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Wie Startups die Industrie digitalisieren

Matilda Jordanova-Duda
20. Dezember 2023

Die Kooperation zwischen jungen und traditionsreichen Unternehmen hilft, Maschinen effizient zu betreiben und Ausfälle zu minimieren. Startups digitalisieren das Know-how erfahrener Mitarbeiter aus der Boomer-Generation.

Deutschland | Köln | Maschinenbau-Service
Traditionsunternehmen: Montagelinie beim Motorenhersteller Deutz Bild: Nils Hendrik Mueller/Deutz AG

Es gibt sie, die Menschen, die eine Maschine und ihre Wehwehchen in- und auswendig kennen.  Die wissen, dass eine gelockerte Schraube unten rechts dieses spezielle Quietschen verursacht. Die bei Fehlermeldung X sofort nach dem Bauteil Y schauen.

"Wir haben noch ungefähr drei Jahre Zeit, um das Wissen der Boomer-Generation zu digitalisieren", also der Menschen, die heute um die 60 Jahre alt sind, weiß Sina Kämmerling, Geschäftsführerin und Mitgründerin von Findiq. Das Startup aus Vlotho (Nordrhein-Westfalen) hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Erfahrungswissen in ein Assistenzsystem zu überführen, das neue Mitarbeitende Schritt für Schritt anleitet. Kunden des 2022 gegründeten Softwareunternehmens sind mittelständische Maschinenbauer mit internationalen Märkten sowie größere produzierende Unternehmen mit mehreren Standorten.

Findiq ist ein "Krisenkind": hervorgegangen aus einem Projekt des Technologieclusters it's OWL (Intelligente Technische Systeme OstWestfalenLippe), das während der Corona-Pandemie aktuelle Probleme der ostwestfälischen Wirtschaft zu lösen versuchte. Etwa der drei Maschinenbauer aus der Region, die trotz Lockdowns ihren weltweiten Service aufrechterhalten wollten. Die Corona-Einschränkungen sind zwar vorbei, aber der Fachkräftemangel ist inzwischen umso gravierender.

Servicetechniker werden rar

Viele Firmen haben Systeme für die Fernwartung und -inbetriebnahme entwickelt, um Servicetechniker nicht auf lange Reisen schicken zu müssen. Doch das nützt nichts, wenn es einfach keine Fachkräfte mehr gibt, sagt Kämmerling: "Die Stelle eines erfahrenen Servicetechnikers bleibt heute schon im Schnitt 185 Tage unbesetzt."

Das Wissen der Boomer-Generation: Digitale Fehleranalyse des Maschinenparks mit Findiq-SoftwareBild: Findiq

Um ein maßgeschneidertes Wissensmanagement- und Assistenztool zu entwickeln, gehen Mitarbeitende von Findiq in die Betriebe und identifizieren als Erstes die besonders anfälligen und strategisch wichtigen Maschinentypen, deren Ausfall große Teile der Produktion lahmlegen würde. Danach macht das Startup die jeweiligen Expertinnen und Experten sowie typische Anwender in der Firma ausfindig. "Manchmal hören sie erst durch uns voneinander", sagt Digitalisiererin Kämmerling.

Findiq fragt nach untypischen Geräuschen und Gerüchen, nach überhitzten Bauteilen und anderen Auffälligkeiten. "Auf diese Weise erstellen wir für jeden Maschinentyp ein eigenes Assistenzsystem", schildert Kämmerling das Vorgehen: "Wir halten zunächst die wiederkehrenden Schwierigkeiten fest. Dann erfassen wir die letzten 20 Prozent der Fehler, die nur selten oder nur bei dieser Einzelmaschine auftreten." Ziel ist, dass Neulinge und Quereinsteiger ein Problem mit höchstens sechs Klicks lösen können.

Motivieren, Wissen weiterzugeben

"Wir werden gerufen, wenn es weh tut", sagt die Gründerin. Oft hieße das: Die einzige Person im Unternehmen, die weiß, warum eine Maschine stillsteht, scheidet bald aus. Nicht alle dieser Unentbehrlichen sind motiviert, ihr Wissen weiterzugeben. In solchen Fällen gehört es zu den Aufgaben des Startups, Ängste und Vorbehalte auszuräumen und den Leuten den Wissenstransfer so einfach wie möglich zu machen. Es will zu einer Unternehmenskultur des Wissensteilens beitragen.

Der klassische Verbrenner: Motorenbau bei der Deutz AGBild: Nils Hendrik Mueller/Deutz AG

Neuerdings fragen Kunden oft, wo der Unterschied zu populären Sprachmodellen wie ChatGPT liegt. Wenn Maschinen einzigartig oder auch nicht vernetzt sind, gibt es zu wenig geeignete Daten, um ein generatives KI-Modell zu trainieren, lautet die Antwort. Zudem phantasiere die Findiq-KI keine falschen Informationen oder zweifelhaften Interpretationen hinzu. "Hilfe im technisch komplexen Kontext sollte sofort und zu 100 Prozent richtig sein."

Der Maschine zuhören

Daten produzieren die Schwermaschinen auf dem Bau und im Bergwerk reichlich: "Da kommen mehrere Gigabytes pro Tag und Maschine zusammen", sagt Sebastian Kowitz, Mitgründer von Talpasolutions aus Essen. Die Sensoren, die zur Unterstützung des Fahrers verbaut sind, übermitteln Angaben zur Geschwindigkeit, Temperatur, Motor-Drehzahl, dem Hydraulikdruck und der GPS-Postion. "Die Maschine teilt ständig mit, wie es ihr geht, aber früher hat keiner zugehört", so Kowitz. Die Data Scientists von Talpasolutions hören zu und holen aus der Masse an Rohdaten Optimierungspotenzial und Diagnosemöglichkeiten heraus.

Einer der Kooperationspartner des 2016 gegründeten Essener Startups ist die Deutz AG in Köln. Das traditionsreiche Unternehmen ist bald 160 Jahre alt und baut Motoren für Land- und Baumaschinen, Gabelstapler und andere Nutzfahrzeuge. Der Motor ist das Herzstück einer Schwermaschine: der entscheidende und kostenintensivste Teil. Wenn er stottert, muss man schnell handeln.

Riesiges Servicenetz remote ausbauen: Damian Weckmann, Digitalexperte der Deutz AG

"Wir haben schon ein riesiges Servicenetz, aber remote Unterstützung ist für unsere Kunden interessant", sagt Damian Weckmann, zuständig für die digitalen Projekte beim Kölner Motorenhersteller. Die neueren Motoren haben bereits digitale Zwillinge. Passende Wartungskits und Servicedienstleistungen lassen sich so leichter bereitstellen. "Das reicht uns aber nicht", so Weckmann: "Unsere IoT-Lösung liefert uns Einblicke über den Motor hinaus - bis hin zum Zustand der Reifen". IoT steht für Internet der Dinge. "Die Informationen müssen zudem umgehend verfügbar sein, um Aktivitäten auszulösen: Es hilft niemandem weiter, zwei Monate später Daten auszulesen, um zu erfahren, warum der Motor beispielsweise einen Schaden davongetragen hat."

Auf die Minute genau

Deutz und Talpasolutions haben gemeinsam eine IoT-Lösung entwickelt, die die gesamte Maschine im Blick hat. "Wir wissen, wie viel Zeit sie für welche Aufgabe gebraucht hat, wie lange sie im Betrieb war und auf die Minute genau, wo Zeit verloren geht", ergänzt Kowitz. Auch wann das Hydrauliköl aufgefüllt und welche Ersatzteile ausgetauscht werden müssen. Der Gedanke dahinter ist, vorausschauend zu warten und teure Ausfallzeiten zu minimieren.

Die Schwermaschinen und Nutzfahrzeuge arbeiten in der freien Natur oder unter Tage, die Wetterbedingungen und Situationen ändern sich oft. Daher ist ein dauerhaftes Monitoring notwendig. Für Deutz bedeutet das neue digitale Serviceleistungen, die das Unternehmen an Maschinenproduzenten, Flottenbetreiber, Servicehändler und Endnutzer anbietet. Talpasolutions profitiert von den Erfahrungen des Industriepartners und seinen Kundenkontakten auf der ganzen Welt. "Wir kombinieren unsere Fähigkeiten und wollen möglichst viele Maschinen anbinden."

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