine an und wendet sich auch an die russischsprachige und jüdische Bevölkerung.

Währenddessen führt Putin den langjährigen Chef des russischen Auslandsgeheimdienstes, Sergej Naryschkin, öffentlich vor. Dieser war bei einer Sitzung des Sicherheitsrats tüchtig ins Schlingern geraten. Im Gespräch mit Präsident Putin sprach er sich versehentlich für eine russische Einverleibung der "Volksrepubliken Luhansk und Donezk" aus, später korrigierte er sich. Teamgeist sieht anders aus.

Vor ein paar Jahren gab Putin noch regelmäßig den harten Naturburschen. Die Botschaft: ein Präsident, der es mit jedem aufnehmen kannBild: Alexey Druzhinyn/RIA NOVOSTI/epa/dpa/picture-alliance

Auch gegenüber den Menschen im eigenen Land zeigte sich Putin lange Zeit distanziert und ignorant. Doch mit den militärischen Verlusten auf russischer Seite und der Ungewissheit, wie lange der Krieg andauern wird, hat auch er erkannt, dass er sein Volk für seine Pläne gewinnen muss. So sprach er am 3. März nicht nur mit Regierungschefs und Offizieren, er wandte sich auch an die Bevölkerung. Nachdem ein junger Soldat aus Dagestan im Donbass getötet worden ist, sagte Putin in einer Videobotschaft: "Ich bin ein Russe, ich habe viele Ivans und Marias in meiner Familie, aber wenn ich die Heldentat von Nurmagomed Gadzhimagomedov sehe, dann bin ich Lake, Dagestane,Tschetschene, Inguschete, Tatar, Jude..." 

Damit wolle Putin den Verdacht zerstreuen, dass es sich bei der Invasion in die Ukraine um ein rein russisches Unternehmen handele, sagt Radetzkaja. "Er will die Solidarität der anderen Nationalitäten in der russischen Föderation beschwören. Das nutzt er auch als Kontrast zu dem angeblichen Nationalismus der Ukrainer. Er wird nicht müde, diese Behauptung zu wiederholen."

Der russische Schriftsteller Dmitry Glukhovsky ("Metro 2033") sieht darin den Versuch Putins, die alleinige Verantwortung für den Krieg abzugeben. "Das größte Problem dieses Krieges ist, dass er die Entscheidung getroffen hat, den Krieg selbst zu erklären. Er hat niemanden informiert, niemanden gewarnt, sogar sein unmittelbarer Kreis war überrascht, außer dem Militär." Jetzt versuche er, die Bevölkerung zu mobilisieren, um die Verantwortung mit den Menschen zu teilen. "Obwohl dies nicht der Krieg Russlands ist, dies ist Putins Krieg. Die meisten Menschen haben Angst vor dem Krieg, sie wollen keinen Krieg", ist sich Dmitry Glukhovsky sicher.

Selenskyj wendet sich, anders als Putin, per Video an die Menschen auf der ganzen Welt - hier in Frankfurt zugeschaltetBild: Boris Roessler/dpa/picture alliance

Angst vs. Stärke

Selenskyj scheut nicht davor zurück, sich an alle Mächtigen der Welt zu wenden und präsentiert sich als das Gesicht des Widerstands. Er adressiert seine Forderungen direkt, spricht dem Westen ins Gewissen. Selbst Putin spricht er direkt an: "Ich beiße nicht. Ich bin ein ganz normaler Typ. Setz dich zu mir, sag mir, wovor du Angst hast." Putin hingegen scheint immer mehr isoliert. Er meidet den Dialog mit Staatschefs und internationalen Organisationen.

Der Schriftsteller Glukhovsky befürchtet eine Rolle rückwärts in ein anarchisches, fundamentalistisches System. In seinem neuen Roman "Outpost" (Heyne Verlag) beschreibt er ein Russland nach einer totalen Isolation vom Westen, ein Russland, das zur Monarchie zurückgekehrt ist. Es ist ein politischer Roman über die Verbreitung der Sprache des Hasses, das schwierige Verhältnis zur Vergangenheit und den manipulativen Umgang mit Geschichte. Eine Dystopie, die der Realität bedrohlich nahe kommt.

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Starke Männer

Was das allgemeine Erscheinungsbild angeht, so sei auf beiden Seiten eine Inszenierung traditioneller Männlichkeit zu beobachten, meint Dirk Schulz vom Gender Studies Zentrum an der Universität zu Köln: "Da ist die machthungrige Männlichkeit, der Aggressor, der glaubt, aufgrund von Traditionen und Geschichte darf er sich nehmen, was er glaubt, was ihm gehört; während der andere die Männlichkeit des Helden inszeniert, dessen Heldenhaftigkeit darin besteht, sein Land zu verteidigen", sagt Dirk Schulz.

Es werde von vielen Seiten wieder sehr stark beworben, dass wahre Männlichkeit sich im Kampf, im Krieg beweisen könne. "Das wurde ja gerade auch von Russland oft in der Propaganda genutzt, dass der Westen so 'verweichlicht' ist, 'verweiblicht'; da sind auch Fragen von Homosexualität, da wurde im Osten Europas viel mobil gemacht: 'Hier leben noch richtige Männer, richtige Frauen'. Über Bemühungen, geschlechtergerecht zu werden, wird sich lustig gemacht."

Beide Inszenierungen von Männlichkeit erhalten das paternalistische Männlichkeitsbild aufrecht, und der Krieg, so grauenhaft das auch ist, ist letztlich auch zu einem Schauplatz der Männlichkeit geworden, die so nicht mehr notwendig schien, die manche von uns für überwunden geglaubt hatten.