Wie stark ist die AKP in Deutschland?
19. Mai 2018Deutschland diskutiert wieder lebhaft über die Integration der türkischstämmigen Bürger. Mit ähnlicher Vehemenz wie vor ziemlich genau einem Jahr, als im April 63 Prozent der türkischen Wähler in Deutschland für eine Verfassungsreform und das Präsidialsystem in der Türkei gestimmt hatten. Die Fronten sind erneut verhärtet. Und die Rolle der AKP, der Regierungspartei von Recep Tayyip Erdogan, und ihren Aktivitäten in Deutschland gerät dabei zunehmend ins Visier.
Von der Enttäuschung der Deutschtürken profitieren
"Der Einfluss der AKP ist nicht zu unterschätzen, im europäischen Vergleich leben in Deutschland die meisten AKP-Anhänger", warnt deswegen auch Hülya Özkan-Bellut. Die Journalistin beschreibt in ihrem Buch "In Erdogans Visier", warum der türkische Präsident Deutschtürken radikalisieren will. "Gerade in Zeiten, wo die absolute Mehrheit der AKP zu bröckeln beginnt, zählt jede Stimme."
"Deswegen arbeiten die PR-Netzwerke Erdogans hierzulande unermüdlich", sagt Özkan-Bellut. Auch die Rolle der Ditib, die sich als islamischer Verband primär um die religiösen Belange kümmert, und die der UETD, die Union Europäisch-Türkischer Demokraten, sieht die Journalistin kritisch: "Die beiden Organisationen fungieren ganz klar als Befehlsempfänger Erdogans".
Dabei hätten sie leichtes Spiel, sagt Özkan-Bellut: Die Brandanschläge auf Häuser von Türken, die NSU-Morde, die kruden Thesen von Thilo Sarrazin - bei den Deutschtürken habe sich in den letzten Jahren eine Menge Enttäuschung und Wut angestaut, sie fühlten sich ausgegrenzt. "Erdogan dagegen respektiert ihre Lebensleistung und stärkt ihr Selbstbewusstsein. Er macht sich die Unzufriedenheit eines Teils der Deutschtürken zunutze und gewinnt damit ihre Herzen", erklärt die Journalistin.
Fotos von Özil und Gündogan als Wahlkampfhilfe
Zur Erinnerung: Am 24. Juni finden in der Türkei Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Die rund 1,4 Millionen wahlberechtigten Türken in Deutschland können vom 7. Juni an ihre Stimme abgeben.
Im vergangenen Sommer hatte die Bundesregierung eine neue Regelung eingeführt: Drei Monate vor Wahlen in ihrem Land sind Wahlkampfauftritte ausländischer Politiker in Deutschland verboten. Erdogan wird also keinen Wahlkampf in Deutschland machen. Aber es geht ja auch anders: Die Regierungspartei AKP twitterte umgehend die Fotos der türkischstämmigen Fußballer Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit Präsident Erdogan auf allen Kanälen.
Rechte Populisten wie die AfD wiederum kontern und instrumentalisieren die Fotos, um gegen Türkeistämmige zu hetzen. Die Türkei prangert dies seit Jahren bei ihren deutschen Gesprächspartnern an und vermisst, dass konkrete Maßnahmen dagegen ergriffen werden. Abgesehen davon rückt nun aber die Frage in den Vordergrund, wie ernst es in Deutschland ansässige Organisationen wie die AKP-nahe UETD mit ihrem Selbstbild meinen, "auf der Grundlage von Dialog und Zusammenarbeit dafür zu sorgen, dass europäische Türken angesehene, geachtete und aktive Staatsbürger des Staates werden, in dem sie leben."
Einflussnahme der Regierung in Ankara auf Deutschtürken wächst
Im Dezember 2017 hatte die Bundesregierung nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei 2016 "eine Intensivierung der Versuche des türkischen Staates" festgestellt, Einfluss auf die mehr als drei Millionen umfassende türkische Diaspora und Türkeistämmige Deutsche in der Bundesrepublik auszuüben. Diese Bemühungen gingen "von türkischen Auslandsvertretungen in Deutschland" als auch von Organisationen wie der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib) und der UETD aus.
Das nordrhein-westfälische Innenministerium hatte außerdem in einer Sitzung des Innenausschusses vor einem halben Jahr festgestellt, dass "aus Reihen der Erdogan-Anhängerschaft regelmäßig in sozialen Netzwerken dazu aufgerufen werde, 'Staatsfeinde‘ zu melden". Besonders die Rockergruppe "Osmanen Germania" geriet dabei in den Fokus der Verfassungsschützer: Es konnten nicht nur Kontakte zwischen den Führern und Vertretern der AKP sowie Beratern von Präsident Erdogan nachgewiesen werden, sondern auch, dass türkische Behörden die Rockergruppe "bei der 'Terrorbekämpfung' gegen die PKK, linksextremistische Türken und die Gülen-Bewegung unterstützt."
AKP-Sympathisanten können durchaus sehr gut integriert sein
"Wir sollten den Einfluss der AKP nicht überbewerten", meint dagegen Yasar Aydin. Der Sozialwissenschaftler und Türkei-Experte vermisst zwar bei der Ditib Selbstreflektion und -kritik, verweist aber darauf, dass die deutsch-türkischen Muslime eine Organisation bräuchten, die das religiöse Leben bis hin zu Bestattungen und Freitagsgebeten regele. Vor allem appelliert Aydin, nicht in einfachen Kategorien zu denken: "Die Gleichung AKP-Sympathisant = nicht integriert und Erdogan-Kritiker = integriert geht nicht auf!"
Außerdem habe es schon vor der AKP Versuche der Einflussnahme auf Deutschtürken gegeben. "Wir vergessen das, weil die Partei schon seit 16 Jahren regiert", erinnert Aydin. Dies werde sich auch fortsetzen, wenn zum Beispiel die Republikanische Volkspartei an die Macht käme. "Nur die Mittel und die Rhetorik werden sich ändern." Es sei ganz normal, dass Staaten, die in anderen Ländern Staatsbürger hätten, versuchten, mit diesen Kontakt aufzunehmen und Brücken zu bauen. Der Punkt sei, dass man den Integrationsprozess in Deutschland nicht beeinträchtigen dürfe. "Und da hat die AKP viele Fehler gemacht", so Aydin.
Klares Bekenntnis zu Deutschtürken
Die Journalistin Özkan-Bellut hat ein denkbar einfaches Rezept, den Einfluss der AKP in Deutschland einzudämmen: "Deutschland muss die Deutschtürken als gleichwertige Bürger akzeptieren und ein klares Bekenntnis zu den Deutschtürken im Land abgeben, statt sie immer wieder zur parteipolitischen Profilierung zu nutzen." Denn eines sei klar: "Erdogan wird eines Tages gehen, die Deutschtürken werden aber mehrheitlich bleiben."
Ins gleiche Horn stößt auch Yasar Aydin. Die Fotos von Özil und Gündogan mit Erdogan könne man sicherlich kritisieren, "aber man sollte diese nicht zum Anlass nehmen, ganze Bevölkerungsteile zu dämonisieren." Das Fazit des Sozialwissenschaftlers: "Ich plädiere bei aller Kritik an den Bildern für mehr Gelassenheit."