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Wie still war die Stille Nacht?

Klaus Krämer
24. Dezember 2016

Wer mag sie nicht - heimelige Weihnachtsstimmung unterm Christbaum, passende Lieder, vielleicht sogar selbst gesungen, dazu die Romantik einer Krippe. Der Weihnachtsschauplatz vor 2000 Jahren sah völlig anders aus.

Symbolbild Weihnachten
Bild: picture-alliance/dpa/S. Stache

Eine genaue Definition des Geburtsjahres Jesu gibt es nicht. Heute geht man davon aus, dass Jesus nicht im Jahr Null, sondern vier bis sieben Jahre früher geboren ist. Der Evangelist Lukas beschreibt Jesus von Nazareth als Sohn Gottes und als den Messias. Keine schöne, sondern eine gefährliche Zeit, in die dieser hineingeboren wird, berichtet der anerkannte biblische Archäologe und Theologe Professor Dieter Vieweger: "46 Prozent der Menschen, die geboren wurden, überlebten das erste Lebensjahr nicht. Die durchschnittliche Lebenserwartung in dieser östlichen Provinz des Römischen Reiches lag bei 35 bis 40 Jahren." Außerdem hätten die Repressalien der römischen Besatzungsmacht stark zugenommen. "Das römische Militär war ein ständiges Ärgernis. Ein ständiges Ärgernis auch die Steuern, die aus den Menschen herausgepresst wurden", sagt der Forscher, der das Biblisch-Archäologische Institut in Wuppertal und das Deutsche Evangelische Institut für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes in Jerusalem und Amman leitet.

Überfülltes Dorf, unübliches Paar

Jesus sei deshalb in Bethlehem geboren, weil sich Josef - sein vermeintlicher Vater - dort in eine Steuerliste habe eintragen lassen müssen, berichtet Lukas in der biblischen "Weihnachtsgeschichte". Da Bethlehem damals nur ein Dorf war, wurde es vermutlich von Auswärtigen geradezu überflutet. Allerdings schränkt Vieweger ein: "Zwei Drittel aller Juden lebten damals außerhalb Palästinas. Die Einheimischen waren gewohnt, Gäste zu haben. Und dass Gäste, wenn es mal voll war, auch am Rande eines Dorfes bei den Tieren im Stall übernachteten, damit konnten die Menschen umgehen. Das war für die einfachen Leute üblich."

Professor Dieter Vieweger im OrientBild: Dieter Vieweger

So verwundert es nicht, dass Maria und Josef damals kein sicheres Dach über den Kopf bekamen. Eine junge, schwangere Frau und ein älterer Mann, noch dazu unverheiratet - vielleicht war dieses den damaligen gesellschaftlichen Normen nicht entsprechende Verhältnis auch ein Grund für die Obdachlosigkeit. "Die Vaterschaft des Josef stand nicht eindeutig fest. Die beiden waren nur verlobt. Das ist schon unehrenhaft für die Frau, dass sie augenscheinlich schon Geschlechtsverkehr hatte, bevor sie verheiratet war", so der Archäologe, der gerne mal einige Schaufeln tiefer gräbt, um zu Erkenntnissen zu gelangen.

Dass Jesus als Baby den ersten garantierten Krippenplatz der Geschichte bekam, muss aber keineswegs bedeuten, dass er in einem Stall das Licht der Welt erblickte. In Palästina war es zum Teil üblich, dass Menschen und Tiere gemeinsam unter einem Dach lebten. Festzuhalten bleibt auf jeden Fall: Schauplatz der Entstehung des Christentums ist das Gegenteil von einem Palast.

Krippenszene im Internationalen Krippenmuseum WaldbreitbachBild: DW

Folgenreiche Geburt

Der Geburtsort des von den Juden lang ersehnten Retters wurde dann, wie der Evangelist Lukas berichtet, zu einem Treffpunkt unterschiedlichster Menschen. Dazu gehörten Hirten. Wie man heute weiß, waren es zumeist Tagelöhner, die gesellschaftlich ganz unten rangierten. Bemerkenswert für Vieweger: "Die ganz Armen der Armen, das sind die, die zuerst etwas von der frohen Kunde erfahren und sehen." Der evangelische Pfarrer und Theologe Burkhard Weber fügt hinzu: "Lukas stellt Jesus in seinem Evangelium so dar, dass er auf der Seite derer steht, die wenig Macht hatten: die Armen, die Frauen, die Benachteiligten, die Kranken." Solche Einordnungen fänden sich bereits als Prophezeiungen im Alten Testament der Bibel, betont der Theologe (Burkhard Weber verstarb Mitte Dezember 2016. Das Interview wurde vor seinem Tod geführt, Anmerk.d.Red.).

Himmlische Boten

Engel - Gottes geheimnisvolle BotenBild: picture-alliance/dpa/dpaweb

Die Sprache des Evangelisten Lukas liege stilistisch ganz im Trend jener völlig anderen Zeit, so Archäologe Viehweger. Dazu zählten auch Ausschmückungen wie das Erwähnen der Himmlischen Heerscharen. Diese Boten Gottes, Engel aus der unsichtbaren Welt, seien Bilder. "Um zu verdeutlichen, wie wichtig dieses gerade geborene Kind ist, haben die ersten Christen dem Geschehen diese Ausschmückung gegeben, die man eigentlich nur dem Kaiser zukommen lässt. Jesus wird durch die Engel-Erscheinungen mit dem Himmlischen verbunden, um seine Allmacht und ewige Herrschaft zu unterstreichen." Allerdings räumt Vieweger ein, dass es Geschehnisse zwischen Himmel und Erde gibt, die rational nicht zu erklären und weder widerlegbar noch beweisbar sind. Vielleicht waren sie also doch für alle sichtbar anwesend, die Engel Gottes.

Himmlisches Leitmotiv

"Und dann kommen die ganz Klugen, die Weisen, die einem besonderen Licht am Firmament gefolgt sind", erzählt Dieter Vieweger. Diese Erwähnung sei deshalb herausragend, weil man so das Geschehen einigermaßen datieren könne. In den Jahren 7 und 6 vor Christi Geburt hätten sich die Planeten Jupiter und Saturn drei Mal im Sternbild der Fische getroffen. "Das ist ja eine Aussage. Für die Menschen damals war völlig klar: Hier ist der Jupiter, der steht für den Weltenherrscher, und der trifft sich mit dem Saturn, das ist das Volk der Juden. Und das Ganze passiert im Sternbild der Fische, das ist das Zeichen für Palästina." Also: Der Weltenherrscher wird bei den Juden geboren und zwar in Palästina.

Bibelkenner Burkhard Weber (+ 12.12.2016)Bild: privat

Burkhard Weber geht noch einen Schritt weiter. Er ist davon überzeugt, dass das Auftreten dieser Gelehrten in Bethlehem - das nicht Lukas, sondern ausschließlich der Evangelist Matthäus erwähnt - den universellen Charakter des Ereignisses unterstreichen soll. Die Geburt Jesu sei nicht nur ein lokales Ereignis, das sich allein auf Palästina und das jüdische Volk bezieht. Viemehr habe es eine weltumspannende Bedeutung: "Das Erscheinen der Weisen aus ganz anderen, weit entfernten Gegenden und der Stern, der über der Welt steht, sind im Grunde Zeichen dafür, dass die Geburt Jesu für alle Menschen erfolgt ist."

Aktuell von Bedeutung

Nichts anderes unterstreicht der Inhalt des Neuen Testaments der Bibel an zahlreichen Stellen, ebenso aber auch die Bedeutung des Ereignisses für die Zukunft. Vielleicht konnte das Christentum nur deshalb die größte Weltreligion werden. Für den Archäologen Dieter Vieweger gibt es keine andere Religion, die so sehr auf Liebe setzt: Nächstenliebe, Feindesliebe, Verzeihen seien ein moralischer Maßstab geworden. Besonders schätzt er, "durch Weihnachten die Mitteilung zu bekommen, einen Gott zu haben, der einen führt, der einem persönlich nahe ist, der vergeben kann. Das ist eine großartige Sache, die ich sonst nirgendwo sehe." Pfarrer und Theologe Burkhard Weber beurteilt Weihnachten ähnlich. Es gehe bei der Geburt Jesu darum, dass Gott sich den Menschen in der Person dieses Kindes zugewandt habe, ganz diesseitig wurde. "Er bewegt sich unter den Menschen, er leidet mit ihnen. Er stirbt sogar zum Schluss und solidarisiert sich so mit den Menschen, die von Leiden und Sterben bedroht sind."

Schlesische WeihnachtskrippeBild: Anna Maciol

Stille Nacht?

Überall wird es in diesen Tagen gesungen: Das Lied "Stille Nacht, heilige Nacht" ist die Nummer eins rund um den Globus. Nach dem, was wir wissen, spiegelt es nicht die Atmosphäre und die Spannungen der Menschen an der Krippe vor 2000 Jahren wider. Wie still war sie also wirklich, die Stille Nacht?

Dieter Viehweger, der rund sechs Monate im Jahr Geschichte ausgräbt, weiß: "Wenn wir zu Ausgrabungen in der orientalischen Welt sind, dann hören wir zu jeder Nachtzeit Tiere, die Geräusche verursachen. Es ist immer irgendwas los, richtig still ist es nie. Die stille Nacht sei eine Erfindung des Liederdichters Joseph Mohr im frühen 19. Jahrhunderts im Salzburger Land. Mit dem Neuen Testament habe das nichts zu tun. Und Burkhard Weber fügt hinzu, "Stille Nacht, heilige Nacht" sei zwar ein Lied, das man aus guten Gründen singen könne, es gebe aber keineswegs die Hektik und den Aufruhr der damaligen Zeit wieder. "Lukas schreibt viel von Eile. Ein Theologe hat sogar die Weihnachtsgeschichte mit der Überschrift versehen: 'Heilige Hetze'."

 

Der Pfarrer, Theologe und gelernte Journalist Burkhard Weber ist am 12. Dezember 2016 nach schwerer Krankheit verstorben. Er wurde 62 Jahre alt. Mehr als 21 Jahre war er Direktor des traditionsreichen theologischen Seminars Evangelistenschule Johanneum in Wuppertal, wo er 1986 als Dozent begann. Am Johanneum unterrichtete er Altes und Neues Testament, Kirchengeschichte und Systematische Theologie. Weber galt als ein Brückenbauer zwischen Pietismus und evangelischer Kirche.

Das Johanneum ist seit seiner Gründung 1886 ein "freies Werk innerhalb der Evangelischen Kirche". Es bildet junge Menschen für den Dienst als Jugendreferent, Gemeindediakon oder Gemeindepädagoge aus.

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